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Schellnhubers unverhohlener Antrag auf den Nobelpreis

Von Ulli Kulke
Veröffentlicht am 25.11.2015Lesedauer: 7 Minuten
Ein Mann im Schnee: Der deutsche Klimaforscher und Direktor des 1992 gegründeten Institutes für Klimafolgenforschung in Potsdam Prof. Dr. Hans Joachim Schellnhuber
Ein Mann im Schnee: Der deutsche Klimaforscher und Direktor des 1992 gegründeten Institutes für Klimafolgenforschung in Potsdam Prof. Dr. Hans Joachim SchellnhuberQuelle: picture alliance / ZB

Der Direktor des Instituts für Klimafolgenforschung nennt sich „Vater des 2-Grad-Ziels“. Lange beriet er die Kanzlerin. Nun meldet er sich wieder zu Wort. In einer Mischung aus Melancholie und Wahn.

Hans Joachim Schellnhuber konnte an dem Tag weit schauen, „unbeschreiblich weit“. Auf einer Anhöhe in Zentralafrika stand er, unter ihm eine „Riesenlandschaft“. Im Westen überblickte er das Kongobecken, im Osten den zentralafrikanischen Graben, die Savanne, gesprenkelt mit den Leibern unzähliger Elefanten und „im Norden schimmerte die Fläche des Edwardsees“. Eine „beängstigende Schönheit“ traf er dort. Doch das „dunkle Herz Afrikas“ sei krank, „todkrank“.

Wie er dort hinkam, damals, 1974, ,,das tut hier nichts zur Sache“, schreibt er. Ihm ging es in dem Moment nämlich ums Ganze: „Wie groß ist doch die Schöpfung“, schoss es ihm durch den Kopf, „wer und was immer sie vollbracht hat.“ Und siehe, die Schöpfung sprach zu ihm, ein bisschen jedenfalls: „Fast glaubte man, ein leises Zischen zu hören, einen Urton aus dem Geräuschkanon der juvenilen Welt.“ Schellnhuber, der weltbekannte Klimapapst, trifft auf Gott.

Zugegeben, solche Zitate so aneinanderzureihen, ist bisweilen wohlfeil. Doch Schellnhuber, obwohl Agnostiker, legt es geradezu an auf das Sakrale in seinem neuen Buch. „Selbstverbrennung“ heißt es. Welch anmaßender, hochtrabender Titel. Um unseren Planeten geht es darin. Und um denjenigen, der aufgestanden ist, ihn zu retten: Hans Joachim Schellnhuber, im Alleingang. Mit ein bisschen Assistenz vielleicht noch vom Papst. „Dieses Buch“ – mit diesen Worten, als Überschriften abgesetzt, beginnen in seinem kurzen Vorwort, ganz im Stile einer Litanei, die ersten Sätze aller Paragrafen. Sieben sind es, eine biblische Zahl.

Zäsur der Menschheitsgeschichte

Schellnhuber, 65, ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung seit dessen Gründung im Jahr 1992. Seither hat er die Diskussion um die Weltklimaveränderung und vor allem die über deren Folgen mitverfolgt und mitbestimmt. Durchaus kurzweilig beschreibt er die Meilensteine des nun schon fast 30 Jahre andauernden globalen Klimazirkus und seiner Gipfelkonferenzen mit 40.000 Teilnehmern

Der Höhepunkt, auf den all dies zugesteuert hat, steht nun unmittelbar vor der Tür, mit dem Klimagipfel in den ersten beiden Dezemberwochen in Paris. Wer im Vorfeld den Prozess aus der – von Alarmismus nicht freien – Insidersicht Schellnhubers nacherleben will, dem sei das Buch empfohlen.

Noch lehrreicher allerdings ist das Buch für denjenigen, der sich dafür interessiert, wie sich die Selbstwahrnehmung in einem Kopf entwickelt, der sich an der Spitze einer epochalen Zäsur der Menschheitsgeschichte wähnt. Vergleichbar allenfalls mit der neolithischen Revolution am Ende der Jungsteinzeit vor vielleicht 12.000 Jahren, als Homo sapiens vom Jagen und Sammeln zu Ackerbau und Viehzucht wechselte. Und wohl auch noch mit der industriellen Revolution.

Schellnhuber und Gott

Was aber damals James Watt einleitete und was über drei Jahrhunderte den Fortschrittsbegriff mit Inhalt füllte, das beansprucht Schellnhuber nun wieder zurückzudrehen. ER will „Das Haus der Zivilisation neu erbauen“. Nicht mehr und nicht weniger. Die „Große Transformation“ steht der Welt ins Haus. Ursprünglich war der Begriff die Überschrift eines Gutachtens, das ein von Schellnhuber geleitetes Gremium der Bundesregierung vor drei Jahren vorlegte. Jetzt soll es in die Geschichtsbücher späterer Generationen eingehen, mit seinem Namen.

Weltklimarat fordert schnelle Energiewende

Der UN-Weltklimarat hat die Staatengemeinschaft in Berlin zu ambitionierterem Handeln im Klimaschutz aufgefordert. Nur wenn jetzt gehandelt werde, könnten irreversible Schäden verhindert werden.

„An einem Spätsommerabend im Jahr 1993 schrieb ich – möglicherweise – Weltgeschichte.“ So beginnt Schellnhuber sein Kapitel „Zwei Grad Celsius“. Andere meinen solche Sätze ironisch. Dieser Autor nicht.

Wer oder was ihn wohl zum Einschub „womöglich“ veranlasst hat? Ist er überhaupt ernst gemeint? Ein paar Absätze weiter führt er aus, wie er persönlich „den ebenso tollkühnen wie unvermeidlichen Versuch unternommen hatte, eine explizite, vernunftgeleitete Umgrenzung des akzeptierbaren Bewegungsraums der menschengemachten Erwärmung zu skizzieren“. 1,5°C plus 0,5°C ergibt 2°C, hatte er ausgerechnet.

Du sollst die Erde um nicht mehr als zwei Grad Celsius erwärmen

Schellnhuber beansprucht sozusagen, der „Mister zwei Grad“ zu sein. Der Mann, der der Weltgemeinschaft das Jahrhundertziel formuliert hat: Du sollst die Erde um nicht mehr als zwei Grad Celsius erwärmen. Und seither gilt dieses Gebot als Grundlage im Klimazirkus, als Ziel, als Chiffre für das Erreichbare, aber auch als Scheidepunkt für Weltrettung oder Weltuntergang. Von Schellnhuber entdeckt. Die Erlösung per Registered Trademark.

„Viele Jahre lang wurde insbesondere ich persönlich als Urheber der Grundidee dafür heftig angegriffen“, klagt er, von Wirtschaftswissenschaftlern, anderen Klimaforschern und den Medien. Doch er sei „ganz zufrieden damit, als ‚Vater des 2-Grad-Ziels‘ von den Klima-Abwieglern an den Pranger gestellt zu werden“. Ob er gekränkt ist, dass sein Name im Internetlexikon Wikipedia unter dem Stichwort „Zwei-Grad-Ziel“ lediglich am Rande erwähnt ist?

Er prognostiziert: Wenn wir meine Vorgabe nicht schaffen, so fällt die nächste Eiszeit, die in etwa 60.000 Jahren auf dem Programm steht, aus. Will sagen: Schaffen wir es doch, so sollte spätestens dann für Schellnhuber der Friedensnobelpreis drin sein. Besser schon früher. Er arbeitet daran. Das Buch ist sein Antrag, unverhohlen, beispiellos.

Klima und Zivilisation

Der Weltklimarat IPCC hat den Preis bereits, und Schellnhuber gehört auch zur Community. Doch das Komitee in Oslo hat, als einer der IPCC-Autoren sich mit der Auszeichnung persönlich schmücken wollte, vor drei Jahren einmal festgestellt, der Preis gilt allein der Organisation, keiner Person.

Vielleicht kann der Papst helfen. „Dieses Buch“, so heißt es in Schellnhubers Vorwort, „erscheint im selben Jahr wie die Enzyklika ‚Laudato si‘, mit der Papst Franziskus wort- und gedankengewaltig in die Umweltdebatte eingegriffen hat.“ Natürlich war es Schellnhuber, der die Ehre hatte, „dieses einzigartige Dokument“ zusammen mit „zwei der höchsten Repräsentanten“ der Weltöffentlichkeit im Juni 2015 vorzustellen.

„Diese Zivilisationskrise“, in der er uns derzeit sieht, sei eben nur durch die Verbindung von Glaube und Vernunft zu bewältigen, von Spiritualität und Intellektualität. Insofern hätten die Enzyklika und sein Buch viele Gemeinsamkeiten. Der Klimapapst und der andere Papst.

So sicher wie ein Prophet

Der große Warner, der die Menschheit zur Wende zwingt, was wäre er, stünde es nicht so schlimm mit der Welt? Wie groß denn da die Versuchung sei, „jene Indizien zu verschweigen, nach denen der Klimawandel weniger schlimm ausfallen könnte?“, wollte der Spiegel kürzlich von ihm wissen. „Die Gefahr selektiver Wahrnehmung besteht“, gesteht Schellnhuber immerhin ein, „aber ich hoffe sehr, dass ich streng genug mit mir selbst ins Gericht gehe, um dieser Versuchung niemals nachzugeben.“ Aber gelingt ihm das immer?

Jedermann kann heute im Internet einen TV-Spot anschauen mit einem Interview des Bayrischen Rundfunks, in dem Schellnhuber mit ernster Mine und vor allem sehr selbstsicherem Tonfall feststellt, dass die großen Himalaya-Gletscher „in dreißig, vierzig Jahren verschwinden“, und noch hinzufügt: „Das kann man ganz leicht ausrechnen“, zweieinhalb Milliarden Menschen, sagte er, würden da ihre sichere Trinkwasserversorgung verlieren. Bei zwei Grad Erwärmung „würde das mit Sicherheit passieren“.

Ganz leicht ausrechnen? Dreißig, vierzig Jahre? Mit Sicherheit? Alle Gletscher verschwinden, Hunderte Meter dicke Panzer in fünf- bis siebentausend Meter Höhe? Heute würde Schellnhuber das sicher nicht noch einmal sagen. Auch wenn es so in einem amtlichen Report des Weltklimarates steht. Es handelte sich um einen Zahlendreher, wie sich kurz nach dem Interview herausstellte.

Wir verteilen durch die Klimapolitik de facto das Weltvermögen neu

Ottmar Edenhofer,Chefökonom von Schellnhubers Potsdam-Institut

Im Report war als Datum für ein weitgehendes Abschmelzen das Jahr 2035 genannt. Gemeint war aber das Jahr 2350, und auch diese Angabe hatte der Weltklimarat, der sich eine wissenschaftliche Kompetenz wie kein anderes Gremium zugute hält, nicht wissenschaftlich ergründet, sondern einfach aus einer Broschüre des WWF abgeschrieben.

Nasa will Klimawandel erforschen

Dem schmilzenden Meereis auf der Spur: Durch eine Mission auf der Erde will die US-Weltraumbehörde untersuchen, wie sich eine eisfreie Wasserfläche und Wolken am Nordpol auf die Erderwärmung auswirken.

Das subjektive Gefühl, am Rad der Weltgeschichte höchstpersönlich zu drehen, eine neue Ära einzuleiten, womöglich gleich ein neues Erdzeitalter, indem man das gerade ausgerufene, unheilvolle „Anthropozän“ Kraft seiner Geistesblitze gleich wieder beendet – all das begründet ein subjektives Gefühl von Größe. Davon zeugt dieses Buch, kein Zweifel.

Ottmar Edenhofer, der Chefökonom von Schellnhubers Potsdam-Institut reklamiert: „Wir verteilen durch die Klimapolitik de facto das Weltvermögen neu.“ Schellnhuber selbst, der eigentlich die erforschten Eckdaten der Klimaentwicklung den Regierenden vorlegen sollte, damit diese daraus die politischen Schlüsse ziehen – er legt lieber die Fundamente für die Gelehrtenrepublik, in der sogenannte „Eierköpfe“ wie er die Geschicke selbst in die Hand nehmen. Oder gleich er allein.

Der melancholische Herr Sch.

Es geht nicht mehr nur um die „gefährliche Nähe von Politik und Klimaforschung“, die der eher nüchterne Klimaforscher Hans von Storch heute konstatiert, sondern um die Verschmelzung von Klimaforschung und Politik. In allen Ressorts. Schellnhuber zitiert in seinem Buch seinen „Nature“-Artikel, in dem er festlegte, wie viel wir von welchen Ressourcen pro Jahr verbrauchen dürfen, wie viele Emissionen wir uns noch leisten können und wie viel Artensterben, wie viel Wachstum erlaubt sein darf.

Hans Joachim Schellnhuber: „Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“, Bertelsmann, München. 777 S., 29,99 €
Hans Joachim Schellnhuber: „Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff“, Bertelsmann, München. 777 S., 29,99 €Quelle: dpa

War das auch alles „sehr leicht auszurechnen“? „Planetarische Grenzwerte“ nennt er das. Werden sie als nächstes auf der Agenda stehen, nach dem Zwei-Grad-Ziel?

Er habe das Buch offenbar an einem „eher melancholischen Tag geschrieben“, bekannte Schellnhuber in einem Interview, wohl etwas scherzhaft. Greifen wir es ebenfalls etwas scherzhaft auf und empfehlen ihm die Lektüre des Kapitels „Melancholie und Wahn“. Aus dem Buch „Gespenster und Gelehrte“.


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