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E-Sport Wie Fußballvereine ins Gaming drängen

Wolfsburg und Schalke duellieren sich nicht nur in der Fußballbundesliga: Beide Vereine sponsern auch Profi-Gamer, in der Hoffnung auf Millioneneinnahmen. Traditionalisten und Gaming-Fans sind verstört.
WM-Finale des Computer-Spiels "League of Legends" im Oktober in Berlin

WM-Finale des Computer-Spiels "League of Legends" im Oktober in Berlin

Foto: Paul Zinken/ picture alliance / dpa

Als Jugendlicher, erinnert sich Tim Reichert, klemmte er sich regelmäßig seinen Rechner unter den Arm und fuhr zu LAN-Partys. Es waren die späten Neunzigerjahre, Reichert spielte nach dem Fußballtraining bis spät in die Nacht Computerspiele wie den Egoshooter "Quake". Das Wort E-Sport als Bezeichnung für professionelles Computerspielen kannten damals nur wenige. Vor dem Bildschirm sitzen und Figuren lenken galt als ein Hobby, mehr nicht.

Und so setzte Reichert irgendwann auf sein zweites Talent - und wurde professioneller Fußballer. Mit Rot-Weiß Oberhausen stieg er bis in die zweite Bundesliga auf. Heute ist Reichert 36 Jahre alt - und leitet die neue E-Sport-Abteilung beim FC Schalke 04. Endlich, so sieht er es, bewegen sich die beiden Welten, die er so liebt - Gaming und Fußball, Bildschirm und grüner Rasen - aufeinander zu.

Reichert steht nun vor der Herausforderung, die Annäherung Gaming- und Fußballfans als etwas Gutes zu verkaufen. Im Weg stehen zwei Grundsatzfragen: Ist Gaming Sport? Und: Wie kompatibel ist die eher durch sogenannte Clans geprägte Gamer-Szene mit traditionellen Vereinsstrukturen?

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Am vergangenen Montag hat Schalke auf seiner Mitgliederversammlung ein hauseigenes Team für das Fußball-Spiel "Fifa" präsentiert. Seit Juni stellt Schalke als erster Bundesligaverein Deutschlands außerdem ein eigenes Profiteam für das Multiplayer-Spiel "League of Legends" (LoL). In der europäischen League Championship Series (LCS) steht nun zwischen Teams wie Fnatic, Giants, Origen und Unicorns of Love auch FC Schalke 04 .

"Ihr hättet beim Fußball bleiben sollen"

Bei so manchem Schalke-Fan ist es aber noch nicht besonders weit her mit der Akzeptanz für die neuen Sportler in Königsblau. Für sie geht es um Fußball. Auf dem Rasen. "Wir wissen, dass Fans E-Sport auch kritisch sehen. Es wird immer Leute geben, die sagen: 'Das passt nicht zu Schalke'", gibt Reichert zu, der als Gamer auch den erfolgreichen Clan SK Gaming mitgegründet hat. "Aber auch typische Schalke-Fans haben Kinder, die 'League of Legends' spielen."

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Foto: AP/ Riot Games

Auch unter Gamern sind nicht alle begeistert . "Ihr hättet beim Fußball bleiben sollen", schreibt ein erboster Kommentator auf Twitter . "Schalke 04 ist ein verdammter Fußballverein, was machen die bei LoL", fragt ein anderer .

Weitere Fußballvereine sind in Lauerposition

Trotz solcher Widerstände auf beiden Seiten ist Schalke bei weitem nicht der einzige Bundesliga-Verein, der mit E-Sport als neuem Betätigungsfeld liebäugelt. Auch der VfL Wolfsburg hat mit Benedikt Saltzer, Fans als "Salz0r" bekannt, und Daniel Fink zwei Spieler unter Vertrag, die mit "Fifa" Fußball auf dem virtuellen Rasen spielen.

Anfragen von SPIEGEL ONLINE an alle Vereine der ersten Fußballbundesliga zeigen, dass etliche weitere sich für E-Sport interessieren. "Wir beobachten diesen Megatrend schon seit geraumer Zeit. Die Dimensionen, die E-Sport angenommen hat, gehen weit über ein Nischendasein hinaus", heißt es zum Beispiel von Hoffenheim. "Wir analysieren den Markt", ließ der FC Bayern wissen.

Dortmund, Hertha BSC, Werder Bremen und der FC Köln haben auf mehrere Anfragen nicht reagiert, während der SV Darmstadt, der FC Augsburg, der VfB Stuttgart und der FSV Mainz derzeit keine E-Sport-Pläne haben. Viele weitere Vereine gaben an, Interesse am Thema E-Sport sei vorhanden, sie nannten aber keine definitiven Pläne.

Gaming ist ein riesiger Markt

Traditionelle Vereine bauen also gerade im Rekordtempo ihre Berührungsängste ab, was die Gaming-Szene anbelangt. Was dabei hilft: Gaming ist unbestreitbar ein gigantischer Markt. Laut einem Branchenreport  wird der E-Sport-Markt 2016 rund 900 Millionen Dollar Umsatz machen, zum Beispiel durch Tickets für Turniere und Merchandising-Artikel.

Spieler beim WM-Finale von "League of Legends" in Berlin

Spieler beim WM-Finale von "League of Legends" in Berlin

Foto: Paul Zinken/ picture alliance / dpa

Der größte Markt ist Asien, aber auch in Europa sollen 2016 rund 270 Millionen Dollar umgesetzt werden. Für "Dota 2"-Spieler gibt es in 172 Turnieren weltweit einen Preispool von 26 Millionen Dollar zu erspielen. Zum Finale der "League of Legends"-Weltmeisterschaft  kamen im Oktober 12.000 Fans in die Mercedes-Benz-Arena in Berlin, 27 Millionen Menschen  spielen es laut Herstellerangaben jeden Tag.

Gamer müssen strategisch denken, schnell reagieren

Für Benedikt Saltzer, den "Fifa"-Spieler von Wolfsburg, ist der Status von Computerspielen als Sportart dabei unstrittig. "Im Spiel muss ich in Millisekunden reagieren, kreativ sein, strategisch denken. Beim Schach oder Dart bewegt man ja auch nur die Hände." Vor dem Bildschirm trainiert er jeden Tag zwei oder drei Stunden: Eckentraining, Videoanalyse der Gegner.

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Foto: Electronic Arts

Skepsis in Politik und Sportorganisationen

Aber es gibt auch Widerstände gegen diese Deutung, zeigte jüngst ein Gutachten  aus dem Berliner Abgeordnetenhaus. Darin heißt es, dass "E-Sport nicht als Sport im rechtlichen Sinne anzusehen und nicht als Sportart anerkennungsfähig ist." Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als wichtigste Dachorganisation des deutschen Sports führt E-Sport bisher nicht als Sport.

Ein entscheidendes Problem für die Gaming-Szene wird aus der Aufnahmeordnung  des DOSB deutlich: Es fehlen die gemeinnützigen Strukturen, die es bei anerkannten Sportarten gibt, die Nachwuchsarbeit, die Vereine.

Fans beim WM-Finale von "League of Legends"

Fans beim WM-Finale von "League of Legends"

Foto: Paul Zinken/ picture alliance / dpa

Doch die Szene versucht, sich zu professionalisieren. Die im Mai gegründete World Esports Association, kurz Wesa, soll eine Art Weltverband fürs Computerspielen werden - nach dem Vorbild der Fifa im Fußball. Dopingtests der Nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) für Gamer gibt es bereits.

In Leipzig hat sich ein E-Sport-Verein gegründet

Und auch in Sachen Vereinsarbeit holen die Gamer auf, sagt Uta Allenstein. Sie ist die Vorstandsvorsitzende des frisch gegründeten lokalen E-Sport-Vereins "Leipzig eSports". "Es gibt auch immer noch das Stigma vom Gamer, der allein im Keller im Dunkeln sitzt und Pizza isst", sagt Allenstein. "Je größer die Gaming-Szene wird, umso wichtiger ist es, sich zu organisieren."

Bisher gibt es aber nicht viele ortsbezogene Vereine. Leipzig und Magdeburg sind Ausnahmen. Das bedeutet nicht, dass die Gamer sich gar nicht organisieren. Es gibt wohl Zehntausende Clans in Deutschland, lockere Spielervereinigungen. Die sind aber bisher selten dadurch aufgefallen, politische Forderungen zu stellen oder die von den Herstellern der Spiele etablierten Strukturen infrage zu stellen.

"Beim langen Weg in die Profiligen sind Spieler oft auf sich allein gestellt", sagt Allenstein. "Im E-Sport wird viel von oben gemacht. Es gibt hochdotierte Turniere, aber das Thema Breitensport wird bisher vernachlässigt."

Schalke will professionelle Gamer - und Geld verdienen

Letztlich sind es Vereine wie Schalke, die in diese Lücke in der Gaming-Szene vorstoßen und versuchen, sich über das sportliche Know-how und straffe Strukturen als nützlich zu erweisen - um letztlich ein bisschen was abzukriegen vom Umsatz im Megabusiness Gaming. "Ein gesunder Körper ist wichtig für die Performance der Spieler. In Sachen Sporttherapie haben viele Gamer noch einiges nachzuholen", sagt Schalkes E-Sport-Chef Tim Reichert.

"League of Legends"-Teams bei der WM in Berlin

"League of Legends"-Teams bei der WM in Berlin

Foto: Paul Zinken/ picture alliance / dpa

Noch trainiert das Schalke-Team in Berlin, aber Schalke will seine E-Sportler in den nächsten Jahren nach Gelsenkirchen holen, ganz nah ans Leistungszentrum der Fußballer, mit Sportlerappartements neben der Arena. Es soll Trainingsräume für die E-Sportler geben und eine Jugendakademie für E-Sport-Nachwuchs, nach dem Vorbild der Knappenschmiede.

Auch in Leipzig, in Allensteins Verein, arbeitet man an mehr innerem Zusammenhalt für die Gaming-Szene. Das Vereinsleben stellt Gamerin Allenstein sich als eine Mischung aus Onlinespielen und Offline-Aktivitäten vor. Wenn ein großes Turnier stattfindet, schauen es die Vereinsmitglieder gemeinsam in einer Bar.

Und einen Stammtisch, sagt Allenstein, gibt es natürlich auch.


Zusammengefasst: Große Sportvereine wie der FC Schalke 04 oder Wolfsburg holen professionelle Gamer zu sich - und wollen Geld verdienen in einem Markt, der rasant wächst. Die Gründung von lokalen E-Sport-Vereinen wie in Leipzig könnte dabei helfen, Gaming als Sportart zu etablieren.