Zum Inhalt springen

Berliner Reaktionen auf Boris Johnson "Demnächst wird Dracula Gesundheitsminister"

Das kam auch für Berlin überraschend: Der Brexit-Befürworter Boris Johnson wird neuer britischer Außenminister. Die Reaktionen fallen ausgesprochen kühl aus.
Boris Johnson

Boris Johnson

Foto: Andy Rain/ dpa

Als die Personalentscheidung der neuen britischen Premierministerin Theresa May am Mittwochabend vermeldet wurde, dachte mancher in Berlin an einen Scherz. Ausgerechnet Boris Johnson, der polemische Brexit-Befürworter, der Selbstdarsteller und Egomane, soll das britische Foreign Office leiten.

"Mich würde es nicht wundern, wenn man in Großbritannien demnächst Dracula zum Gesundheitsminister macht", sagte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich SPIEGEL ONLINE.

Sein Kollege Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, reagierte ähnlich, wahrte aber diplomatische Contenance: "In der jetzigen Lage braucht Großbritannien einen Profi als Außenminister. Johnson muss jetzt zeigen, dass er das ist. Sollte ihm das nicht gelingen, wäre das von großem Nachteil für sein Land."

Bis vor wenigen Tagen noch galt Johnson als abgemeldet. Er hatte sich nach dem Brexit-Referendum geweigert, den Vorsitz der Konservativen Partei zu übernehmen und damit künftiger Premier zu werden.

Doch offenbar will May Frieden in der tief zerstrittenen Partei - die Brexit-Gegnerin bindet den Brexit-Befürworter ein, versucht die Insel zu einen und setzt ein Zeichen, den Austritt zu wollen. Das ist die Lesart in der Regierung in Berlin. Die Kanzlerin umschiffte dennoch das Thema Johnson bei ihrem Besuch in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek. "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Theresa May", sagte sie. Zu Johnson aber sagte Angela Merkel kein Wort.

Neuer britischer Außenminister Johnson im Video:

Johnson, Ex-Journalist und Ex-Bürgermeister von London, gilt als außenpolitisch unerfahren, hat noch nie ein Ministerium geleitet. Sein Vorbild ist Winston Churchill, der britische Premier des Zweiten Weltkriegs, der die Außenpolitik gerne selbst betrieb. Über Churchill hat Johnson erst vor Kurzem ein Buch veröffentlicht ("Der Churchill-Faktor"), das einem Lobgesang glich. "Reaktionär und Liberaler zugleich", so urteilt Johnson darin über den wuchtigen Konservativen, "exzentrisch, überspannt, theatralisch." Attribute, die auch einer Selbstbeschreibung gleichen könnten.

Wie bei allen Newcomern, so gilt auch in Berlin die Devise: Es bleibt erst einmal abzuwarten, wie Johnson sein neues Amt ausführt. Seine Ernennung ist dennoch nicht ohne Risiko, schließlich bleibt Großbritannien ein wichtiger Akteur auf der Weltbühne. "Das Verhältnis zu Russland, die Iran-Politik - da war Großbritannien in den vergangenen Jahren eng an unserer Seite. Da muss sich Johnson als Außenminister beweisen", gibt der SPD-Außenpolitiker Mützenich zu Bedenken.

Berlin hatte mit einem anderen Außenminister gerechnet

Es sind nicht nur die Bundestagsabgeordneten, die erstaunt auf die Ernennung Johnsons reagierten. Im Auswärtigen Amt hatte mancher einen anderen Namen für das britische Außenamt auf dem Papier: George Osborne, Finanzminister unter Premier David Cameron und einer der vehementesten Befürworter eines EU-Verbleibs. Osborne aber ist nun ganz raus - er hat keinen Posten im neuen Kabinett.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird also mit Johnson arbeiten müssen. Einen Besuchstermin des Briten in Berlin - traditionell machen die Neulinge bei ihren europäischen Kollegen eine Antrittsvisite - gibt es noch nicht. Steinmeier, der am Donnerstag in seinem Wahlkreis in Brandenburg der "Bild am Sonntag" ein Interview gab, kommentierte die Berufung pragmatisch: "Boris Johnson ist ein gewiefter Parteipolitiker, der es verstanden hat, die europaskeptische Stimmung für sich zu nutzen", so der SPD-Politiker.

Er ergänzte, mit Blick auf die Konfliktherde in Syrien und im Irak und den Kampf gegen den IS-Terror: "Jetzt stehen aber völlig andere politische Aufgaben im Vordergrund. Es geht darum, jenseits des Brexits außenpolitische Verantwortung zu übernehmen." Und erneut plädierte Steinmeier für einen raschen Beginn der Trennungsgespräche zwischen Briten und EU.

Fotostrecke

Neuer Außenminister: Brexiteer als Gesicht Großbritanniens

Foto: OLI SCARFF/ AFP

Noch ist Großbritannien Vollmitglied und die Regierung hat nicht mitgeteilt, wann sie den Antrag für die Austrittsverhandlungen stellt. Zwar wird dafür nicht Johnson zuständig sein - diese Funktion übernimmt David Davis in dem neuen Brexit-Ministerium. Doch auch so werden die europäischen Kollegen mit Johnson zu tun haben, auf den Treffen der EU oder der Nato-Außenminister, bei bilateralen Gesprächen, in der Uno und in anderen internationalen Formaten.

Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault, ein eher zurückhaltender Mann, war einer der ersten auf dem internationalen Parkett, der das Unbehagen in Worte kleidete. "Während des Wahlkampfs hat er das britische Volk immer wieder angelogen und jetzt ist er es, der mit dem Rücken zur Wand steht ", sagte er dem französischen Sender Europe 1. Ayrault fügte hinzu, er brauche ein Gegenüber, "mit dem ich verhandeln kann und der eindeutig, glaubwürdig und verlässlich ist".

Eine Chance will aber Ayrault seinem Kollegen geben. Er sei "überhaupt nicht in Sorge, was Boris Johnson angeht", schließlich kenne man seinen "Stil und seine Methode".

Premierministerin May im Video: "Brexit heißt Brexit"

SPIEGEL ONLINE

Mehr zum Thema: