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EU-Pläne für den Energiesektor Almunias "heimliche Bombe"

Deutschlands Industrie ist in Aufruhr, weil die EU ihre Rabatte bei der Ökostrom-Umlage kappen will. Doch die Pläne von Wettbewerbskommissar Almunia reichen weiter. Er plant Regelungen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien in ganz Europa gefährden.
Windräder in Niedersachsen: Energiewende auf dem Prüfstand

Windräder in Niedersachsen: Energiewende auf dem Prüfstand

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Hamburg - "Kommissar Gnadenlos" nennen manche Joaquín Almunia. Das drückt den Unmut gegen den EU-Kommissar aus, aber eben auch den Respekt vor ihm. Almunia leitet das Ressort Wettbewerb, was ihn zu einem der mächtigsten Politiker Europas macht. Nun, im Spätherbst seiner Amtszeit, hat sich der Kommissar vorgenommen, auf dem für Europa so zentralen Feld der Energiepolitik aufzuräumen. Er hat einen zweistufigen Masterplan entwickelt, kommenden Mittwoch will er ihn vorstellen.

Ein Teil dieses Maßnahmenpakets enthält wichtige industriepolitische Vorgaben. Die betreffen vor allem Deutschland und führen schon jetzt zu wütenden Protesten. Dazu hat Almunias Masterplan eine europäische Komponente. Über die regt sich bislang kaum jemand auf. Obwohl sie noch viel gewichtiger ist.

Wie aus internen Unterlagen hervorgeht, die SPIEGEL ONLINE vorliegen, plant Almunia Vorgaben, die die Förderung der erneuerbaren Energien in ganz Europa bedrohen. Claude Turmes, stellvertretender Vorsitzender der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, bezeichnet das Vorhaben als "heimliche Bombe".

Im Kern geht es darum, fixe Vergütungssätze für erneuerbare Energien abzuschaffen. Diese besagen: Wer eine Wasser-, Wind-, Biogas- oder Solaranlage baut, erhält für jede produzierte Kilowattstunde Strom eine feste Bezahlung, unabhängig vom schwankenden Strombörsenpreis. In Deutschland hatte dieses Fördermodell gewaltigen Erfolg, mehr als ein Dutzend EU-Länder haben es übernommen.

Almunia und der ihm unterstehenden Generaldirektion Wettbewerb ist diese Entwicklung ein Dorn im Auge. Schon seit Jahren will sie ein anderes Modell durchsetzen: die sogenannte Marktprämie. Betreiber von Ökostromanlagen sollen demnach ihren Strom zum Marktpreis verkaufen und obendrauf einen Bonus kassieren. Um diesen möglichst klein zu halten, sollen Bauprojekte für Ökostromanlagen ausgeschrieben werden. Die Firma, die am wenigsten Prämie fordert, soll den Zuschlag erhalten.

Radikalvorschlag der Generaldirektion

Geeignet sei diese Art der Förderung für Technologien, die sich am Markt bereits etabliert haben, glauben viele in der EU-Kommission - und einigten sich darauf, diese Förderung in Europa zu forcieren. Entsprechende Formulierungen finden sich schon länger in den Leitlinien für eine europäische Energiepolitik, die noch im Frühjahr 2014, vor der Neubesetzung der Kommission, verabschiedet werden sollen.

Nun aber preschen Almunias Leute mit einem neuen Vorschlag vor. Ende vergangener Woche änderten sie im Leitlinienentwurf die Definition, was als reife Technologie zu gelten hat.

Bislang war ausschlaggebend, wie hoch der Anteil einer Technologie ist, die sie zum Energieverbrauch des jeweiligen Landes beisteuert. Im neuesten Leitlinienentwurf gelten Technologien nun als marktreif, sobald sie 0,5 bis 1 Prozent zur Energieproduktion der gesamten europäischen Union beitragen.

Statt länderspezifischen Regeln gibt es nun also eine Pauschalvorgabe für die komplette EU. Und die hat es in sich. Denn Solaranlagen, Windräder an Land und auf See, Wasserkraftwerke und Biogasanlagen überschreiten schon jetzt den von Almunia angesetzten Schwellenwert. Sie dürften demnach künftig EU-weit nur noch per auktionierter Prämie gefördert werden.

"Ideologische Borniertheit"

Insider halten Almunias großen Gleichmacher aus zwei Gründen für ein großes Problem. Erstens benachteiligt dieses Förderregime Mitgliedstaaten, die beim Ausbau erneuerbaren Energien noch ganz am Anfang stehen. In denen also Technologien, die im EU-Durchschnitt als reif gelten, noch gar nicht wettbewerbsfähig sind. Gerade in diesen Ländern dürfte der Ausbau erneuerbarer Energien stark zurückgehen, fürchten Experten in Berlin und Brüssel.

Zweitens ist Almunias Plan auch für alle übrigen EU-Länder problematisch. Denn die angestrebte Direktvermarktung gilt als wenig erfolgreich. Vor allem kleine Anlagenbetreiber bräuchten künftig einen Vermarkter, der ihren Strom verkauft. Es besteht das Risiko, dass dieser Vermarkter pleitegeht, der Anlagenbetreiber auf seinem Strom sitzenbleibt und seinen Anspruch auf Förderung verliert. Banken dürften dieses Risiko einpreisen und die Zinsen für die Finanzierung von Ökostromanlagen erhöhen.

Insgesamt dürften die Kosten einer Ökostromanlage so steigen. Für Investoren wird es weniger attraktiv, sie zu bauen. Soll der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht abgewürgt werden, müsste die Marktprämie entsprechend hoch ausfallen. Am Ende könnte dieses System teurer werden als die derzeitige Fixpreis-Förderung.

Wenn es denn überhaupt funktioniert. In allen EU-Länder, die bisher mit solchen Ausschreibungsmodellen experimentierten, wurden am Ende weniger Anlagen gebaut als geplant. In Deutschland ist man entsprechend vorsichtig: Laut Koalitionsvertrag soll ein Auktionsmodell hierzulande frühestens 2017 eingeführt werden - und das auch nur dann, wenn entsprechende Pilotprojekte zuvor Erfolg hatten.

Almunia hat andere Pläne. Er will das System binnen zwölf Monaten nach Veröffentlichung der offiziellen Leitlinien durchsetzen. In ganz Europa.

In der Bundesregierung ist man deswegen erbost. "Almunia will ganz Europa zu einem System zwingen, das bislang noch nirgends in Europa funktioniert hat", heißt es in Regierungskreisen. "Das ist keine Marktwirtschaft, sondern ideologische Borniertheit."