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Eklat bei Knesset-Rede Wo Martin Schulz recht hat

Martin Schulz hat mit seiner Rede vor der Knesset für einen Eklat gesorgt. Mitglieder der israelischen Regierung bezichtigen den Chef des EU-Parlaments der Lüge. Sind die Vorwürfe berechtigt? Die Fakten.

Jerusalem - Die Vorwürfe gegen den Präsidenten des Europäischen Parlaments wiegen schwer. Martin Schulz habe während seiner Rede vor der Knesset am Mittwoch "offensichtliche Lügen" verbreitet, behauptet der israelische Wirtschafts- und Handelsminister Naftali Bennett . Aus lauter Wut über den Gast aus Deutschland verließen Bennett und seine Parteifreunde während der Ansprache den Plenarsaal.

Premierminister Benjamin Netanjahu verweigerte Schulz demonstrativ den Applaus. Schulz sei "wie so viele Europäer einer selektiven Wahrnehmung" erlegen, zürnte Netanjahu. Er hätte sich vor seiner Rede über die tatsächlichen Verhältnisse informieren müssen.

Besonders eine Äußerung des EU-Parlamentspräsidenten verärgerte die israelische Regierung. Schulz trug eine Frage vor, die ihm palästinensische Jugendliche zuvor gestellt hatten. "Wie kann es eigentlich sein, dass ein Israeli 70 Liter Wasser am Tag benutzen darf, ein Palästinenser nur 17 Liter."

Die Zahlen zum Wasserverbrauch gehen weit auseinander

Schulz räumte ein, dass er die Zahlen nicht überprüft habe. Für einen der höchsten Vertreter der EU ist es nicht besonders souverän, mit Zahlen vor die Knesset zu treten, die er zuvor nicht überprüft hat. Ihn deshalb der Lüge zu bezichtigen, ist jedoch maßlos überzogen, denn im Grundsatz hat Schulz recht. Es ist unstrittig, dass den Israelis weitaus mehr Wasser pro Kopf zur Verfügung steht als den Palästinensern - selbst israelische Behörden räumen dies ein. Nur über die tatsächlichen Zahlen gehen die Angaben auseinander.

Die staatliche israelische Wasserbehörde Mekorot hat zuletzt 2006 verlässliche Zahlen vorgelegt . Demnach verbraucht ein Palästinenser im Schnitt pro Tag in seinem Haushalt etwa 158 Liter Wasser, ein Israeli gut 230 Liter. Demnach würde den Israelis, anders als von Schulz behauptet, nicht das Vierfache, sondern nur das Anderthalbfache der täglichen Wassermenge zustehen.

Die Uno-Behörde für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (Ocha) nannte im März 2012 andere Zahlen . Demnach verbrauchen Israelis pro Kopf täglich etwa 300 Liter Wasser, Palästinenser nur 70 Liter. Damit wären die Palästinenser deutlich unterversorgt, denn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt einen Tagesverbrauch von 100 Litern. Die Ocha erklärt jedoch nicht, woher sie diese Zahlen hat.

Alle pauschalen Werte verschleiern jedoch gravierende regionale Unterschiede im Westjordanland. So standen nach Angaben palästinensischer Behörden den Menschen in Jericho im Jahr 2011 am Tag etwa 160 Liter Wasser zur Verfügung, den Einwohnern von Tulkarem nur 45 Liter. Zwischen 200.000 und 300.000 Palästinenser in ländlichen Gebieten des Westjordanlandes haben gar keinen gesicherten Zugang zu Trinkwasser. Sie sind auf die Versorgung durch mobile Wassertanks angewiesen. Dieses Wasser ist jedoch um ein Vielfaches teurer als das aus der Leitung.

Israelis und Palästinenser nutzen ein gemeinsames Grundwasserreservoir. Nach Angaben der Weltbank aus dem Jahr 2009 schöpfen die Israelis daraus mehr als 86 Prozent, die Palästinenser knapp 14 Prozent.

Israelische Behörden verweisen auf die Lage der arabischen Nachbarn in Jordanien und Syrien, denen es noch schlechter gehe. Außerdem machen sie das Missmanagement der Palästinenser dafür verantwortlich, dass ihnen weniger Wasser zur Verfügung steht. Sie kümmerten sich nicht ausreichend um die Infrastruktur, zu viel Wasser versickere ungenutzt; außerdem sorgten sie sich nicht ausreichend um eine Klärung von Schmutzwasser.

Siedler graben Palästinensern das Wasser ab

Doch das ist allenfalls ein Teil der Wahrheit: Seitdem die Israelis 1967 das Westjordanland besetzten, üben sie direkte Kontrolle über die Wasserressourcen in dem palästinensischen Gebiet aus. Zwar einigten sich Israelis und Palästinenser im Zuge der Oslo-Abkommen vor zwanzig Jahren auf die Einrichtung eines gemeinsamen Wasserkomitees, doch dies gibt den Besatzern weiterhin ein Vetorecht für die Errichtung von Brunnen, Leitungen und anderen Projekten.

Baugenehmigungen sind für Palästinenser daher nur schwer zu bekommen, unrechtmäßig errichtete Brunnen und Zisternen werden von den Israels zerstört. Nach Ocha-Angaben war dies allein 2011 70-mal der Fall.

Gleichzeitig baut Israel die Wasserinfrastruktur für die jüdischen Siedler im Westjordanland immer weiter aus. Sie werden mit Wasser aus dem Jordan und aus unterirdischen Quellen versorgt. Ein Großteil wird zur Bewässerung von Feldern eingesetzt, auf denen Obst und Gemüse für den Export angebaut werden.

Diese Ausfuhren sorgen dafür, dass der Siedlungsbau für Israel ein lohnendes Geschäft geworden ist. Schulz nannte den Siedlungsbau vor der Knesset  "eine Hürde auf dem Weg zu einer demokratischen Friedenslösung". Wenig später stürmten Wirtschaftsminister Bennett und seine Parteifreunde aus dem Saal.