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Die Lange Nacht über den Schallplattenproduzenten Joe Boyd
"White Bicycles"

Er war dabei, als Bob Dylan 1965 in Newport auftrat, er war dabei, als Pink Floyd ihren ersten Auftritt im Londoner Undergroundclub UFO hatten, und beim Blues-Revival der 60er-Jahre war er sowieso dabei als Begründer desselben.

Von Knut Benzner | 02.07.2016
    Ein Plakat des Films "Clockwork Orange" in einer Ausstellung über den Regisseur Stanley Kubrick in der Cinematheque Francaise in Paris.
    Joe Boyd war unter anderem zuständig für die Filmmusik von 'Clockwork Orange' (picture alliance / dpa / EPA / Ian Langsdon)
    Joe Boyd, 1942 in Boston, Massachusetts, geboren, hat in Harvard studiert. Durch puren Zufall wurde er Tourmanager und war mit den Blues-Größen jener Zeit unterwegs, mit Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Sonny Boy Williamson, Sonny Terry, Brownie McGhee und Big Joe Williams ...
    Boyds eigentliche Arbeit als Schallplattenproduzent begann 1965. Boyd kam nach London, um ein Büro für eine US-amerikanische Schallplattenfirma aufzubauen und wurde schnell zu einem Motor der britischen Folk-Musik. Er produzierte Fairport Convention, die Incredible String Band, Nick Drake und John Martyn - eigentümliche, versponnene, entrückte Musik oft, die so gar nichts mit den gängigen Klängen jener Zeit zu tun hatte.
    Boyd war zuständig für die Filmmusik von 'Clockwork Orange', er arbeitete mit Nico, mit Billy Bragg, mit R.E.M. und den 10.000 Maniacs. Sein 2007 erschienes Buch 'White Bicycles' ist mehr als eine Autobiografie. Es ist eine musikalische Reise durch die 60er-Jahre, voller Ideale, Enttäuschungen und Anfänge.

    Buchtipp:
    Joe Boyd: "White bicycles", Kunstmann-Verlag 2007
    Joe Boyd war als Entdecker und Produzent von Fairport Convention, The Incredible String Band, John Martyn, Nick Drake u.v.a. sowie als Gründer des Londoner UFO Clubs, wo Pink Floyd und Soft Machine ihre Karrieren starteten, der Anreger der psychedelischen Folk-Rock-Szene. Bereits als Jugendlicher hatte Boyd dem vergessenen Bluessänger Lonnie Johnson zu einem Comeback verholfen, tourte schon bald darauf mit Blues- und Jazz-Galas und und war 1965 als Stage-Manager beim Newport-Festival Zeuge von Bob Dylans Übertritt zur E-Gitarre. "White Bicycles" ist ein blitzgescheites Musikbuch über eine Ära, von der die Popmusik zehrt. Es ist aber auch die Geschichte eines Mannes, der immer mit dem richtigen Job zur richtigen Zeit am richtigen Ort war - außer vielleicht gegen Ende seiner Produzentenkarriere, als Boyd nur kurzzeitig eine schwedische Folkband betreute, die wenig später unter dem Namen ABBA in die Pop-Charts durchstarten sollte.
    Der Autor und Plattenproduzent Joe Boyd
    Der Autor und Plattenproduzent Joe Boyd (picture alliance / dpa - Anne-Marie Briscombe)
    Zitate aus Joe Boyd "White bicycles":
    "Die 60er, das ist eine Geschichte mit einem Anfang, einem Mittelteil und einem Ende. Mein Leben hat keinen Anfang, keinen Mittelteil und kein Ende, es streift umher, es hat keine dramatische Struktur."
    "Die 60er begannen 1956 und endeten 1973. Der Grund, warum sie 1973 endeten war der, dass der Ölpreis stieg. Dieser Umstand veränderte die Leichtigkeit des Lebens. Bis dahin konnten die Leute einfach ein bisschen arbeiten - und leben. Sie hatten Zeit, Songs zu schreiben und Drogen zu nehmen und umher zu reisen und an etwas glauben und auf ihren Instrumenten üben. Niemand glaubte an Karriere, an Hypotheken, an Krankenversicherungen, ... an so was dachte niemand."
    Linktipp: Website Joe Boyd
    Joe Boyd:
    "Ja, ich fühle mich überall wohl. Der einzige Ort, an dem ich mich ab und an unwohl fühlte, war meine Heimatstadt in New Jersey. Ich dachte: Ich muss weg hier. Als ich dann in New York war, war es ok."
    Was ist ein Schallplattenproduzent?
    Formal jemand, der Schallplatten – oder CDs – in Presswerken produziert oder produzieren lässt. Real jemand, der mit der Leitung einer Musikaufnahme etwa in einem Tonstudio beauftragt ist. Englisch: Producer. Zurück übersetzt: Aufnahmeleiter.
    Joe Boyd.
    "Ich hatte einen eigenartigen familiären Hintergrund, denn wir waren schweigsam arm, kamen aber aus reichem Erbe. Urgroßväter mit ziemlich viel Geld, Großväter mit viel weniger Geld, das Vermögen zerstörend – und Eltern mit gar nichts. Jedoch mit einer Haltung, die war, als sei Geld da. Mein Vater hat nie Kompromisse geschlossen, er tat das, an was er glaubte – man hatte die Zuversicht, dass Geld kommen würde, irgendwie. Ich glaube, ich habe das geerbt, diese Betrachtungsweise."
    "Als wir uns in Princeton alte Schallplatten anhörten, waren wir besessen von der Vergangenheit. Wir versuchten, den Schleier der Zeit zu zerreißen und zu begreifen, wie sie sich anfühlte, wie sie klang, aussah, schmeckte. Am Harvard Square und in London traf ich viele Menschen, die sich mit ähnlichen Dingen beschäftigten – und sie kamen mir nicht im Geringsten ungewöhnlich vor. Als nach und nach die alten Bluessänger wieder auftauchten, jagte mir das einen erregenden Adrenalinschub durch die Adern. Die Tatsache, dass ich Gary Davis, Lonnie Johnson und sogar Coleman Hawkins kennengelernt hatte oder mit ihnen auf Tour gewesen war, wappnete mich gegen eine Unmenge Enttäuschungen."
    Linktipp: Die Website von dem Freund Boyds Geoff Muldaur
    Weitere Buchtipps:
    Camenisch, Reto -
    Bluesland
    Ott Verlag
    Cheeseborough, Steve
    blues TRAVELING
    University Press of Mississippi
    Graham, Robert & Baty, Keith
    Elvis-Sein Roman
    Fischer Verlag
    Kriegel, Volker
    Der Rock'n'Roll-König
    Rowohlt Verlag
    Bölke, Peter
    Deep South
    edel
    Marcus, Greil
    Bob Dylans
    Like A Rolling Stone
    Kiepenheuer & Witsch
    Wald, Elijah
    Vom Mississippi zum Mainstream
    R&B
    Warner, Alan
    Who Sang What In Rock'n'Roll
    Blandford

    Schallplatten und CDs:
    Joe Boyd
    white bicycles - making music in the 60s/the Joe Boyd story
    Davis, Rev. Gary
    A Little More Faith
    Drake, Nick
    Five Leafes Left
    Hopkins, Lightnin'
    Mojo Hand: The Lightnin'
    Hopkins Anthology
    Hopkins, Lightnin'
    it's a sin to be rich
    Hurt, Mississippi John
    The Complete Recordings
    James, Skip
    Heroes of The Blues
    The Very Best of Skip James
    Krause, Dagmar
    Supply & Demand
    Muldaur, Geoff
    Is Having A Wonderful Time
    Muldaur, Geoff & Muldaur, Maria
    Pottery Pie
    Nico
    Desertshore
    Pink Floyd
    The Piper At The Gates of Dawn
    R.E.M.
    Fables Of The Reconstruction
    White, Bukka
    Memphis Hot Shots
    Williamson II, Sonny Boy
    Don´t Send Me No Flowers
    Wolf, Howlin'
    Howlin' Wolf
    Various Artists
    American Folk Blues Festival `63 - `68
    Various Artists
    The Lost Blues Tapes
    Various Artists
    Way To Blue - The Songs of Nick Drake

    Filme:
    Festival!
    von Murray Lerner, 1967, über das Newport Folk
    Festival der Jahre 1963 - 1965
    Jimi Hendrix
    Dokumentation von Joe Boyd, 1973
    London '66–'67
    Film/EP von Joe Boyd, 1995
    The Sixties
    The Years That Shaped a Generation, Film von PBS, 2005
    ART & the 60s
    BBC4-Dokumentation, 2004
    Something's Happening a.k.a The Hippie Revolt 1967
    Dokumentation, Belish Production,
    Rebels: A Journey Underground #3/Turn On the Revolution?
    Dokumentation von Kevin Alexander,