Über 600 Mal hat Judy Winter die Dietrich verkörpert. Jetzt ist die Knef an der Reihe. Vorab verrät die Schauspielerin, was sie mit beiden verbindet und wer leichter zu spielen ist.

Beide gehören zu den wenigen Menschen, bei denen nur der Nachname oder auch nur der Vorname genügen. Und trotzdem weiß jeder, wer gemeint ist. „Sie ist wie ich, als ich jung war“, urteilte Marlene Dietrich über Hildegard Knef. Die sah das ganz anders: Die Dietrich, meinte sie, habe eine „majestätische Aura“, während sie sich selbst als „knochige Dogge“ empfand.

Als Hilde 1948 nach Amerika ging, nahm die andere große Berlinerin sie mit offenen Armen auf. Als Marlene Dietrich 1960 zu ihrem ersten Konzert nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrte und teils als „Vaterlandsverräterin“ diffamiert wurde, war es wiederum Hilde, die sie empfing und umsorgte. Was die beiden aber am stärksten zusammenhielt, vor allem in der Fremde, war ihre Heimat, war Berlin.

Judy Winter, noch so eine Berlinerin, hat dem einen Weltstar ein Denkmal auf der Bühne gesetzt. Wie oft sie „Marlene“ gespielt hat und dafür in dieses unendlich schwere Glitzerkleid geschnürt wurde: Sie hat nicht mehr gezählt. Irgendwas zwischen 600 und 680 Aufführungen. Mehrfach hatte sie bekundet, die Rolle nicht länger spielen zu wollen, mehrfach wurde sie wortbrüchig. Zu verlockend, diese große Rolle.

Fällt ihr nichts Neues ein?

Jetzt aber spielt Judy Winter auch Marlenes „beste Freundin“ (wie die Dietrich die Knef in ihren Memoiren geadelt hat). Am 1. Juni hat „Hilde Knef – Der Teufel und die Diva“ am Theater am Kurfürstendamm Premiere. Und ja, auch das sei gleich gesagt: Auch diesmal wird Judy Winter wieder singen. Natürlich raunen jetzt viele: Muss sie sich an den Berliner Weltstars abarbeiten? Manche formulieren es auch böser: Fällt ihr nichts anderes ein?

„Ja“, gibt Judy Winter zu, „die Frage wird mir oft gestellt.“ Und natürlich hatte auch sie Bedenken. Aber: „Es gibt nicht so wahnsinnig viele Diven, die meinem Alter entsprechen.“ Da sei es naheliegend, dass man ihr solche Rollen anbiete. Zumal, da entfleucht ihr ein Geständnis, sie diese Diven „ja auch gern spiele.“ Daran schließt sich gleich ein zweites Geständnis an: „Die sind auch interessanter als die meisten Rollen, die einem so angeboten werden.“

Also konnte Judy Winter nicht Nein sagen. Zumal Fred Breinersdorfer und Katja Röder ihr das Stück quasi auf den Leib schrieben. Vor zwei Monaten war die Uraufführung am Ernst-Deutsch-Theater. In Hamburg. Paul von Schell, Hildes Witwer, hat sich damals echauffiert, dass das Stück nicht in Berlin uraufgeführt wurde, wo es hingehöre. Nun, man hat sein Poltern erhört. Judy Winter findet es indes gar nicht so schlecht, dass sie erst mal in Hamburg spielte, quasi auf neutralem Boden. „Berlin wird natürlich noch mal kritischer, weil Hilde ja so ein Kind des alten Westens ist.“

Jeder meint, seine Stars zu kennen

Eine Erfahrung, die sie schon mit „Marlene“ gemacht hat. Nach jeder Vorstellung stand sie da mit ihrer Spendendose für die Deutsche Aids-Hilfe im Foyer. Die Leute kamen, spendeten, durften dafür auch mal am Kleid zupfen. Und meinten alle: Genau wie Marlene. „Ich hab mich immer artig bedankt,“ sagt die Winter. „Aber wer kannte sie denn? Das kann doch keiner beurteilen. Marlene hat sich ja selber kaum gekannt. Die hat immer irgendwelche Rollen gespielt und sich immer so gegeben, wie die Menschen sie sehen wollten.“ Kurze Pause. „Bei Hilde war es wohl genauso.“

Beide Rollen sind also Kunstprodukte. Bei „Marlene“ sah man erst den egozentrischen Star in der Garderobe, dann die gefallsüchtige Künstlerin auf der Bühne. In „Der Teufel und die Diva“ ist die Knef schon tot, der Teufel fragt sie ab und so zieht ihr Leben an ihr vorbei. Mit der „wahren“ Hilde habe das wenig zu tun. „Man stirbt ja auch“, schmunzelt die Winter, „selten mit falschen Wimpern an den Brauen.“ Die üblichen Accessoires, die Perücke, die dunkle Brille, das hat sie mal fürs Plakat gemacht, aber das überlässt sie lieber den vielen Transvestiten: „Die können das ohnehin besser."

Sie möchte dagegen, wie schon in „Marlene“, lieber den fragilen Menschen hinter der Maske entdecken. „Mir liegen immer nacktere Sachen“, sagt die 69-Jährige, hält kurz inne und setzt nach: „seelisch nacktere Sachen.“ Als habe sie Angst, immer noch auf ihre alten Simmel-Filme angesprochen zu werden, wo es nicht nur um seelisch ging. Ein bisschen „Sünderin“-Nimbus haftet auch der Winter an.

Lieber Hausmannskost als Haute Cuisine

Wir treffen uns mit ihr im Steakhaus El Dorado. Klar, das ist nur wenige Meter vom Theater am Kudamm entfernt. Aber ein Steakhaus? In dem die Touristen blutiges Fleisch zersägen, während wir uns über Hilde unterhalten? Ein feines Lächeln gleitet über die Lippen der Schauspielerin. Irgendwie scheint ihr das zu gefallen. Und es passt auch, zu Hilde wie auch zu Marlene, die beide Hausmannskost der Haute Cuisine vorzogen. Und ins Dressler nebenan, in dem man eher Prominente vermuten würde, gehe sie schon lange nicht mehr hin, seit es dort Gänsestopfleber gibt.

In Berlin spielt übrigens nicht mehr Peter Kremer den Teufel, sondern Stephan Benson. Und der, sagt seine Partnerin, spiele mit so vielen neuen Nuancen, dass sie ständig glaubt, sie höre den Text zum ersten Mal. Erst jetzt ist auch ihre CD mit Hilde-Songs fertig geworden. Insofern ist die Berlin-Premiere also noch einmal etwas Neues.

Wie gut hat Judy Winter Hilde eigentlich gekannt? „Nicht gut.“ Natürlich sei man sich bei Premieren und ähnlichen öffentlichen Anlässen begegnet. Hilde war auch mal in einer Vorstellung von „Marlene“ und hat ihr danach einen Brief geschrieben. Mehr war aber nie. „Ich war immer ein bisschen distanziert“, gibt Judy Winter zu. „Ich fand es schrecklich, wie sie ihre Krankheiten verkauft hat.“ Kurzes Zögern. „Vielleicht habe ich ihr da Unrecht getan, vielleicht war das ja ihre Art der Therapie.“

Aber auch wie sie mit ihrem Mann umgegangen sei, den armen Paul, wie sie den schikaniert habe! „Sie hatte panische Angst vor dem Alleinsein und hat doch alles dafür getan, dass man sie allein lässt.“ Vielleicht, sinniert die Schauspielerin, ist es ganz gut, sie nicht so gut gekannt zu haben. So kann man unvoreingenommen an die Rolle herangehen. Obwohl, jetzt hält sie inne: „Dann hätte ich sie vielleicht noch intimer spielen können. Noch böser.“

Marlene Dietrich war eine „arme Sau“

Was ist denn schwerer zu singen: Hilde oder Marlene? Judy Winter überlegt keine Sekunde. „Für mich Hilde.“ Bei Marlene beinhalte jedes Lied eine Geschichte: „Ich weiß nicht, zu wem ich gehöre.“ Oder: „Mein Mann ist verhindert.“ Aber: „Ich brauch Tapetenwechsel, sprach die Birke“? „Hilde sang wunderbare Songs“, so ihre Interpretin, „die auch eine sehr schöne Lyrik haben. Aber das ist keine Geschichte in dem Sinn. Da muss man sich selber etwas ausdenken.“

Und wer ist schwerer zu spielen? Die Frage lässt sich nicht so leicht beantworten. Aber jetzt kommen wir wieder aufs Nackte, und da lieferte Marlene wohl mehr Potenzial. „Die kam ja als fleischfressende Pflanze auf die Bühne, hat da losgefegt und wollte allen gefallen. Erst durch die Lieder hat man gemerkt, was für eine arme Sau sie war.“ Das sagt sie wirklich: „Arme Sau.“ Judy Winter verbindet wohl auch mehr mit der Dietrich, allein das Preußisch-Disziplinierte, das beiden eigen ist. Das Aneignen einer Person, die einem fremder ist, ist aber vielleicht die größere Herausforderung.

Nach der Premiere wird Judy Winter wie immer mit der Spendendose im Foyer stehen. Ein Star, zum Greifen nah. Wer dann auf sie zugeht, sollte sich einen Kommentar aber vorsorglich verkneifen: Genau wie Hilde.

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