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"Die WestLB hätte pleitegehen sollen"

WestLB WestLB
Zentrale der WestLB in Düsseldorf
Quelle: dpa
Der frühere Vorstandsvorsitzender der WestLB geht mit der Finanzbranche und den Staatshilfen hart ins Gericht. "Eine Bank zu retten, wirkt nicht. Wenn sie Pleite geht – das wirkt", sagt der ehemalige Banker WELT ONlINE. Großen Kummer bereiten ihm die Folgen der Staatshilfen: Die drohende Inflation.

WELT ONLINE: Herr Poullain, über 30 Jahre nach Ende Ihrer Amtszeit bei der WestLB ist das Vertrauen in die Finanzbranche wegen vieler Exzesse an den internationalen Kapitalmärkten zerstört. Waren Bankmanager zu Ihrer Zeit moralischer als heute?

Ludwig Poullain: Ich glaube nicht, dass wir damals mehr Moral hatten als heute Josef Ackermann oder andere Manager. Aber die Verführung durch finanzielle Anreize war nicht so groß. Meine Managergeneration hatte zudem den Aufbruch der Nachkriegszeit miterlebt und ein anderes Verantwortungsgefühl für die deutschen Unternehmen. Ich hatte damals fast zu allen Bankvorständen ein freundschaftliches Verhältnis. Mit Deutsche Bank-Chef Friedrich Wilhelm Christians saß ich nächtelang bei Industriekunden zusammen, wir haben gemeinsam deren Finanzierungsprobleme gelöst. Und uns bei jeder Entscheidung gefragt: Welche Folgen hat das, was wir tun, für die Volkswirtschaft?

WELT ONLINE: Aber auch Ihre Generation war nicht frei von Makeln: Sie selbst mussten 1977 abtreten, weil Sie ein Beraterhonorar über eine Million Mark von einem Finanzmakler angenommen hatten, der später auch Kunde der Bank war.

Poullain: Ich habe mich falsch verhalten und die Konsequenzen daraus gezogen. Vor Gericht wurde ich am Ende von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen. Dennoch bin ich froh, dass mir dieser Fehler passiert ist. Denn mit meiner WestLB wäre ich sowieso gescheitert – am Einfluss der Politik, die den längeren Atem hatte. Spätestens zwei oder drei Jahre danach hätte ich ohnehin aufgegeben.

WELT ONLINE: Heute müssen sich sowohl Banken- wie auch Industriemanager vorwerfen lassen, sie seien unangemessene Risiken eingegangen. Was verleitet Menschen zu Entscheidungen, die sich im Nachhinein als so offensichtlich falsch oder zu riskant herausstellen?

Poullain: Zunächst einmal gibt es die Mikrobe der menschlichen Dummheit. (lacht) Die ist nicht zu vernachlässigen. Dazu kommen in vielen Fällen falsche Ratgeber. Und nicht zuletzt sind es in vielen Fällen Geltungssucht, Eitelkeit und Gier. Da werden die Risiken schnell unterschätzt.

WELT ONLINE: Ist unser Wirtschaftssystem Schuld, das diese Exzesse auslöst oder zumindest nicht verhindert?

Poullain: Nein, das ist in den Menschen angelegt – in unterschiedlicher Ausprägung, aber es ist da. Und man muss sehr alt werden, um sich davon frei zu machen.

WELT ONLINE: Da das nur den wenigsten Menschen gelingt: Müsste nicht der Staat eingreifen, um solche Entwicklungen einzudämmen?

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Poullain: Ich bin ein Liberaler. Ich halte nichts von Eingriffen des Staates. Wenn es Auswüchse gibt, muss die Gesellschaft selbst damit fertig werden, das ist nicht Aufgabe des Gesetzes. Der Markt hat ja nicht versagt – sondern es hat Menschen gegeben, die die Freiheit der Märkte missbraucht haben. Der Markt ist dann aber zumindest so gerecht, dass er diejenigen beseitigt, die sich unredlich verhalten.

WELT ONLINE: Davon ist aber bislang nicht viel zu sehen. Die Investmentbanker sind schon wieder prächtig im Geschäft, und die Regulierung der Finanzmärkte stockt.

Poullain: Ich sage ja auch nicht, dass das sofort passiert. Das ist ein langer gesellschaftlicher Prozess. Wenn die Politik versucht, ihn zu beschleunigen, ist das eher Effekthascherei. Wenn es auf dem Markt eine Nachfrage nach bestimmten Produkten gibt, dann befriedigt sie der Markt. Wir sollten nicht vergessen, dass es auch auf der Seite der Nachfrager Gier gab – nach hochverzinslichen Produkten.

WELT ONLINE: Wenn die Gier auf beiden Seiten zurück ist – steht uns dann die nächste Finanzkrise bereits bevor?

Poullain: Ich glaube ja. Zumal diejenigen, die riskante Geschäfte heute betreiben, sich sicherer fühlen können als je zuvor, und das aus zwei Gründen: Erstens wissen sie, dass ihr Institut gerettet wird, wenn sie damit auf die Schnauze fallen. Zweitens wissen sie, dass auch ihnen selbst nichts passiert, wenn sie sich nicht zu dumm anstellen.

WELT ONLINE: Sie erhoffen sich also nichts von den zahlreichen Ermittlungen gegen Banker wie etwa im Fall der LBBW?

Poullain: Nein, das bringt doch nichts. Wenn es um Untreueverdächtigungen geht, können sich Banker wie auch Industrieunternehmer stets darauf berufen, immer nur zum Wohl des Unternehmens gehandelt zu haben. Ihnen böse Absichten nachzuweisen, ist fast unmöglich. Und außerdem: Wenn Sie einen Manager nach jeder Fehlentscheidung vor Gericht bringen können, würde niemand mehr ein unternehmerisches Risiko eingehen.

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WELT ONLINE: Wenn alles ohne Folgen bleibt und niemand etwas aus der Krise lernt – war sie dann also womöglich einfach nicht schlimm genug?

Poullain: So ist es. Insofern waren auch die Staatshilfen falsch – denn sie haben für eine Linderung der Krise gesorgt.

WELT ONLINE: Wir haben 2009 den größten Wachstumseinbruch in der Nachkriegsgeschichte erlebt, ganze Wirtschaftszweige kollabieren, Länder stehen möglicherweise vor dem Staatsbankrott. Wie schlimm muss es denn noch kommen?

Poullain: Niemand macht sich derzeit Gedanken etwa über die astronomische Staatsverschuldung, die in Kauf genommen wurde, um die Banken und die Wirtschaft zu stabilisieren. Sie wird nur schleichend über eine Inflation abgebaut werden können. Hätte die Bundesregierung solche Maßnahmen zu meiner Zeit als Bankchef getroffen, wäre sie gestürzt worden. Denn die Menschen kannten die Inflation aus eigenem Erleben. Sich heute an diese furchtbare Zeit zu erinnern ist so, als ob man versucht, sich Schmerzen vorzustellen, ohne welche zu haben. In der Krise, die wir jetzt erlebt haben, hatten einige Leute ein paar Nächte Angst um das mühsam Ersparte. Mehr war das nicht. Diese Krise wirkt nicht nach.

WELT ONLINE: Hätte man auch die WestLB Pleite gehen lassen sollen – der Wirkung wegen?

Poullain: Grundsätzlich bin ich der Auffassung: Eine Bank zu retten, wirkt nicht. Wenn sie Pleite geht – das wirkt. Das halte ich auch im Fall der WestLB für wahr. Allerdings sind das Land Nordrhein-Westfalen wie auch die Sparkassen über die Haftung für Risiken aus der Zeit der Gewährträgerhaftung schicksalhaft mit der Bank verbunden. Keiner der Beteiligten konnte Interesse an einer Insolvenz haben. Was mich ärgert, ist, dass der Zeitpunkt verpasst wurde, sich Gedanken über die Zukunft der Bank zu machen, als dafür noch Zeit war. Stattdessen wird nun darum gerungen, heute das Notwendige zu tun, um morgen überhaupt noch zu erleben. Es hätte gar nicht erst so weit kommen dürfen, dass sie gerettet werden musste.

WELT ONLINE: Wie konnte es denn dazu kommen?

Poullain: Der Keim für diese Entwicklung lag schon darin, dass die nordrhein-westfälischen Sparkassen die Mehrheit an der Bank übernahmen. Sie brachten sie dazu, wesentliche Bestandteile ihres Geschäfts preiszugeben: die Bausparkasse, die Beteiligung an der Provinzial-Versicherung – und nicht zuletzt auch das Geschäft mit Privatkunden, das damit unwiederbringlich verloren war. Die Sparkassen haben die Bank damit geschwächt und dadurch selbst gewonnen. Aber nicht so viel, wie sie jetzt draufzahlen müssen, um die Bank zu retten.

WELT ONLINE: Also waren die Sparkassen schuld?

Poullain: Wenn sie ihr den Platz gegeben hätten, auch in ihren Feldern zu grasen, dann wäre die Bank jedenfalls nicht so sehr gezwungen gewesen, sich Ersatz für ihr originäres Geschäft zu suchen. Auf der anderen Seite fehlte aber auch die Vision innerhalb der WestLB. Ich habe in den neunziger Jahren einmal zum damaligen Vorstandschef Friedel Neuber gesagt: Komm, mach doch mal die Schublade auf und zeig, was mit der Bank werden soll, wenn die Gewährträgerhaftung abgeschafft wird. Da hat er gesagt: Dafür brauchen wir keinen Plan, das wird nicht passieren. Dann ist es doch passiert.

WELT ONLINE: Infolge ihrer Planlosigkeit hat die WestLB ein großes Rad am Kapitalmarkt gedreht und Milliarden verloren. Heute wird sie im Streit zwischen ihren Eigentümern zerrieben. Könnte der Bund als künftiger Anteilseigner ein Machtwort sprechen?

Poullain: Das ist auch meine Hoffnung – nicht zuletzt, weil SoFFin-Chef Hannes Rehm ebenso wie sein Vorgänger Günther Merl ein Schüler von mir ist. Alle meine Leute haben Karriere gemacht. (lacht) Wenn ich sehe, wie verbiestert das Land und die Sparkassen hier sind, dann wird es Zeit, dass ein anderer Geist einkehrt. Der SoFFin sollte die Eigentümer der Bank zur Ordnung rufen – und fragen: Wo hat diese Bank ihren Platz in der Sparkassenorganisation? Wenn sie weiter bestehen soll, müssen ihre Aufgaben neu definiert werden.

WELT ONLINE: Womöglich also eine Chance für die seit langem diskutierte Landesbankenkonsolidierung?

Poullain: Fusionen auf horizontaler Ebene würden nichts bringen. Was haben Sie davon, zwei oder drei Institute zusammen zu schieben? Der Kern wird größer, aber die strukturellen Probleme bleiben. Eine Konsolidierung auf vertikaler Ebene hingegen, also die Fusion von Landesbanken mit Sparkassen, ist sparkassenpolitisch bis auf wenige Ausnahmen nicht erwünscht. Dabei zeigen die Beispiele NordLB und Helaba, dass das hervorragend funktionieren kann.

WELT ONLINE: Welcher Weg bleibt dann denn noch?

Poullain: Die Landesbanken nehmen heute nur noch etwa die Hälfte der Funktionen für die Sparkassen wahr, die sie zu meiner Amtszeit noch hatten. Die Sparkassen sind unabhängiger geworden und könnten auch mit einer Landesbank auskommen. Aber erst einmal müssen sie die in Schieflage geratenen Institute aus dem Schlamassel ziehen. Und sie dann hübsch machen, damit ihre Beteiligungen wieder etwas wert sind. Vielleicht kommen die Sparkassen dann ja auch auf die Idee, sie zu behalten. In jedem Fall sind die Spielräume selbst für eine funktionierende Landesbank ungeheuer klein.

WELT ONLINE: Sie haben vor fünf Jahren in Ihrer „ungehaltenen Rede“ die Bankenwelt scharf angegriffen, ihr Sittenverfall, unredliches Handeln vorgeworfen. Würden Sie sie heute, mit Blick auf die Finanzkrise, noch einmal genau so formulieren?

Poullain: Ich würde sie noch verschärfen und um aktuellere Beispiele anreichern. Ich würde hinzufügen, dass die Banker nicht nur die Finanzkrise ausgelöst, sondern auch weitgehend die Sitten verdorben haben. Sie haben Nachahmungstäter gefunden in anderen Bereichen. Und ich würde darauf hinweisen, welche gravierenden gesellschaftlichen Folgen das alles hat.

WELT ONLINE: Sie hatten die Rede zum Abschied des damaligen NordLB-Chefs Manfred Bodin halten wollen. Wegen der Kritik darin hat man es Ihnen verboten. Glauben Sie, Sie dürften sie heute halten?

Poullain: Nein. Man würde mich auch heute nicht lassen. Aber ich rede heute sowieso lieber vor jungen Leuten, etwa an der Universität Witten-Herdecke. Dort ist die ungehaltene Rede sogar Pflichtlektüre im zweiten Semester.

WELT ONLINE: Was sagen Sie den Studenten?

Poullain: Dass es ihnen nicht gelingen wird, diese Generation von Entscheidern zu verändern. Aber danach sind sie selber dran. Ich sage ihnen: Lasst euch nicht anmachen von Vorbildern in Nadelstreifen. Viele junge Leute sind besessen, etwas zu verändern. Auf sie setze ich, nicht auf Worte. Die sind vergeblich.

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