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Europäische Pharmaforschung Bürger zahlen, Konzerne profitieren

Die EU subventioniert die Pharmaforschung mit Milliarden. Das Geld erhält die "Innovative Medicines Initiative" - ein Verbund von Konzernen und Hochschulen, der neue Medikamente entwickeln soll. Die Bilanz: desaströs.
Von Maxie Eckert, Nicola Kuhrt, Julian Schmidli und Timo Stukenberg
Foto: Corbis

Die Idee war gut: Mit einem milliardenschweren Programm fördert die EU-Kommission Hochschulen, kleinere Forschungsinstitute und Arzneimittelhersteller. Gemeinsam sollen sie an neuen Medikamenten forschen, die die Menschen wirklich benötigten. Doch Recherchen von SPIEGEL ONLINE, des SRF , von Schweizer Radio und Fernsehen sowie der belgischen Tageszeitung "De Standaard"  zeigen: Die mehr als 2,5 Milliarden Euro Steuergelder umfassende "Innovative Medicines Initiative " (IMI) dient fast nur dazu, die Industrie über den Umweg der Forschung zu subventionieren.

Ein halbes Jahr lang hat das Rechercheteam die Strukturen der IMI analysiert und ihre Verfahren und Finanzen untersucht. Es hat mehr als 70 Menschen interviewt. Unter ihnen Forscher, Politiker, Mitarbeiter der Pharmaindustrie und von Nichtregierungsorganisationen.

Als "Champions League für biomedizinische Forschung" hatte Janez Potocnik, früher EU-Wissenschaftskommissar, das neue Flaggschiff beim Start 2009 bezeichnet. Die avisierten Projekte rund um Diabetes, psychische Krankheiten, Schmerzen und Medikamentensicherheit sollten eine neue Ära der Forschung einläuten.

Das Budget der IMI umfasst derzeit mehr als fünf Milliarden Euro. Die eine Hälfte des Geldes kommt stets von der EU, es geht an teilnehmende Projektpartner wie Universitäten, Mittelständler und Institute. Die andere Hälfte stellen die europäischen Arzneimittelkonzerne  (EFPIA), sie investieren Sachleistungen, indem sie etwa ihre Labore bereitstellen.

Mehr als 1220 Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Patientenorganisationen und Regulierungsbehörden nehmen an den verschiedenen Projekten  teil. Allein aus Deutschland kommen aktuell 223 Akteure. Pharmakonzerne wie GlaxoSmithKline, Bayer, Sanofi, AstraZeneca oder Pfizer beteiligen sich an der IMI. Teilnehmer auf Seiten der Universitäten sind die Charité in Berlin genauso wie Hochschulen in Freiburg, Uppsala, Leiden oder Utrecht. Die IMI ist die weltweit größte öffentlich-private Kooperation (PPP) in den medizinischen Wissenschaften.

Und was ist wirklich draus geworden? Nach fünf Jahren zeigt sich: Die IMI hat sich anders entwickelt als angekündigt. Ein Fakten-Check in sieben Kapiteln.

Unsere Bilanz - daran krankt die IMI:

  • Die EU zahlt, die Industrie profitiert.
  • Teilnehmende Universitäten und Forschungsinstitute haben wenig Einfluss auf den Kurs der IMI.
  • Praktisch dient die IMI zuallererst dazu, zu erforschen, was der Industrie nutzt - und nicht zu dem Zweck, der ursprünglich festgeschrieben wurde: Therapien und Medikamente zu entwickeln, an denen es den Menschen mangelt.
  • Die Kontrollmechanismen sind nicht transparent, Berichte werden nur innerhalb der IMI weitergegeben.
  • Kontrolleure der EU und die Öffentlichkeit erhalten durch die Pharmakonzerne keine Einsicht in die Details der einzelnen Forschungsprojekte der IMI.

Und was sagt die EU-Kommission dazu? "Heutzutage kann kein Unternehmen und keine Organisation allein die großen Herausforderungen meistern, die die Entwicklung wichtiger Arzneimitteln für die Gesundheit vieler Menschen bedeutet", erklärt Lucia Caudet, Sprecherin der EU-Kommission. Die IMI bündele die Kräfte der wichtigen Partner in einem Netzwerk von Kommission und europäischer Pharmaindustrie.

Durch die gemeinsamen Anstrengungen bringe die IMI Fortschritte im Verständnis von Krankheiten wie Alzheimer oder Diabetes und führe zur Entwicklung neuer Medikamente. "Der kooperative Ansatz hat sich bereits in vielen Bereichen bewährt", sagt Caudet. Die partnerschaftliche Vorgehensweise zeige sich auch in der Governance-Struktur der IMI und auch in den Projektauswahlverfahren. Die IMI stehe für Open Innovation und biete eine Plattform, auf der die Teilnehmer Daten und Wissen teilen. (Lesen Sie hier die komplette Stellungnahme auf englisch.)

Was antworten Kritiker darauf? Inge Gräßle , Vorsitzende des Haushaltskontrollausschusses im EU-Parlament, ist skeptisch gegenüber der Organisationsform. "Die Verantwortlichen müssen endlich den inhärenten Interessenkonflikt auflösen - sie sind Partei, obwohl sie eigentlich den Steuerzahlern gegenüber für eine ordentliche Mittelverwendung geradezustehen haben."

Das Fazit des Rechercheverbands: Die Industrie sollte endlich Transparenz schaffen und die eigenen internen Strukturen offen legen. Den Hochschulen und Forschungsinstituten muss in der IMI wirklich auf Augenhöhe begegnet werden. Undurchsichtige Regelungen gehören abgeschafft. Dann kann die IMI wirkliche Innovationen schaffen.

Mitarbeit: Christina Elmer, Timo Grossenbacher, Sylke Gruhnwald, Maximilian Schäfer