Alle reden von der schleppenden Konjunktur, aber wichtiger ist, was langfristig Wachstum schafft. Wie aber entsteht Wachstum?

Thomas Robert Malthus hat zum Glück nicht Recht behalten. Der britische Ökonom lebte vor 200 Jahren und war der Überzeugung gewesen, dass der Wohlstand der Menschen auf Dauer nicht wachsen könne. Wachstum sei zwar grundsätzlich möglich, so seine Theorie, aber nur für die Gesellschaft, nicht für den Einzelnen.

Malthus‘ Begründung: Steigt der Wohlstand, nimmt die Geburtenrate zu und die Sterblichkeit sinkt. Die Wohlstandssteigerung etwa in Form wachsender Güterproduktion verteilt sich dann auf mehr Köpfe. Der Einzelne habe folglich nur annähernd gleich viel wie vor dem Wohlstandsanstieg zur Verfügung. Außerdem sei Ackerland nicht unendlich erweiterbar, auch dies begrenze die Wachstumsmöglichkeiten.

Jedem Aufschwung wohne bereits der Niedergang inne, war Malthus überzeugt gewesen. Und die Vergangenheit hatte ihm Recht gegeben: Die Einkommen waren mehrere hundert Jahre trotz neuer Produkte und Produktionsmethoden kaum von der Stelle gekommen.

Seit Malthus‘ Lebzeiten hat sich der Wohlstand vervielfacht, die Lebenserwartung verdoppelt und die Wochenarbeitszeit halbiert. Was sich der Ökonom, der selbst sieben Geschwister hatte, nicht vorstellen konnte: Ab einem gewissen Wohlstandsniveau sinkt die Geburtenrate. Sobald die Wachstumsrate die Geburtenrate übersteigt, legt dann auch das Pro-Kopf-Einkommen zu.

Maltus hat nicht Recht behalten, seine Überlegungen zeigen aber anschaulich, an was es zu jener Zeit am meisten fehlte: an Kapital. Die Bevölkerung seines Heimatlandes England war im Zeitraum zwischen 1780 und 1850 von 8 auf 18 Millionen explodiert (Fakten zur industriellen Revolution).

Die Menschen begannen in die Städte zu drängen und in den Fabriken des Industriezeitalters eine Anstellung zu finden. Doch so viele Maschinen waren gar nicht zu finanzieren, wie Menschen daran hätten arbeiten wollen. Die Arbeitslosigkeit dieser Zeit war nicht Folge mangelnder Nachfrage, sondern zu geringer Produktionskapazitäten – es fehlte Kapital.

Die damaligen Ökonomen machten sich folglich vor allem darüber Gedanken, wie man dieses Kapital möglichst schnell mehren könne. Die einfache Losung: wenig konsumieren, viel sparen. Je mehr eine Gesellschaft spart, desto mehr Kapital häuft sie an, desto höher wird ihr Wohlstand in der Zukunft sein.

Allerdings: Wer alles investiert und nichts konsumiert, der verhungert. Eine Sparquote von 1 (was bedeutet, dass das gesamte Einkommen gespart würde) kann also nicht das Ziel sein. Wie aber muss das Verhältnis von Konsum- und Sparquote aussehen, damit eine Volkswirtschaft maximal wächst?

Den Grundstein für die Antwort legte Robert M. Solow. Auch für den 1924 geborene US-Amerikaner war klar, dass Sparen wichtig für den Wohlstand einer Gesellschaft ist, da mit steigender Kapitalausstattung der Arbeitsplätze auch das Produktionsniveau pro Kopf zunimmt. Solow aber war der erste, der zeigen konnte, bis zu welcher Grenze eine Volkswirtschaft Kapital anhäuft.

Demnach steigt zwar mit zunehmendem Kapitaleinsatz auch das Produktionsniveau, da aber die Kapitalgeber immer die gewinnträchtigste Verwendung suchen, werden die Produktionszuwächse mit steigendem Kapitaleinsatz weniger werden. Denn zunächst werden die rentabelsten Projekte umgesetzt, danach die weniger gewinnbringenden. Da Kapitalgeber aber eine gewisse Mindestverzinsung erwarten, wird nur so viel Kapital in die Wirtschaft fließen, bis die Rentabilität auf diesen Mindestzinssatz gesunken ist.

Solow erhielt für die Begründung der so genannten neueren Wachstumstheorie 1987 den Wirtschaftsnobelpreis, es war aber der 1933 geborene Edmund S. Phelps, der mathematisch herleitete, was nun die optimale Sparquote ist. Die ergibt sich demnach, wenn der in einer Volkswirtschaft herrschende Zinssatz genau der Wachstumsrate dieser Volkswirtschaft entspricht. Dann optimiert eine Gesellschaft langfristig ihren Konsum.

Diese so genannte „Goldene Regel der Kapitalakkumulation“ ist intuitiv schwer zu verstehen. Was soll der Zinssatz mit der Wachstumsrate zu tun haben? Doch die Mathematik gibt Phelps Recht. Immerhin ist der Zusammenhang insofern verständlich, dass der Zinssatz nie dauerhaft oberhalb der Wachstumsrate liegen kann. Wäre dem nämlich so, würde sich jeder Kredit ganz einfach mit den zukünftigen Einnahmezuwächsen finanzieren lassen. Die Folge: Die Kreditnachfrage würde ins Unendliche wachsen. Das aber ist unrealistisch. Vielmehr würde wegen der großen Nachfrage der Zinssatz steigen, und zwar so lange, bis er wieder oberhalb der Wachstumsrate liegt.

Allerdings hatte Phelps eine Realität ausgeblendet. In seinen theoretischen Überlegungen spielt es nämlich keine Rolle, wann der Konsum stattfindet, heute oder in der fernen Zukunft. In Wirklichkeit haben die Menschen aber eine deutliche Präferenz für Konsum in der Gegenwart. Man will den neuen Flachbildfernseher eben lieber heute als morgen haben.

Der britische Mathematiker und Ökonom Frank P. Ramsey baute deshalb zeitliche Präferenzen in seine mathematischen Modelle ein. Die heute als Ramsy-Regel bekannten Ableitungen zeigen zumindest theoretisch, dass für eine Gesellschaft eine geringere als die von Phelps definierte optimale Sparquote angemessen ist. Tatsächlich liegt in der Realität das langfristige Zinsniveau auch immer über der Wachstumsrate.

Aber welche Bedeutung haben diese Erkenntnisse heute? Ist Kapital nicht mittlerweile reichlich vorhanden? Ja meistens, aber nur das Finanzkapital. Die knappe Ressource heute ist das Humankapital. Früher war es der Boden der Bauern, die Arbeitskraft der Industriearbeiter, das Kapital der Fabrikbesitzer, was Wohlstand schuf. Der größte Wohlstandsbringer unserer Zeit ist die Gedankenarbeit.

Die Kapitalknappheit zu Malthus‘ Zeiten ist also in anderer Form noch heute vorhanden. Da das Kapital mittlerweile aber stärker in den Köpfen der Menschen ist, beeinträchtigt eine Bevölkerungsveränderung weniger als früher den Wohlstand des Einzelnen. Eine beruhigende Erkenntnis.

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