Zum Inhalt springen

Behinderung im Job "Möbelpacker trugen mich ins Büro"

Menschen mit Behinderung werden im Beruf häufig diskriminiert. Janis McDavid, ohne Arme und Beine geboren, hat absurde Erfahrungen gemacht - wurde aber auch positiv überrascht.
Janis McDavid

Janis McDavid

Foto: Katy Otto
Zur Person
Foto: Katy Otto

Janis McDavid, Jahrgang 1991, geboren in Hamburg, aufgewachsen im Ruhrgebiet, hat Wirtschaftswissenschaften an der Universität Witten-Herdecke studiert. Er ist Buchautor und tritt als Vortrags- und Motivationsredner auf.

Manchmal sage ich in Bewerbungsgesprächen augenzwinkernd: "Ich komme im Minimal-Set-up - keine Arme und Beine, aber der Kopf ist intakt." Darauf antwortete einmal eine Führungskraft: "Das ist vollkommen ausreichend, ich bezahle Sie für Ihre guten Ideen und ja, für Ihren Hintern. Es sind manchmal doch lange Tage, die Sie hier verbringen werden." Wir haben uns gut verstanden, aber so entspannt und normal bin ich im Arbeitsleben nicht immer behandelt worden. Schon gar nicht am Anfang.

Ich habe Wirtschaftswissenschaften studiert und mir im ersten Semester ein Praktikum in einem Unternehmen gesucht, das ideal zu meinem Studienschwerpunkt passte. Aber schon das Bewerbungsgespräch lief vollkommen anders als erwartet.

Ich hatte mich explizit auf das Unternehmen vorbereitet, kannte die größten Kunden, aktuelle Herausforderungen und wollte mit meinem Wissen punkten. Es wurden mir jedoch Fragen gestellt, die mit meinen fachlichen Fähigkeiten überhaupt nichts zu tun hatten: Können Sie schreiben? Wie kommen Sie zur Arbeit? Brauchen Sie einen höhenverstellbaren Tisch, eine andere Tastatur, eine spezielle Maus…?

Was nicht abgefragt wurde: wie gut meine Excel-SAP-Fähigkeiten waren - Kernfähigkeiten für diesen Job!

Möbelpacker trugen mich die Treppe hoch

Immerhin bekam ich den Praktikumsplatz und nahm ihn auch an, allen Widrigkeiten zum Trotz. Aber schon vom ersten Arbeitstag an wurde ich vollkommen anders behandelt als jeder andere Praktikant.

Man erklärte mir, ich dürfe auf einem der Vorstandsparkplätze parken. Ich bekam einen extra bestellten, höhenverstellbaren Tisch aufgebaut, und es stellte sich heraus, dass weder ich noch mein Rollstuhl im Postaufzug fahren konnten. Deshalb trugen mich drei große, breitschultrige Möbelpacker die Treppe hinauf. Das fing ja gut an!

Mit meiner Anzughose habe ich in den folgenden Wochen dafür gesorgt, dass die Treppe bis in den ersten Stock immer sauber war. Denn ab dem zweiten Tag bin ich sie selbstständig - auf dem Boden sitzend - hochgekraxelt.

Geboren ohne Arme und Beine
Foto: Maria Feck

Janis McDavid, 25, kam ohne Arme und Beine zur Welt. Trotzdem studiert er, fährt Auto, reist um die Welt - und startet jetzt im Berufsleben durch.

Wirklich zugehörig fühlte ich mich in dem Unternehmen leider zu keinem Zeitpunkt. Das Zuviel an besonderer, vermeintlicher Rücksicht und der extra Aufwand für mich trugen nicht dazu bei, das Eis zu den Kollegen zu brechen, zumindest nicht in der Kürze der Zeit. Am Ende wurde ich den Eindruck nicht los, der Vorzeige-Rollifahrer gewesen zu sein, den man gerne noch im Mitarbeitermagazin präsentiert.

Viele Firmen stellen gar keine Schwerbehinderten ein

Trotzdem muss man sagen: Mein erster Arbeitgeber gehörte mit seinem Engagement zu den Firmen in Deutschland, die überhaupt versuchen, die gesetzlich festgelegte Beschäftigungsquote für Menschen mit einer Schwerbehinderung einzuhalten.

Demnach müssen Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten mindestens fünf Prozent ihrer Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzen. Tun sie das nicht, ist eine sogenannte Ausgleichsabgabe von bis zu 320 Euro pro Monat fällig.

Janis McDavid

Janis McDavid

Foto: Katy Otto

Öffentliche Arbeitgeber liegen mit 6,6 Prozent über dieser vorgegebenen Quote. Private Arbeitgeber bleiben jedoch mit 4,1 Prozent im Schnitt unter dieser Quote. Zahlen von 2015 zeigen:  Von knapp 160.000 beschäftigungspflichtigen Arbeitgebern beschäftigen rund 40.000 gar keine schwerbehinderten Menschen. Und mehr als 90.000 stellten keine oder so wenige Kollegen mit Behinderung ein, dass sie eine Ausgleichsabgabe zahlen mussten.

Aber immerhin sind es deutlich mehr als noch vor einigen Jahren, und es gibt sehr positive Beispiele. Mein nächstes Praktikum lief schon deutlich besser.

"Melden Sie sich, wenn Sie etwas Spezielles benötigen!"

Im Bewerbungsgespräch fragte man nicht nach meinen Besonderheiten - nur nach meinen Fähigkeiten, Arbeitsweisen und Zielen. Nachdem ich die Zusage für vier Monate hatte, gab es noch den kleinen Hinweis: "Melden Sie sich, wenn Sie etwas Spezielles benötigen!" Wow, die Verantwortung lag dieses Mal ganz bei mir!

Am ersten Arbeitstag war ich wieder nervös, doch alles war so normal: keine Möbelpacker, kein Extratisch, keine Vorstandsparkplätze, und ich merkte schnell, dass fast alle Kollegen höhenverstellbare Tische hatten, dass es Aufzüge und Automatiktüren gab.

Ich wurde schnell Teil des Unternehmens, arbeitete selbstverständlich mit, war bei Teamevents dabei, wurde gefordert. Meinem Rollstuhl schenkten Vorgesetzte und Kollegen nur so viel Aufmerksamkeit wie gerade nötig. Nach den vier Monaten verlängerten wir für ein weiteres Jahr! Hier war ich kein Vorzeigemitarbeiter, sondern einfach einer, der mitarbeitete - das war zwar mehr Arbeit, aber gefiel mir deutlich besser!

Janis McDavid

Janis McDavid

Foto: Katy Otto

Mittlerweile habe ich meine Zeiten als Praktikant längst hinter mir gelassen, viele Unternehmen von innen gesehen - und reise mit meinen gewonnenen Erfahrungen jetzt durch die Republik, um Vorträge zu halten . Ich spreche darüber, dass wir uns im Arbeitsleben mit dem wirklich Wichtigen beschäftigen können: mit Fähigkeiten und Kompetenzen. Damit, ob jemand für einen Beruf geeignet ist - oder nicht.