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Wie die Heuschrecken über uns kamen

Finanz-Redakteur
Eine Heuschrecke: Über Sinn und Unsinn der Metapher Eine Heuschrecke: Über Sinn und Unsinn der Metapher
Eine Heuschrecke: Über Sinn und Unsinn der Metapher
Quelle: Getty Images
Vor genau fünf Jahren prägte Franz Müntefering den Vergleich von modernen Finanzinvestoren mit den gefräßigen Insekten. Doch in den folgenden Jahren hat der Begriff sich noch weiter gewandelt. Eine nicht ganz rühmlich Rolle spielt dabei der frühere Finanzminister Peer Steinbrück.

Sie hatte es fast geschafft. Ihr Image, das durch die Bibel reichlich ramponiert war, hatte die Heuschrecke in einem mühsamen Prozess aufpoliert. In der Fabel konnte sie sich durch ihr Zirpen zunächst bei den Ameisen rehabilitieren, dann nannte sich ein sympathischer Zürcher Fußballverein „Grasshopper“, und schließlich wuchsen die geburtenstarken Jahrgänge mit der Erkenntnis auf, dass die Tiere im wahren Leben Flip heißen und die väterlichen Gefährten von Bienen namens Maja sind – hü-hüpf!

Doch dann kam Franz Müntefering. Vor genau fünf Jahren zerrte er das arme, unschuldige Insekt ins Licht der Öffentlichkeit, projizierte es wie ein modernes Menetekel in die Schaufenster des anlaufenden Bundestagswahlkampfs und lieferte – ganz dem biblischen Daniel nacheifernd – auch gleich noch die Erklärung seiner Erscheinung.

„Manche Finanzinvestoren verschwenden keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernichten – sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ („Bild am Sonntag“-Interview, 17. April 2005)

Ausgerechnet ein führender Sozialdemokrat bediente sich damit einer perfiden Terminologie aus der Zeit des Dritten Reiches. Damals diskreditierte die Propaganda gezielt Minderheiten und Religionsgruppen, indem sie sie mit Tieren verglich. Der Tabubruch gelang, vielleicht auch weil „Heuschrecke“ besonders beängstigend klingt. Schon aufgrund des Wortbestandteils „Schrecke“ – es assoziiert mit Wörtern wie erschrecken, Schreckensherrschaft. Dabei geht das Wort etymologisch einfach nur auf das Althochdeutsche „schricken“ zurück, was springen bedeutet.

Kaum hatte Müntefering gesprochen, hüpften die Tierchen fortan durch Talkshows, zirpten an bierdunstvernebelten Stammtischen und tauchten im Wochenrhythmus als Illustration von Artikeln der „Financial Times Deutschland“ auf. Den wenigsten war jedoch klar, was Heuschrecken eigentlich sind.

Alle Grashüpfer, deren deutlich gegliederte Fühler die halbe Länge des gestreckten Körpers nicht überholen, deren durchaus gleich gebildete Füße aus drei Gliedern bestehen und deren hinterste Beine infolge des verdickten Schenkels und der langen Schiene zum Sprunge befähigen, gehören zu den Feldheuschrecken oder den Heuschrecken im engeren Sinne des Wortes. Sie sind die besten Springer in der Familie und schnellen sich, wie der Floh, ungefähr um das Zweihundertfache der eigenen Länge fort. (Brehms Tierleben, 1884)

Es waren jedoch weniger die verdickten Schenkel, die Müntefering zu seinem Vergleich veranlassten. Auslöser war aller Wahrscheinlichkeit nach ein Fall aus seiner sauerländischen Heimat. Dort war kurz zuvor der Badarmaturenhersteller Grohe von einem Eigenkapitalfonds – mit dem englischen Fachbegriff: Private-Equity-Fonds – an den nächsten verkauft worden, offenbar viel zu teuer. Die Schulden halste der neue Besitzer dem Unternehmen auf, das sodann von der Zinslast schier erdrückt wurde. In der Folge wurden Mitarbeiter entlassen und die Produktion teilweise ins Ausland verlagert.

Von Anfang an griff die Metapher jedoch auch auf andere Mitglieder der Finanzgemeinde über, insbesondere die Hedgefonds-Manager. Sie spekulieren an den Märkten auf steigende oder sinkende Kurse, auf Zinsen, Aktien oder Rohstoffe. Sie sitzen oft in überseeischen Steueroasen, kaum kontrolliert und somit außerhalb des Blickes des deutschen Finanzministers. Das Geschäftsmodell ist ein völlig anderes als jenes der Private-Equity-Fonds, aber das kümmerte nur wenige.

Reinhold Beckmann: Zwischendurch mal knackig, kurz erklären: „Hedgefonds“ –

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Peer Steinbrück: Mit wenig Eigenkapital nehmen sie viel Fremdkapital auf, kaufen Firmen maßgeblich auf, zerlegen die, verkaufen Firmenanteile wieder.

Susanne Schmidt: Ich würde das eher Private Equity nennen. (in der Sendung „Beckmann“ vom 12. April 2010)

Ein ehemaliger Finanzminister, der jahrelang mit Vehemenz für eine weltweite, stärkere Regulierung von Hedgefonds gekämpft hat, verwechselt diese offenbar mit Private-Equity-Fonds. Das mag dem Laien unerheblich erscheinen. Er würde sich jedoch sicherlich wundern, wenn der Verkehrsminister eine Tankstelle mit dem Hauptbahnhof verwechseln würde.

Doch die Debatte ist längst entgleist. Heuschrecken sind inzwischen alle, die ihr Geld an den Finanzmärkten verdienen, insbesondere die immer gern gebrandmarkten Spekulanten. Dabei wird gern vergessen, dass die Spekulation eines der ältesten Gewerbe der Welt ist. Denn just dort, wo uns auch schon die Heuschrecken begegneten, taucht auch der erste Spekulant auf: in der Bibel. Als Joseph dem Pharao dessen Traum deutete und sieben fette und daraufhin sieben magere Jahre prophezeite, hatte er auch gleich einen Rat für ihn parat:

Nun sehe Pharao nach einem verständigen und weisen Mann, den er über Ägyptenland setze, und schaffe, dass er Amtleute verordne im Lande und nehme den Fünften in Ägyptenland in den sieben reichen Jahren und sammle alle Speise der guten Jahre, die kommen werden, dass sie Getreide aufschütten in Pharaos Kornhäuser zum Vorrat in den Städten und es verwahren, auf dass man Speise verordnet finde dem Lande in den sieben teuren Jahren, die über Ägyptenland kommen werden, dass nicht das Land vor Hunger verderbe. (1. Mose 41, 33 – 36)

Letztlich beschreibt dies die Spekulation, denn was ist sie anderes als unternehmerisches Handeln, geleitet von Markterwartungen. Dies machen Bauern seit Jahrhunderten, und in den USA wird diese Art der Spekulation auch schon seit Jahrzehnten an Börsen praktiziert, den sogenannten Warenterminbörsen, an denen Schweinehälften, Getreide oder Orangensaftkonzentrat mit Vorauskontrakten gehandelt werden. Dies glättet die Wellenbewegungen bei Angebot und Nachfrage, sichert die Produzenten ab und bewahrt die Konsumenten vor extremen Preisschwankungen.

Dies zeigt: Spekulation an sich ist nichts Schlechtes, im Gegenteil, sie sorgt für größere Transparenz und geringere Schwankungen an den Finanzmärkten. Allerdings kann sie durchaus gefährlich werden, und zwar dann, wenn sie überbordet, wenn sie nicht mehr die Finanzmärkte ergänzt, sondern sie beherrscht. Genau dies ist in den vergangenen Jahren passiert, vor allem weil ein wesentlicher Grundsatz der Spekulation missachtet wurde:

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Kaufen Sie niemals Aktien auf Kredit! (André Kostolany, 1906–1999)

Finanzinvestoren haben nicht mehr ihr eigenes Geld für die Spekulation eingesetzt, sondern das der Banken. Geld, das sie sich günstig geliehen haben, so günstig, dass es fast schon sträflich gewesen wäre, darauf zu verzichten. Die Notenbanken machten es ihnen leicht, mit ihren Minizinsen. Die Sparer machten es ihnen leicht, weil sie jedem ihr Geld gaben, der ein angenehmes Lächeln aufsetzte. Die Aufsicht machte es ihnen leicht, weil sie viel zu oft wegschaute.

So konnte sich die Spekulation ausweiten, ungesunde Dimensionen annehmen, solchen Umfang, dass nun doch der Vergleich mit dem Heuschreckenschwarm zutrifft. Entscheidend ist dabei jedoch: Die Heuschrecke an sich ist ein nützliches Tier. Sie hat in ihrer biologischen Nische einen Zweck zu erfüllen. Zur Plage wird sie erst, wenn man sie päppelt und ihr die Gelegenheit gibt, sich maßlos zu vermehren. Und ebenso verhält es sich mit der Spekulation.

Heute sind wir damit beschäftigt, die kahl gefressenen Märkte wieder aufzupäppeln und die Heuschreckenschwärme zu bändigen, um in Münteferings Bild zu bleiben. Sprich: Eine neue Finanzordnung mit mehr Kontrolle, mehr Transparenz und weniger Spekulation auf Kredit wird wohl die Folge sein.

Die Heuschrecke jedoch bleibt weiterhin unschuldig. Sie bleibt einfach ein Tier, das wie jedes andere seinen Platz in der Fauna dieser Welt hat. Sie ist ein nettes kleines Wesen, das lieblich zirpt und zudem noch gut schmeckt. Wer dies nicht glaubt, kann auf www.braidysnack.de vorbeischauen.

Sie sind schockgefroren, gesäubert, gekocht und essfertig. Tüte enthält 10 g (ca. 4–5 Heuschrecken), 5,40 Euro, Preis zzgl. Versand

Guten Appetit!

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