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Wall-Street-Wut Kampfansage an Banker soll Obama retten

Barack Obama prügelt auf die Banken ein, droht ihnen mit der Zerschlagung. Die populistische Attacke kann die Probleme des US-Präsidenten kaum überdecken: Schon ein Jahr nach Amtsantritt muss der Hoffnungsträger um die Wiederwahl fürchten. Parteifreunde mahnen einen Kurswechsel an.
US-Präsident Obama: "Die Menschen sind frustriert und sie sind verärgert"

US-Präsident Obama: "Die Menschen sind frustriert und sie sind verärgert"

Foto: JASON REED/ REUTERS

Barack Obama

Der Präsident ist zu Scherzen aufgelegt. steht im East Room des Weißen Hauses. Anwesend sind Bürgermeister aus allen großen Städten der USA. Der Gastgeber schaut sie verschmitzt an. "Immer wenn die Bürden der Präsidentschaft besonders schwer scheinen", sagt Obama, "erinnere ich mich daran, dass es noch schlimmer sein könnte. Ich könnte auch ein Bürgermeister sein."

Seine Gäste lachen dankbar, sie sind froh, dass Obama ihre große Verantwortung würdigt. Doch das Lächeln des Präsidenten wirkt etwas gekünstelt. Kein Wunder, denn die Bürde seines Amtes erscheint derzeit besonders schwer.

Regierung Obama

Just ein Jahr nach dem Einzug ins Weiße Haus steht die bereits am Scheideweg. Auf magere 46 Prozent sind seine Beliebtheitswerte abgesackt. Die Wahlschlappe in Massachusetts, wo der nahezu unbekannte Republikaner Scott Brown Obamas Demokraten den Senatssitz ihrer verstorbenen Ikone Ted Kennedy wegschnappte, hat die Machtverhältnisse in Washington durcheinander gewirbelt - zu Obamas Ungunsten. Die komfortable Senatsmehrheit von 58 Demokraten und zwei unabhängigen Vertretern, die in der Regel mit ihnen stimmten, verhinderte bislang Blockadeversuche der Republikaner. Das ist nun vorbei.

"Die Menschen sind frustriert und verärgert"

Seither tobt in Obamas Team eine Debatte, ob der Präsident seine "Change"-Agenda bereits beschneiden muss, vor allem die umstrittene Gesundheitsreform. Es geht darum, wie Obama das Vertrauen des Volkes wieder gewinnen kann. Schließlich haben sich vor allem moderate Wähler in Scharen von ihm abgewendet.

"Die Menschen sind frustriert und verärgert", analysiert Obama in einem Interview mit ABC News. Er räumt ein: "Wir waren mit der Krisenbewältigung so beschäftigt, dass wir es versäumt haben, direkt mit den US-Bürgern über ihre Werte zu sprechen - und zu erklären, warum wir sicherstellen müssen, dass diese Institutionen mit diesen Werten übereinstimmen." Mit "diesen Institutionen" meint Obama die Banken an der Wall Street.

Weltfinanzkrise

185 Milliarden Dollar Bonuszahlungen haben die Geldkonzerne gerade an ihre Angestellten ausgeschüttet. Auch weil die Verursacher der wieder ungehemmt prassen, sinken Obamas Zustimmungswerte. Die Wahlanalysen aus Massachusetts zeigen: Viele Amerikaner werfen dem Präsidenten vor, dass seine Regierung zwar viele Milliarden Dollar zur Krisenbewältigung ausgebe - doch die Gelder bei den Falschen ankämen.

Attacke auf die Banken-Branche

Obama scheint nun entschlossen, diesen Eindruck möglichst rasch zu ändern. "Nie mehr darf der US-Steuerzahler Geisel einer Bank sein", sagt er am Donnerstag. Nie wieder sollten die Institute so groß werden, dass der Staat sie in einer Krise unter allen Umständen retten müsse. Obama verspricht, risikoreichen Aktivitäten der Finanzkonzerne zu zügeln, das riskante Investmentbanking stärker von den anderen Geschäften abzuspalten. Er fügt kämpferisch an die Adresse der Bankenvertreter hinzu: "Wenn diese Leute auf Konfrontation aus sind, dann können sie das haben."

Es heißt, dass Chefberater David Axelrod dem Präsidenten zu diesem populistischeren Kurs geraten hat. Doch die Worte verraten auch ein Gefühl von Ohnmacht. Weite Teile der geplanten Finanzmarktreform könnten durch die neuen Machtverhältnisse im Kongress blockiert werden. Außerdem muss die Regierung dringend Jobs schaffen. Noch immer liegt die US-Arbeitslosenquote bei über zehn Prozent, ein ungeheurer Wert für amerikanische Verhältnisse. Der Eindruck, Obama kämpfe gegen die Wirtschaft des Landes, hilft dabei nicht.

Daher raten Parteifreunde dem Präsidenten bereits zu einem Schwenk in die Mitte - wie ihn einst Bill Clinton vormachte, der nach dem Rückschlag bei den Kongresswahlen 1994 "das Ende des big government" verkündete. Für einen solchen Kurs müsste der Demokrat wohl Teile seiner Agenda opfern - die allein fürs erste Amtsjahr eine umfassende Reform des Gesundheitswesens, ein Klimaschutzgesetz, eine andere Energiepolitik und eine Neuordnung der Finanzmärkte vorsah.

Massachusetts als Weckruf

"Die Niederlage in Massachusetts sollte ein Weckruf für alle Demokraten sein, die von der Regierung zu viel fordern ", sagt die demokratische Senatorin Mary Landrieu aus Louisiana. "Wir müssen uns wieder auf unsere Kernaufgaben konzentrieren."

Gesundheitsreform

Doch wie sehen diese Aufgaben aus? In dieser Frage herrscht Uneinigkeit im Obama-Lager. Theoretisch könnte die demokratische Mehrheit im Repräsentantenhaus der bereits beschlossenen Senatsfassung zur zustimmen und diese dem Präsidenten zur Unterschrift vorlegen. Doch vielen Vertretern des linken Flügels der Demokraten passt der Entwurf nicht, der keine staatliche Krankenversicherung vorsieht. "Dafür haben wir nicht genug Stimmen", sagt denn auch Nancy Pelosi, die Sprecherin des Repräsentantenhauses.

Überlegungen, mit Hilfe von Verfahrenstricks die Gesundheitsreform trotz der Massachusetts-Pleite noch schnell im Senat durchzupeitschen, verwerfen wiederum gemäßigte demokratische Senatoren.

Daher halten mittlerweile führende Demokraten gar ein Scheitern von Obamas wichtigstem Reformvorhaben nicht mehr für ausgeschlossen - es sei denn, das Weiße Haus zieht durch Zugeständnisse republikanische Abgeordnete auf seine Seite.

Republikaner auf Blockade-Kurs

Aber die Republikaner zeigen sich derzeit wenig kompromissbereit. Ihre Blockadehaltung scheint sich für sie schließlich auszuzahlen Am Donnerstag konnte die konservative Partei einen weiteren Triumph feiern. Der Oberste Gerichtshof urteilte, dass US-Firmen künftig weit großzügiger als bislang für Wahlkämpfe spenden dürfen. Davon dürften republikanische Politiker besonders stark profitieren, da sie als wirtschaftsnäher gelten.

Auch deswegen geben sich ihre Vertreter so stur. "Der Präsident hat bislang wenig Anstrengungen gemacht, mit den Republikanern ins Gespräch zu kommen", sagt Justin Sayfie, ein einflussreicher Republikaner aus Florida, SPIEGEL ONLINE. "Warum sollten wir ihm nun helfen, seinen falschen Kurs zu retten?"

Obama hat am kommenden Mittwoch Gelegenheit, in seiner Rede zur Lage der Nation den Regierungskurs zu erläutern. Eine Abkehr von der Gesundheitsreform ist nicht zu erwarten, zu oft hat Obama sie als seine Top-Priorität benannt. Doch er deutet in Interviews an, sich vielleicht auf ihre "Kernpunkte" zu beschränken.

Wie diese genau aussehen könnte, mag der Präsident im Moment aber noch nicht verraten. Als er seine Bemerkungen an die Bürgermeister beendet hat, sagt Obama seinen Gästen: "Die Kameras müssen jetzt ausgeschaltet werden - damit Sie mir alle die Wahrheit sagen können."

Wenige Sekunden später erlischt das Übertragungsbild.