Salzburg - Kann der gegenwärtige Ansatz des Emissionshandels helfen, die drohende Klimakatastrophe abzuwenden? Nein, war der Tenor bei der Tagung "Climate change, uneven development and power", die die Arbeitsgruppe Wirtschaftsgeografie an der Uni Salzburg am Wochenende veranstaltete. Denn die Klimakrise sei nichts anderes als ein Ausdruck der Krise des kapitalistischen Systems. Die Referenten propagierten stattdessen Konzepte eines "Ökosozialismus" oder gar "Ökokommunismus".

Stiefmütterlich behandelt

Der Klimawandel sei zwar ein durch und durch geografisches Thema - schließlich seien sowohl seine Effekte als auch die Verschmutzer, die zur Klimakrise beitragen, höchst ungleich auf der Welt verteilt -, dennoch sei das Thema in der Geografie in letzter Zeit nur stiefmütterlich behandelt worden, sagte Gastgeber Christian Zeller, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Uni Salzburg. Er und seine Kollegen wollen das nun ändern.

Emissionshandel und Industrie

Als ersten Schritt haben Zeller und sein Mitarbeiter Lukas Lengauer ein Forschungsprojekt beim österreichischen Klimafonds eingereicht, das den Effekten des Emissionshandels auf Strukturwandel und Innovation in der Industrie auf den Grund gehen soll. Konkret soll in Fragebögen und Interviews erhoben werden, wie Energieerzeuger und Industriebetriebe in Österreich, Deutschland und Großbritannien auf das Emissionshandelssystem der EU reagieren.

Der EU-Emissionshandel umfasst derzeit etwa 12.000 Betriebe, die zusammen für 45 Prozent der CO2-Emissionen innerhalb der Union verantwortlich sind. Bisher seien die Effekte des Systems sehr begrenzt gewesen, sagte Lengauer. Insbesondere für Energiehersteller werde durch den Emissionshandel kaum Innovationsdruck entstehen, vermutet er: Durch oligopolistische Marktstrukturen seien die Stromkonzerne in der Lage, Zusatzkosten einfach auf die Konsumenten überzuwälzen. Bei Industriebetrieben könnte die Lage dagegen anders sein.

CO2-Reduktion "outsourcen"

Zeller bezeichnete es als spannende geografische Frage, wie in Zukunft die Beziehungen zwischen verschiedenen Weltregionen aussehen werden: zwischen jenen, in denen die fossilen Brennstoffe Kohle, Öl und Gas abgebaut werden, jenen, in denen sie verbrannt werden und jenen Regionen, in denen das CO2 gebunden wird - etwa in Form von Regenwäldern. Er vermute, dass die Industrieländer ihre Verpflichtung zur CO2-Reduktion an arme Entwicklungsländer "outsourcen" werden, sagte Zeller.

Der emeritierte Politikwissenschaftler Elmar Altvater von der Freien Universität Berlin räumte ein, dass der "fossile Kapitalismus" dem industrialisierten Westen ein Wohlstandsniveau wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte gebracht habe. Durch die Ausbeutung der Ressourcen sei aber auch ein Ende des Wachstums unvermeidlich. Einfach nur fossile Brennstoffe durch Biomasse zu ersetzen, sei nicht möglich. Stattdessen müssten die Energieherstellung dezentralisiert und Transportströme anders organisiert werden, forderte Altvater.

"Grüner Kapitalismus" als Illusion

Für den belgischen Aktivisten Daniel Tanuro ("Climat et Justice Sociale"), der sich selbst als "Ökosozialisten" sieht, ist "grüner Kapitalismus" in der Praxis "eine völlige Illusion". Die freie Marktwirtschaft sei mit den nötigen Änderungen nämlich schlicht und einfach überfordert. Wenn der globale Temperaturanstieg auf 2,0 bis 2,4 Grad beschränkt werden solle, müsse nämlich der Ausstoß an Treibhausgasen zwischen 2000 und 2050 um 50 bis 85 Prozent gesenkt werden. Um die Lasten gerecht zu verteilen, müssten in den Industrieländern die Emissionen gar um 80 bis 95 Prozent zurückgefahren werden, sagte Tanuro.

Praktisch sei das wiederum nur machbar, wenn der Gesamtenergieverbrauch etwa in Europa um 50 Prozent sinke, in den USA noch stärker - eine Senkung, die mit mehr Energieeffizienz allein nie möglich sein werde. Es müsse also zu echten Einschnitten bei Industrieproduktion und Transport kommen, sagte Tanuro: "Wie soll man sich das bei einem kapitalistischen System vorstellen können, das auf Wachstum und Profit basiert?"

"Antikapitalistische Perspektive"

Es brauche "einen radikalen Bruch mit dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem", sagte Tanuro, nötig sei "eine antikapitalistische Perspektive". Die ökologische Krise sei "nichts anderes als ein Ausdruck der tiefen systemischen Krise des Kapitalismus". Soziale Bewegungen müssten konkrete ökologische Forderungsprogramme erstellen, etwa was die thermische Sanierung von Gebäuden durch die öffentliche Hand oder die Einrichtung eines konkurrenzfähigen öffentlichen Verkehrsnetzes betreffe.

Eine positive Perspektive forderte der Geografieprofessor Erik Swyngedouw von der Universität Manchester ein: "Wir müssen aufhören, über die Klimakatastrophe zu reden, und beginnen, darüber zu sprechen, was für eine Welt wir aufbauen wollen." Das Katastrophengerede rund um den Klimawandel verstelle nämlich den Blick dafür, dass für die Hälfte der Weltbevölkerung schon jetzt in einer humanitären Katastrophe lebe. Der Kapitalismus werde seine Energieprobleme nicht lösen können: "Die einzige Lösung, an die ich denken kann, ist heute ein Tabu: Kommunismus." (Markus Peherstorfer, derStandard.at, 28.03.2010)