Es gibt eine gute Nachricht an diesem Dienstag in Celle. Eine, die Hoffnung macht, dass die schlechten Nachrichten, die jeden Tag aus dem Nordirak in die niedersächsische Kleinstadt und in den Rest der Republik gemeldet werden, nicht auch in Deutschland bald vieles aus den Fugen geraten lassen. Die Nachricht lautet, dass sich die in Celle lebenden Jesiden, deren Familien allesamt aus der Kriegsregion im Norden des Iraks stammen und dort von der islamistischen Terrormiliz IS verfolgt werden, mit einer Gruppe muslimischer Tschetschenen, die ebenfalls aus einer Krisenregion, in der es wenig zimperlich zugeht, nach Celle geflohen sind, an einen Tisch gesetzt haben. Dass man miteinander redet, den friedlichen Dialog suchen, finden und fortsetzen will. Das ist ja nicht selbstverständlich in diesen Zeiten.
Am Abend zuvor haben sie sich hier um ein Haar gegenseitig die Köpfe eingeschlagen. 90 Jugendliche und junge Männer beider Volksgruppen, die sich unweit des Celler Schlosses auf einmal gegenüberstanden. Die sich gegenseitig bepöbelten und schließlich mit Faustschlägen und Fußtritten malträtierten. Und die letztendlich nur mithilfe eines 70-köpfigen Polizeiaufgebots wieder auseinanderdividiert werden konnten. Für einen Moment hatte es da so ausgesehen, als sei das türkisch-syrisch-irakische Grenzgebiet mit seinen alltäglichen Schreckensnachrichten dem beschaulichen Celle nicht nur in den Nachrichtensendungen sehr nahe gekommen.
Man hat die Lage dann also doch noch in den Griff bekommen. Es blieb bei leichten Verletzungen, Platzverweisen und nun zwangsläufig folgenden Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs. Noch in der Nacht zum Dienstag trafen sich Vertreter der in Celle starken Minderheit jesidischer Kurden mit Vertretern der zahlenmäßig deutlich kleineren tschetschenischen Gruppe und sprachen im Beisein der Polizei über Möglichkeiten der Deeskalation. Weitere Gespräche sollen im weiteren Verlauf der Woche folgen. „Gewalt wollen wir hier nicht haben in Celle“, sagt Pahsin Ipek, Vertreter des jesidischen Zentrums der Stadt, im Gespräch mit der „Welt“.
Die Nerven liegen ziemlich blank
Man sei angesichts der kurzfristigen Eskalation zunächst auch innerhalb der jesidischen Gemeinde „einfach fassungslos“ über den plötzlichen Gewaltausbruch gewesen. Nun wolle man unbedingt dafür sorgen, dass es künftig friedlich bleibe, auch wenn es in den jesidischen Familien angesichts des IS-Terrors natürlich brodele. Jeder Celler Jeside habe Verwandtschaft in der Gegend um Shingal, in der die IS-Miliz Frauen vergewaltige, Menschen enthaupte, für Angst und Schrecken sorge. Die Nerven, keine Frage, liegen ziemlich blank bei vielen Mitgliedern dieser religiösen Minderheit.
Spätestens seitdem im August muslimische Tschetschenen in Herford ein jesidisches Restaurant überfallen und anschließend Hunderte von Jesiden spontan Jagd auf die Tschetschenen gemacht haben, sind auch die Spannungen publik, die sich zwischen Mitgliedern dieser beiden Volksgruppen entwickeln können. Aber wie und warum genau es am Dienstagabend ausgerechnet in Celle zu der erneuten Eskalation kam, konnte die Polizei trotz der intensiven Gespräche mit den Beteiligten zunächst nicht klären.
Pahsin Ipek vom jesidischen Zentrum berichtete zwar, dass sich die Situation „aus einer kleineren Sache hochgeschaukelt“ habe, dass Jugendliche beider Seiten sich zunächst nur beschimpft hätten, dass man wohl auch gegenseitig Angst voreinander gehabt und erst richtig aufeinander losgegangen sei, als die ersten Polizisten hinzukamen. Warum die jesidische Gruppe aber ausgerechnet in dem Viertel Celles auftauchte, in dem viele tschetschenische Familien leben, vermochte auch Ipek nicht zu sagen.
Fakt ist, dass es am Montagabend in ganz Norddeutschland spontane Demonstrationen gegen die Terrormiliz IS gab, an denen vorwiegend Kurden teilnahmen. In Hamburg zogen rund 200 Demonstrationsteilnehmer vor das Rathaus, in Hannover versammelten sich rund 450 Menschen, in Göttingen 350 und in Bremen rund 300. Dort empfing am Dienstag Bürgermeister Jens Böhrnsen eine Delegation kurdischer Vereine und sicherte ihnen die Solidarität und die Unterstützung der Hansestadt zu. „Sie sind ein Teil Bremens und wir alle machen uns gemeinsam mit Ihnen große Sorgen“, sagte der Sozialdemokrat und sicherte den Jesiden erneut Erleichterungen beim Zuzug von Familienangehörigen zu.
Fakt ist auch, dass tschetschenische Flüchtlinge in den vergangenen Monaten immer wieder als besonders gewaltbereit aufgefallen sind. Gerade in der Enge und Gereiztheit von Flüchtlingsunterkünften kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. So meldete die brandenburgische Polizei im August eine Massenschlägerei zwischen Tschetschenen und Afrikanern, im September konnte die Hamburger Polizei mit Müh und Not gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Tschetschenen und christlichen Flüchtlingen aus Eritrea verhindern.