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Erfahrungsbericht eines H1N1-Infizierten "Ich habe Schweinegrippe"

Die Schweinegrippe greift auch in Deutschland um sich. Die meisten der Infizierten kehren aus Spanien zurück. Wie der 35-jährige Oliver Reinhardt: Drei Tage war der Ingenieur auf Dienstreise und infizierte sich dort mit dem H1N1-Virus. Bei ihm verlief die Krankheit leicht. Wieder gesund, fragt er sich: Das war nun diese schreckliche Schweinegrippe? Ein Erfahrungsbericht.

"Verdammte Schweinegrippe!" sage ich zu meinen drei Kollegen, als ich zum x-ten Mal an diesem Tag husten muss. Die vielen Klimaanlagen in den Hotels und Restaurants sind sicher schuld an meinem trockenen Mund und den aufkommenden Halsschmerzen. Ich sitze auf einem Plastikstuhl des Frankfurter Flughafens auf dem Rückweg von einer dreitägigen Dienstreise nach Vitoria-Gasteiz in Nordspanien. Über den Scherz lächeln meine Kollegen nur müde - schließlich haben wir uns vor der Reise immer wieder die gleichen Bemerkungen anhören müssen: "Ihr fliegt ins Seuchengebiet", "Kommt gesund zurück" oder "Werdet bloß nicht zu Schweinen."

Ich fühle mich aber nicht wie ein Schwein, eher wie ein Boxer nach der zwölften Runde. Endlich angekommen in Stuttgart sehne ich mich nach meinem Bett, bin schlapp und müde. Ein Begrüßungskuss von der Freundin und dann falle ich in die Kissen. Inzwischen haben sich auch Gliederschmerzen in meinem Körper breitgemacht – aber zwei Sekunden später bin ich ohnehin schon eingeschlafen.

Am nächsten Morgen komme ich mir vor wie damals als Teenager nach einem Abend mit viel zu viel billigem Tankstellen-Fusel. Der Kopf brummt, alle Glieder schmerzen, der Hals brennt. Ich melde mich im Büro krank und lege mich zurück ins Bett. Als ich verschwitzt aufwache, ist es bereits Mittag. Ich habe 38,6 Grad Fieber und zum ersten Mal denke ich, dass ich mir doch etwas eingefangen haben könnte. An die Schweinegrippe mag ich noch immer nicht glauben - schließlich war ich ja auf Dienstreise im Norden der iberischen Halbinsel und nicht zum Sangria-Eimer leeren im Partymekka Lloret de Mar. Mein Hausarzt ist im Urlaub, seine beiden Stellvertreter an diesem Freitagnachmittag nicht mehr erreichbar. Also rufe ich im Krankenhaus an. Dort wird mir dringend geraten, sofort vorbeizukommen - aber bloß nicht zum Haupteingang.

Ich klingle am Seiteneingang. Eine Schwester sitzt rauchend in der Sonne: "Na, Schweinegrippe?", fragt sie. Das Klinikpersonal sei ziemlich genervt von der Hysterie um die Schweingrippe, erzählt sie. Die Versorgung der Schweinegrippe-Verdachtsfälle sei seit Tagen die Hauptbeschäftigung in der Notaufnahme. Bislang sei nur ein einziger Patient positiv auf H1N1 getestet worden. Die Tür zur Notaufnahme geht auf. Ein Pfleger mit Schutzbrille, Gummihandschuhen und Atemschutzmaske hält mir mit ausgestrecktem Arm ebenfalls eine solche Maske entgegen. Ich werde in einen kleinen Raum geleitet, in dem mir eine Blutprobe entnommen wird. Mein Fieber ist inzwischen auf über 39 Grad gestiegen. Ich werde an den Tropf gehängt, bekomme Elektrolyte und Paracetamol.

Der diensthabende Arzt erscheint - eingepackt in Papieranzug, Haube, Plastikhandschuhe, Schutzbrille und Atemschutzmaske. Er wirkt wie ein Astronaut, der ein Alien untersuchen muss. Er hört mich ab, verschreibt mir das aus den Medien bereits berühmt gewordene Tamiflu, lässt mir noch einen Stapel Atemschutzmasken einpacken und schickt mich nach Hause. Den Kontakt zu Mitmenschen soll ich meiden. Wenn ich rausgehe, dann nur mit einer solchen Maske. Ich will wissen, wann ich mitgeteilt bekomme, ob ich die Schweinegrippe habe. "Der Test dauert mindestens 24 Stunden. Das Gesundheitsamt wird sich bei Ihnen melden, wenn das Ergebnis positiv ist. Ansonsten können Sie am Montag zu den normalen Bürozeiten selbst nachfragen", sagt der Arzt beim Hinausgehen.

Wieder zu Hause angekommen, rufe ich meine Kollegen an - allen geht es weiterhin gut. Obwohl wir in denselben Flugzeugen und Mietwagen saßen, an denselben Besprechungen teilgenommen haben und denselben Leuten die Hände geschüttelt haben. Selbst abends waren wir zusammen im Restaurant. Jetzt soll ich die Schweinegrippe haben? Wohl kaum.

Die Nacht ist unruhig. Schüttelfrost wechselt sich mit starkem Schwitzen ab. Erst am nächsten Nachmittag fällt plötzlich eine Art Nebelschleier von mir ab. Innerhalb einer Stunde geht das Fieber deutlich zurück und mein Zustand bessert sich. Ich bin froh, es war wohl doch nicht die gefürchtete Grippe. Dann kommt der Anruf vom Gesundheitsamt: H1N1 wurde bei mir positiv bestätigt. Ich bin verwirrt. Das war nun diese schreckliche Schweinegrippe?

Der Mann vom Gesundheitsamt bittet mich, meinen Kollegen und meiner Freundin ein Infoblatt weiterzuleiten. Darin steht, dass die Grippe bereits einen Tag vor Ausbruch der Krankheit übertragen werden kann. Auf meine Frage, ob sich meine Kontakte nun auch testen oder vorsorglich in Behandlung begeben sollten, bekomme ich eine für mich überraschende Antwort: Nur wenn diese Kollegen ebenfalls Symptome aufzeigen sollten - ansonsten besteht kein Handlungsbedarf. Aber sollte zumindest meine Freundin einen Test machen? Auch hier lautet die Empfehlung des Gesundheitsamtes: abwarten.

Inzwischen sind drei Tage seit Ausbruch der Schweinegrippe vergangen und mir geht es blendend. Weder die Kollegen noch meine Freundin scheinen sich angesteckt zu haben. Der Hausarzt schickt mir per Post eine Krankmeldung zu, ich soll bitte nicht in seine Praxis kommen. Ich werde weitere fünf Tage krank geschrieben und soll diese Zeit möglichst zu Hause in meiner privaten Quarantänestation verbringen. Dabei fällt mir schon jetzt die Decke auf den Kopf, zumal draußen nach all dem Regen nun doch endlich der Sommer angekommen ist. Vielleicht mache ich bei der Gelegenheit ja doch endlich meine Steuererklärung?

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