Zum 75. Jahrestag der Novemberpogrome plädieren Imam Shamsi Ali und Rabbiner Marc Schneier für einen "theologischen Friedensprozess".
Juden und Muslime müssen nach Meinung des US-Rabbiners Marc Schneier "zusammen kämpfen", wenn eine der beiden Gruppen angegriffen wird. "Eine religiöse Gruppe sollte ihre Auseinandersetzungen niemals alleine austragen müssen", betonte er am Donnerstag. Schneier, der sich seit Jahren für den Dialog zwischen Islam und Judentum stark macht, war gemeinsam mit seinem muslimischen Mitstreiter Shamsi Ali zum 75. Jahrestag der Novemberpogrome nach Wien gekommen.
"Der Grund für das Misstrauen zwischen Muslimen und Juden liegt in der Unwissenheit sowie in der falschen Interpretation der religiösen Texte", betonten die beiden religiösen Führer. Dabei seien die beiden Religionen doch "die ähnlichsten in der gesamten Welt", sowohl was die Theologie, als auch was die Geschichte betreffe, meinte Shamsi Ali. Jedoch würden manche Leute "aufgrund politischer Interessen" Muslime und Juden entzweien.
Schneier ortete diesbezüglich die Notwendigkeit, einen "theologischen Friedensprozess voranzubringen". Die Aufgabe sei nun, die religiösen Texte neu zu lesen und eine entsprechende Interpretation zu finden. Dies sei auch etwa für den politischen Friedensprozess im Nahen Osten unerlässlich: "Wie könnte ein (möglicher) Friedensvertrag implementiert werden, wenn doch die Mehrzahl der Juden den Muslimen nicht traut und die Mehrzahl der Muslime den Juden?"
Konzept des "auserwählten Volkes"
Ein wichtiger Punkt seien auch die Missverständnisse in der islamischen Welt bezüglich des jüdischen Konzepts des "auserwählten Volkes". Diese werde unter Muslimen meist als eine behauptete "Höherwertigkeit" interpretiert und mit einem Streben nach Weltherrschaft identifiziert, so Shamsi Ali. Schneier erklärte, dass nach jüdischem Verständnis das Volk Israel von Gott auserwählt worden sei, "um ein ethisches monotheistisches Glaubenssystem in die Welt zu tragen". Dieses sei auch der Ursprung von Christentum und Islam geworden, erinnerte er. Keineswegs gehe es aber um irgendeine "Höherwertigkeit" der Juden.
Zu den Personen
Marc Schneier und Shamsi Ali haben einander 2005 bei einer Fernsehsendung kennengelernt. Bei ihrem Auftritt in Wien betonte nun der Imam, dass er vor seiner Ankunft in den USA noch nie einen Juden getroffen hatte; der Rabbiner, dass er noch wenige Jahre zuvor Muslimen nur mit Vorurteilen und Misstrauen begegnet war. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für den interreligiösen Dialog haben die beiden nun ein gemeinsames Buch mit dem Titel "Sons of Abraham" (Söhne Abrahams) verfasst.
(APA)