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Klimawandel Eine einzige Zahl entscheidet die Zukunft

CO2 wärmt das Klima - aber mehr fürchten muss man ein anderes Treibhausgas: Wasserdampf. Eine einzige Zahl soll zeigen, wie stark sich die Welt erwärmt.
Schönwetterwolken: Klimaerwärmung gebremst?

Schönwetterwolken: Klimaerwärmung gebremst?

Foto: Erik Seemann

Darmstadt - Wolkenforscher, welch ein poetischer Beruf. Als Kind habe er Elefanten, Hasen oder Fische in den flüchtigen Wassergebilden am Himmel erkannt, erzählt Luca Lelli vom Institut für Umweltphysik an der Universität Bremen. Heute erkundet er den Himmel mit Satelliten. "Doch Wolken sind geheimnisvoll wie früher", sagt er.

Sie entscheiden darüber, wie stark der Mensch das Klima ändert.

Schwebten ein Prozent mehr Schönwetterwolken am Himmel, könnten ihre Schatten einen Großteil der Klimaerwärmung zunichtemachen. Was also passiert am Himmel? Auf dem Climate Symposium in Darmstadt  zogen Klimaforscher Bilanz für ihre wichtigste Mission: "Wir müssen herausfinden, was der Klimawandel mit dem Wasser macht", betont Lelli.

1. Die Frage

Die wärmende Wirkung des Treibhausgases CO2 haben Experimente zwar erwiesen: Um gut ein Grad wird es wärmer, sofern sich die CO2-Menge in der Luft verdoppelt - was bis Ende des Jahrhunderts geschehen könnte. Denn CO2 hält Sonnenstrahlung in der Atmosphäre zurück.

Bedrohlich macht die Erwärmung vor allem ein Verstärkungseffekt: Wärmere Luft kann mehr Wasserdampf aufnehmen. Wasserdampf ist ein stärkeres Treibhausgas als CO2, es verschärft die Erwärmung. Ein weiterer Effekt macht ihn so schwierig zu berechnen: Wasserdampf kondensiert zu Wolken. Und sie können die Luft nicht nur wärmen, sondern auch kühlen - je nach Höhe.

Die Unsicherheiten sind beträchtlich. Eine Zahl soll die künftige Erwärmung schließlich beschreiben - die Klimasensitivität: Sie gibt an, um wie viel Grad sich die Luft erwärmt, sofern sich die CO2-Menge verdoppelt. Liegt sie bei einem Grad, wäre die Erwärmung wenig gefährlich, doch einiges spricht für deutlich höhere Werte.

Zwei Fragen müssen also beantwortet werden: Wie stark reichert sich Wasserdampf in der Luft an? Und vor allem: Wie verändern sich die Wolken im Zuge des Klimawandels? Antworten würden die Klimasensitivität eingrenzen, die Prognosen würden genauer.

2. Der Streit

Doch es gibt Streit. Manche Forscher wie Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK glauben, die Klimasensitivität sei bereits auf drei Grad bestimmt: "Solange wir nicht feststellen, dass die moderne Physik fundamental falsch ist, müssen wir mit drei Grad planen", schrieb der eifrige Verfechter düsterer Prognosen in einer Beschwerde an den "Economist" .

Die Zeitschrift hatte es gewagt, über Studien zu berichten, die eine niedrige Klimasensitivität nahelegen - davon gab es einige in letzter Zeit. Eine Arbeit vom September  etwa zeigt, dass die Erwärmung seit 1750 einer Klimasensitivität von rund 1,6 Grad entspreche. Doch offenbart diese simple Beziehung von Lufttemperatur und CO2-Anstieg wirklich die Empfindlichkeit des Klimas der Zukunft?

"Mögliche Verstärkungseffekte, sozusagen das Wackeln des Klimas, berücksichtigt die Rechnung nicht", kritisiert der renommierte Klimatologe Björn Stevens vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Würde sich etwa die Zahl niedriger Wolken verringern, könnte sich die Erwärmung dramatisch beschleunigen.

3. Die Messung

Was also macht der Klimawandel mit den Wolken? "Wir wissen es nicht", weist Stevens auf den wunden Punkt der Umweltforschung: Trotz aller Satelliten entziehen sich die flüchtigen Wassergebilde bislang einer Bilanz.

Satelliten schicken zwar fortwährend Funkwellen zu den Wolken, und Forscher sehen die Impulse auf ihren Monitoren - doch was bedeuten sie? Zeigt ein Impuls wirklich eine Wolke? Wenn ja: Ist sie hell oder dunkel? In welcher Höhe schwebt sie? Um welche Art handelt es sich? Und wie dick ist sie?

"Es ist sehr kompliziert, die Daten auszuwerten und miteinander vergleichbar zu machen", sagt Martin Werscheck, Experte für Klimasatelliten vom Deutschen Wetterdienst DWD. Strahlung dringt nur teilweise in Wolken, große Bereiche bilden blinde Flecke.

Besonders schwer erkennen Satelliten den Deckel der Atmosphäre: dünne Cirruswolken aus winzigen Eisteilchen, die in großer Höhe schweben. Sie halten Infrarotstrahlung zurück, die Luft erwärmt sich. Würde der Deckel löchriger, bremste der Klimawandel. Mehr Cirrus hingegen würden die Erwärmung beschleunigen. "Bisherige Messungen sind widersprüchlich, und wir sehen keinen Trend", berichtet Werscheck.

4. Der Klimamotor

Klar scheint immerhin: Der atmosphärische Klimamotor ist angesprungen, die Erwärmung lässt vermehrt Wasser verdunsten. Die Luft trage mehr Wasserdampf als in den Achtzigerjahren, berichtet DWD-Experte Marc Schröder.

Der Anstieg der Feuchtigkeit verlaufe über den Ozeanen im Einklang mit dem globalen Temperturanstieg - der Treibhauseffekt verstärkt sich. Über Land indes hat die Feuchtigkeit weniger schnell zugenommen - rätselhafterweise.

Seit Anfang des Jahrhunderts aber stockt die Verdunstung überall, denn die Erwärmung der Luft pausiert. Vermutlich hätten die Ozeane vermehrt Wärme geschluckt, konstatiert der Uno-Klimareport. Aber hat sich das Klima sonst verändert wie vorhergesagt?

5. Die Überraschung

Klimazonen sollten sich verschieben, Dürre häufiger werden, Regen stärker - so prognostizieren es Klimamodelle. Ursache wäre vor allem der verstärkte Wasserkreislauf: Besonders in den Tropen treibt die Erwärmung immer mächtigerer Wolkentürme in die Höhe. Die tropische Zone breitet sich aus, verschiebt andere Klimazonen polwärts - so lautet die Theorie. Aber stimmt sie?

Die subtropischen Trockenzonen schienen sich tatsächlich auszubreiten, sagt Stevens. Andere Forscher auf der Tagung in Darmstadt bemängelten jedoch widersprüchliche Daten.

Neuen Auswertungen zufolge bestätigt sich nur in einem Achtel der Erde der vorhergesagte Niederschlagstrend, in einem Achtel hingegen widersprechen die Daten der Theorie. Und drei Viertel der Welt zeige keinen Trend, berichten Forscher um Peter Greve von der Universität Zürich in "Nature Geoscience" . Die Faustregel "Trocken wird trockener, nass wird nasser" treffe nicht zu.

Eine positive Überraschung war das Ergrünen der westafrikanischen Sahelzone, wo die Wüste Sträuchern, Gräsern und Kulturpflanzen weicht. Problematisch hingegen erscheint das Austrocknen von Teilen des Amazonasgebietes.

6. Die Zahl

Bedeuten die Widersprüche Entwarnung hinsichtlich des Klimawandels? Die Forderung "Ihr müsst endlich handeln" sollte jedenfalls ergänzt werden um eine zweite, meint Stevens: "Ihr müsst endlich messen."

Solange hilft der Blick in die Vergangenheit - und der bereitet Sorge: Luftbläschen in Eisbohrkernen verraten Klimaänderungen während der Eiszeit. Sie offenbaren erhebliche Schwankungen.

Computermodelle bilden den Verlauf nach. Und sie bestätigen, dass nur empfindliche Reaktionen des Klimas die eiszeitlichen Änderungen erklären können: Die Klimasensitivität beträgt demnach 1,5 bis 4,5 Grad, mit dieser Spanne fasst der Uno-Klimarat das Wissen zusammen. Kein Wert dieser Spanne sei wahrscheinlicher als ein anderer.

Um 1,5 bis 4,5 Grad könnte sich das Klima also im globalen Durchschnitt erwärmen, würde sich die CO2-Menge in der Luft verdoppeln - die Folgen wären ungewiss. Besser können Wissenschaftler die entscheidende Umweltzahl bislang nicht eingrenzen. Die Wolken behalten ihr Geheimnis.

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