Scheuer und die Stickoxide Grenzwertige Folgefehler
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) ist in akademischen Fragen nicht über alle Zweifel erhaben. Seine Promotion, die er an einer Prager Universität erworben hat, war nur ein sogenanntes "kleines Doktorat". Den Doktortitel durfte er in Deutschland nicht führen, trotzdem tat er es jahrelang. Dennoch darf man unterstellen, dass der Unionsmann eine geübte Praxis in der Wissenschaft kennt, die sich Peer Review nennt: Forschungsergebnisse jedweder Art durchlaufen die Kontrolle von Fachkollegen, bevor sie in Wissenschaftsmagazinen veröffentlicht werden.
Das gilt für die Erkenntnisse, die der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Grundlage für den Grenzwert für Stickoxide von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft dienten. Ein Wert, der in Deutschland in vielen Städten überschritten wird.
Eine solche wissenschaftliche Begutachtung seiner Thesen kann der Lungenarzt Dieter Köhler allerdings nicht vorweisen. Er behauptete vergangenen Monat, dass "höchste wissenschaftliche Unsachlichkeit" zu dem Stickoxid-Grenzwert geführt habe. Genau diese Unsachlichkeit konnte ihm jetzt die "taz" in einer exzellenten Recherche nachweisen.
Scheuer hat jetzt ein Problem
Der emeritierte Professor aus dem Sauerland musste zugeben, falsche Berechnungen für seine harten Vorwürfe gegen die wissenschaftliche Grundlage für die Dieselfahrverbote angestellt zu haben. Das ruiniert seine Glaubwürdigkeit und blamiert auch die über 100 Unterstützer seines Aufrufes, den sie in Funk und Fernsehen großflächig verbreitet haben. Vor allem aber hat Verkehrsminister Scheuer jetzt ein Problem. Denn der hat sich diese Aussagen ohne kritische Prüfung ihrer Validität zu eigen gemacht und gefordert: "Der Aufruf der Lungenärzte muss dazu führen, dass die Umsetzung der Grenzwerte hinterfragt und gegebenenfalls verändert wird." Das sagte der Bayer auf Anfrage der "Bild"-Zeitung, die mit der Aussage Scheuers, einem Mitglied der Bundesregierung, ihre Kampagne gegen die Fahrverbotsklagen der Deutschen Umwelthilfe weiter befeuern konnte.
Scheuer wollte so offenbar auf der Empörungswelle reiten, die gerade gegen Dieselfahrverbote durch das Land schwappt. Es funktioniert allerdings nicht, in der Regierung zu sitzen und gleichzeitig die AfD rechts überholen zu wollen. Und schon erst recht nicht, wenn man sich dafür einen unzuverlässigen Kronzeugen aussucht, der emeritierter Lungenarzt mit akuter Dyskalkulie ist. Scheuer hat damit die Bürger gegen die Wissenschaft als Autorität aufgescheucht, aber letztlich auch gegen sich selbst: Denn seine Aufgabe ist es, dreieinhalb Jahre nach Bekanntwerden des Dieselskandals dieses Gesundheitsproblem in Deutschland zu lösen.
Statt Nebelkerzen zu werfen, hätten Scheuer und sein Vorgänger im Amt des Verkehrsministers, Alexander Dobrindt, die Autoindustrie zu Hardware-Nachrüstungen an Dieselfahrzeugen zwingen müssen, damit die Luft in den Städten sauberer wird. Dazu hätten sie die Manipulationen und Trickserein an der Software der Dieselfahrzeuge nicht nur bei VW, sondern auch bei den anderen Herstellern als illegal einstufen müssen. Das wäre bei mutiger Auslegung der europäischen Abgasgesetzgebung möglich gewesen, und ein wirksamer Hebel, die Autoindustrie zu technischen Nachrüstungen zu zwingen.
Die Bürger sind zu Recht wütend
Doch Dobrindt und Scheuer wollten die Autoindustrie nicht zu hart rannehmen. Mit dem Resultat, dass die Stickoxid-Werte in den deutschen Innenstädten nicht so schnell sinken, um Fahrverbote zu verhindern. Die Bürger sind zu Recht wütend darüber, dass die Politik erst dabei versagt hat, die Einhaltung von Abgaswerten zu kontrollieren, und dann dabei, das Problem zu lösen.
Von diesem Versagen wollte Scheuer mit dem Lungenarzt aus dem Sauerland und seinen kruden Thesen ablenken. Jetzt müsste er erkennen, dass er auf den falschen Wissenschaftler gesetzt hat - zeigt sich aber nicht einsichtig, sondern lässt ausrichten, Köhlers Aufruf habe "einen Impuls zur Debatte" gesetzt. Dass es sich dabei um einen unsinnigen und schädlichen Impuls handelte, scheint Scheuer nicht zu stören.
Bundeskanzlerin Angela Merkel, eine promovierte Physikerin, hätte das Treiben ihres Ministers schneller unterbinden müssen. Jetzt ist es ihre Pflicht, das schwelende Dieselproblem selbst zu lösen.