Mentoren-Programm : Mathematik-Studentin sucht Mathematikerin
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Studiert Mathematik und hat eine Mentorin gefunden: Annika Becker Bild: Junker, Patrick
Elf hessische Hochschulen starten ein Mentoring-Netzwerk mit Unternehmen, um Wissenschaftlerinnen zu fördern. Es gibt schon einige gute Erfahrungen.
Annika Becker hat sich nur eines gewünscht: sich einmal mit einer Kennerin ihres Fachs über ihr Studium und über die Möglichkeiten auszutauschen, die das Berufsleben ihr anschließend bieten könnte. Auch wie man eine Führungsposition erreicht, ist ein Thema für die 24 Jahre alte gebürtige Pfälzerin. Sie studiert seit 2014 Angewandte Mathematik an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden, derzeit schreibt sie ihre Bachelor-Arbeit. Ihr Studienschwerpunkt ist die Modellierung mechanischer Strukturen.
Becker, die schon eine Lehre als Bürokauffrau absolviert und anschließend ihr Abitur nachgeholt hat, kennt niemanden in ihrem Umfeld, der ihre Leidenschaft für Zahlen teilt. „Ich wollte unbedingt einmal mit jemanden sprechen, der auch Mathematik studiert hat“, sagt sie, weder im Freundeskreis noch in der Familie gebe es eine solche Person. Als sie 2015 von dem Netzwerk Mentoring Hessen hörte, das damals für Studentinnen aus den sogenannten Mint-Fächern ( Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) aufgebaut wurde, zögerte Annika Becker nicht einen Moment, sich um die Teilnahme an diesem Programm zu bewerben. Ihr Wunsch: endlich jemanden kennenzulernen, der wissen könnte, wovon sie spricht, wenn sie ihre Studieninhalte thematisiert.
Becker bewarb sich, wie 499 andere Frauen auch. Am Ende erreichte sie ihr Ziel, wurde ausgewählt und war von Mai vergangenen Jahres an Teil eines der 145 Tandems, die über Mentoring Hessen zusammengebracht wurden. Vor etwas mehr als zwei Wochen endete das Programm für Becker. Sie bleibt allerdings Mitglied des Netzwerks Mentoring Hessen, zu dem bereits jetzt 1625 Studentinnen der Mint-Fächer gehören, und kann so weiter an Workshops und Veranstaltungen teilnehmen, bei denen sich beispielsweise Unternehmen präsentieren.
Ziel ist vor allem die Frauenförderung
Mentoring Hessen zufolge handelt es sich bei der Initiative, die Anfang Juni offiziell als landesweites Verbundprojekt von elf hessischen Hochschulen, elf Unternehmen, drei Forschungseinrichtungen und dem Land Hessen in Frankfurt gestartet wurde, um ein „europaweit einmaliges Programm zur Förderung weiblicher Talente“. Ziel ist es, Frauen, die vor allem naturwissenschaftliche und technische Studiengänge absolvieren, so zu fördern, dass sich ihre Karrierechancen erhöhen.
Regine Kolbe gehörte Anfang der neunziger Jahre in Darmstadt zu der Minderheit weiblicher Mathematik-Studenten. Heute ist sie bei der Commerzbank in Frankfurt als IT-Projektmanagerin tätig. Als sie vor einigen Jahren zum ersten Mal vom Mentoring-Programm der Universitäten, das damals im Aufbau war, hörte, bot sie sich sofort als Mentorin an. „Als ich studiert habe, hätte ich mir es sehr gewünscht, wenn mich jemand an die Hand genommen und mir die Berufsperspektiven aufgezeigt hätte“, sagt die heute 46 Jahre alte Frau. Die Tatsache, dass die Mehrheit der Studenten um sie herum Männer waren, störte sie damals nicht, sagt Kolbe, die mit drei Brüdern groß geworden ist. „Das war so, darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.“
Rückblickend weiß sie, dass ihr eine Förderung insofern gutgetan hätte, als sie dann geahnt hätte, dass man „die eigene Karriere auch in die Hand nehmen muss“. Eigentlich erst durch das Mentoring-Programm, durch den Kontakt mit den anderen Mentorinnen, die Gespräche mit den Mentees – Annika Becker ist bereits Kolbes dritter Zögling – habe sie gelernt, „sich selbst um ihr Fortkommen im Job zu kümmern“.
„Man braucht den Mut, den nächsten Schritt zu machen“
Es mache Spaß, Erfahrungen weiterzugeben, sagt Kolbe, aber sie habe selbst sehr viel gelernt, trete heute viel souveräner und sicherer auf und habe erfahren, wie eine Führungsaufgabe auszufüllen ist. Bis dahin war Kolbe nur die mathematischen Herausforderungen ihres Berufs analytisch angegangen, inzwischen jedoch hat sie begonnen, auch ihren Werdegang zu strukturieren. „Man braucht den Mut, den nächsten Schritt zu machen.“
Kolbe will nicht von oben herab Ratschläge erteilen, doch mit einer neuen Generation zu besprechen, wie sie sich auf das Berufsleben vorbereiten oder welches Praktikum eine Mentee absolvieren könne, das mache ihr Spaß. Kolbe ist beeindruckt, dass alle ihre Mentees bisher ziemlich genau wussten, was sie wollten. Sie selbst sei seinerzeit planloser gewesen. Doch ihren Berufsweg, der direkt aus dem Studium in die IT-Abteilung eines Unternehmens führte, gebe es heute nicht mehr so.
Kolbe und Becker trafen sich alle sechs Wochen, für jedes Treffen wurde ein Thema festgelegt. Am Ende erstellte Becker ein Protokoll. Natürlich habe man auch mal über Privates geredet, ob Becker sich etwa zutrauen könne, für den Master auch in eine andere Stadt zu gehen. Doch beide hatten nicht das Ziel, Kaffeekränzchen zu halten. Stattdessen folgten sie dem Gesprächsleitfaden von Mentoring Hessen, vereinbarten Spielregeln und reflektierten nach jedem Gespräch, wie es gelaufen ist.
„Ideen sortieren und strukturieren“
Die Ältere konnte die Jüngere vor allem davon überzeugen, dass es wichtig ist, ein Arbeitsfeld zu finden, das einem Spaß macht und dem man sich über lange Zeit widmen möchte. Als Arbeitnehmer müsse man ein Ziel haben, der Weg dorthin sei nicht maßgeblich, sagt Kolbe. Sie sah ihre Aufgabe darin, gemeinsam mit Becker deren „zahlreiche Ideen zu sortieren und zu strukturieren“.
Kolbe wird weitermachen beim Mentoring-Programm, sie kennt bereits ihre nächste Mentee. Mit Annika Becker will sie in Kontakt bleiben und erfahren, ob sie das Aufgabenfeld und in der Folge auch den Job findet, der sie glücklich macht. Becker wiederum weiß, dass sie so viel durch die Gespräche gelernt und sich in ihrem Handeln „so sehr bestärkt gefühlt hat“, dass sie eines Tages auch Mentorin sein will.
Mentoring Hessen
Mehr Frauen in Forschung und Führung: Das ist das Ziel von Mentoring Hessen, einem Verbund von elf hessischen Hochschulen mit elf großen Unternehmen und drei Forschungseinrichtungen. Das Projekt richtet sich zunächst an Studentinnen der Mint-Fächer. Insgesamt besteht es aus vier Programmen. Neben „ProCareer.Mint“ gibt es „ProCareer.Doc“, das sich gezielt an Doktorandinnen richtet. „ProAcademia“ ist für die Doktorandinnen vorgesehen, die für sich bereits entschieden haben, eine wissenschaftliche Karriere anzustreben und „ProProfessur“ bietet Unterstützung für solche, die eine Professur anstreben. Denn unter denjenigen, die habilitieren, sind nur 28 Prozent Frauen, bei den Professuren liegt der Frauenanteil bundesweit nur bei 22 Prozent. Bei den Studenten der Mint-Fächer liegt der Frauenanteil von nur bei 29 Prozent. Nähere Informationen dazu finden sich unter www.mentoringhessen.de. (mch.)