Am Montag gab eine WHO-Gruppe bekannt, das umstrittene Pflanzengift Glyphosat sei unbedenklich. Nun steht das Fachgremium JMPR selbst in der Kritik. Laut Medienberichten könnten die Forscher bei der Bewertung in einem Interessenkonflikt gestanden haben. Mitglieder seien zu eng mit der Wirtschaft verbunden, so der Vorwurf.

Das JMPR untersteht der Welternährungsorganisation und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Nach Auswertung zahlreicher Studien waren die Forscher zu dem Ergebnis gekommen, dass Glyphosatrückstände in Nahrungsmitteln nicht krebserregend wirken – rechtzeitig zur bevorstehenden Abstimmung in der EU-Kommission. Sie soll am Montag über eine Verlängerung der Zulassung für das Pflanzenschutzmittel entscheiden.

Nun wurde bekannt: Sowohl der Vorsitzende als auch der stellvertretende Vorsitzende von JMPR sollen führende Positionen für das International Life Science Institute (ILSI) bekleiden. Der JMPR-Vorsitzende Alan Boobis ist Vize-Präsident des ILSI Europe. Angelo Moretto, Vorstandsmitglied eines zu ILSI gehörenden Instituts, war laut Aktivisten Co-Vorsitzender der Sitzung über Glyphosat. Bei der WHO wird er als Mitglied in dem Gremium geführt.

ILSI wird von Unternehmen aus der Lebensmittelindustrie finanziert. Darunter waren Veröffentlichungen von Aktivisten zufolge auch Hersteller von Glyphosat. Demnach erhielt das Netzwerk im Jahr 2012 von Monsanto eine Spende von rund 500.000 US-Dollar. Zudem sind weitere Zuwendungen von mehr als 528.500 US-Dollar vom Verband Croplife International aufgeführt. Zu der Gruppe gehören die Hersteller Monsanto, Dow und Syngenta. Auf dem von den Aktivisten veröffentlichten Papier stehen zudem Zahlungen von Nahrungsmittelherstellern wie Coca Cola, Mars und Kraft Foods. Monsanto wird von ILSI als Mitglied geführt.

Neubewertung widerspricht WHO-Studie

Der britische Guardian hatte bereits am Dienstag über den Fall berichtet. Die Zeitung zitiert einen Anwalt der Gruppe ClientEarth, der einen "klaren Interessenskonflikt" sieht, wenn die Sicherheit von Glyphosat von Wissenschaftlern bewertet werde, die direkt von der Industrie Geld erhielten. Der Europa-Abgeordnete der Grünen, Bart Staes, bezeichnete allein den Zeitpunkt der Veröffentlichung der jüngsten WHO-Untersuchung kurz vor der Debatte über die Zulassung als "zynisch".

Das JMPR befasst sich mit der Festlegung von Rückstandshöchstgehalten von Pestiziden in Lebensmitteln. Außerdem legt es fest, wie viel eines Stoffes ein Mensch lebenslänglich jeden Tag aufnehmen kann, ohne gesundheitlichen Schaden davonzutragen. Das Gremium hat selbst keine Studien durchgeführt, sondern entschieden, welche Publikationen der vergangenen Jahre relevant sind und anschließend die Daten ausgewertet.

Für Aufregung sorgte das Ergebnis der Forscher auch deshalb, weil es der Bewertung einer anderen WHO-Gruppe auf den ersten Blick widerspricht. So hatte die Internationale Krebsagentur IARC im März 2015 bekannt gegeben, Glyphosat sei "wahrscheinlich krebserregend". Allerdings prüften die Krebsforscher die reine Chemikalie, um herauszufinden, ob Glyphosat grundsätzlich krebserregend sein könnte, nicht, ab welcher Menge.

ILSI stand bereits mehrfach in der Kritik

Das Netzwerk ILSI wurde bereits mehrfach für seine Nähe zur Lebensmittelindustrie und Verflechtungen mit Aufsichtsbehörden kritisiert. Das Institut bringt Forscher, die in vielen Bereichen für Lebensmittelaufsicht zuständig sind, mit Vertretern der Industrie zusammen. Nach eigenen Angaben nehmen ILSI-Mitglieder aus dem akademischen Bereich, zu dem auch Boobis gehört, ehrenamtlich teil. Die Aktivitäten des Netzwerks in Europa werden von den teilnehmenden Unternehmen finanziert.

Lobbycontrol bemängelt, dass mehrere Mitglieder der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) oder des Bundesforschungsinstituts für Ernährung und Lebensmittel in engem Kontakt zu ILSI stehen oder standen. Auch Moretto war bei der EFSA tätig, trat dann aber nach Vorwürfen gegen ihn ab. Bewiesen wurde keine der Anschuldigungen.

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