Gastkommentar

Wie Putin versucht, Deutschland zu verändern

Mit den Mitteln der Desinformation wie der Korruption bemüht sich der Kreml, die Demokratie in Deutschland zum Kippen zu bringen. Ein Etappenziel ist die Ablösung von Bundeskanzlerin Merkel.

Igor Eidman
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Viele von Putins Helfern in Deutschland sind schlicht und einfach gekauft. (Bild: Mikhail Klimentyev / Keystone)

Viele von Putins Helfern in Deutschland sind schlicht und einfach gekauft. (Bild: Mikhail Klimentyev / Keystone)

In den vergangenen Jahren hat sich der Kreml in Europa und insbesondere in Deutschland eine schlagkräftige Informations- und Politik-Lobby geschaffen. Die Krisensituation in Bezug auf die Flüchtlinge wird nun benutzt, um Streit zwischen den Europäern zu säen und sie zu spalten. Im Moment ist Deutschland das Hauptziel der russischen Informations-Attacken. Es steht zu vermuten, dass Putin auf diesem Wege versucht, die deutsche Position in strittigen Fragen aufzuweichen und eine Aufhebung der Sanktionen zu erreichen.

Zu befürchten ist darüber hinaus, dass Putin weit ambitioniertere Ziele verfolgt, nämlich, die deutsche Gesellschaft an sich zu verändern: ihre liberalen Grundlagen zu zerstören, die Partner im nordatlantischen Bündnis gegen den europäischen Integrationsgedanken aufzubringen und schliesslich das gesellschaftliche Gefüge in seinen eigenen Vorstellungen und Werten umzugestalten.

«Putin nach Berlin»

Das allernächste Ziel dieser Politik ist es, die Ablösung der deutschen Bundeskanzlerin Merkel zu erreichen. Merkel hat von Anfang an durchblicken lassen, dass sie sich mit einem ehemaligen Geheimdienstler nicht anfreunden wird. Sie ist die einzige westeuropäische Führungsfigur, die wie Putin selber unter den Bedingungen eines kommunistischen Regimes gross geworden ist. Sie weiss also nur zu gut, auf welche Methoden er zurückgreifen kann. Eine ganze Horde kremlnaher Fürsprecher – von ernsthaften Politikern bis hin zu bezahlten Internet-Trollen – versucht auf die politische Situation in Deutschland Einfluss zu nehmen. Nicht selten geschieht dies ganz offen. Auf der Website der russischen Agentur «Anna-News» etwa, die im deutschsprachigen Raum tätig ist, war bis vor kurzem online eine lange Liste kooperierender und pro Putin eingestellter deutscher Journalisten, Blogger und Politologen einzusehen.

Viele ultrarechte, national-autoritär gesinnte Deutsche sehen in Putins Russland ein Vorbild für ihr eigenes Land. Nicht umsonst lautet eine beliebte Losung der Pegida: «Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin!» Allerdings vergessen sie dabei, dass die Einwohner Russlands permanent mit Korruption, Rechtlosigkeit, fehlenden sozialen Sicherungen und polizeilicher Willkür konfrontiert sind. Russland ist vor allem eine Klassengesellschaft und ein Polizeistaat, wo nicht nur kaukasische Kleinhändler oder tadschikische Hausmeister, sondern auch die kleinen russischen Bürger vollkommen rechtlos sind. Die Ultrarechten aber ignorieren das und würden Deutschland gerne nach den Schablonen des Kremls verändern. Der Kreml erwidert diese Sympathien selbstverständlich.

Die seit den Zeiten der kommunistischen Komintern geübte russische Taktik orientiert sich an solchen ideologischen Verbündeten – sie werden vom Kreml gehätschelt, um die Subversion und den Widerstand gegen die westliche Demokratie zu fördern. Putinsche ideologische Saboteure arbeiten aktiv mit solchen Kreisen zusammen, etwa der ehemalige Chef der russischen Eisenbahn, der orthodoxe Oligarch Jakunin, der faschistoide Philosoph, Geopolitiker und Neo-Eurasier Dugin, die ehemalige Abgeordnete der nationalistischen Partei Rodina (Heimat), die Politologin Narochinskaya, oder der kirchennahe Sponsor des Terrors im Donbass, der Grossindustrielle Malofeev.

Eine besondere Rolle als «Sprengsatz unzufriedener Massen» kommt allem Anschein nach auch der russischsprachigen Bevölkerung in Deutschland zu. An deren letzten Zusammenkünften aus Anlass der von den staatlichen russischen Medien aufgebauschten Geschichte um die angebliche Vergewaltigung der jungen Russlanddeutschen Lisa wurden neben Schuldvorwürfen gegen Flüchtlinge und Polizei vor allem auch Rufe für eine Ablösung Merkels laut. Überhaupt ist an dieser Geschichte deutlich geworden, dass der Kreml nicht davor zurückschreckt, Desinformations-Technologien, wie er sie in Russland pflegt, auch in Deutschland zur Anwendung zu bringen. Ich selber habe in Moskau lange Jahre in den Bereichen PR und Politikberatung gearbeitet, auch in der Duma, und selber gesehen, wie damit schrittweise die demokratischen Institutionen kaputtgemacht wurden: Freie Wahlen, freie Opposition, freie Presse, unabhängige öffentliche Meinung gibt es in Russland nicht mehr.

Strategien im Informationskrieg

Der Einsatz von Falschinformation, die Diffamierung politischer Gegner, die Verbreitung provokativer Gerüchte und das Schüren von Neid und Hass – all dies wurde von den russischen Experten im Informationskrieg zuerst im eigenen Land angewandt, dann auf die (Ost-)Ukraine ausgeweitet und wird nun auch in Deutschland erprobt. Vor kurzem konnte ich mit einem Kollegen aus meiner Duma-Zeit sprechen, der auch in der Politikberatung tätig war: Die grossen russischen PR-Budgets würden derzeit nach Europa fliessen, nach Deutschland, sagte er: «Wir arbeiten mit dortigen systemkritischen Eliten und dem Massenpublikum.»

Eine weitere Kategorie jener, die Putin helfen, Deutschland nach seinem Bilde zu verändern, sind die «pragmatischen» deutschen Unternehmer. Lenin wird ein Witz über die europäische Bourgeoisie zugeschrieben: «Sie verkauft uns den Strick, an dem wir sie aufhängen.» Man hat den Eindruck, dass sich hier wenig geändert hat. Manche Vertreter der westlichen ökonomischen Elite sind bereit, um des kurzfristigen Profites willen das langfristige Überleben der westlichen Demokratie aufs Spiel zu setzen. Indem sie für eine baldige Aufhebung der Sanktionen ohne irgendwelche Gegenleistungen des Kremls werben, glauben sie die Interessen der deutschen Wirtschaft zu schützen. In Wirklichkeit helfen sie nur Putins Regime, sich ökonomisch zu stabilisieren sowie frische Ressourcen für den politischen und militärischen Expansionismus sowie für den ideologischen Informationskrieg in Europa freizumachen. Viele von Putins Helfern in Deutschland sind schlicht und einfach gekauft. Auch dies kennt man aus dem Kalten Krieg, wo Moskau linksradikale Bewegungen finanziell unterstützte, die den politischen Umsturz betrieben.

Mit der Korruption, von der sein ganzes System durchsetzt ist, will Putin die gesamte EU infizieren. So werden denn deutsche Politiker, Journalisten und «Experten» eingekauft und eingespannt. Nach meinen Beobachtungen übernehmen Deutsche, die eng mit russischen Partnern zusammenarbeiten, deren Lebensstil und korrupte Praktiken. Indem der Kreml deutsche Eliten nach seinem Gusto zu formatieren versteht, beginnt er Deutschland selber zu verändern. Stillschweigend wird das demokratische Staats- und Rechtswesen nach dem Modell Russlands untergraben. Dort hat die staatliche Propaganda die Begriffe Liberalismus und Toleranz praktisch zu Schimpfwörtern degradiert.

Unter den Machthabern wie in breiten Schichten der Bevölkerung grassiert Fremdenfeindlichkeit. Man begegnet Migranten ohne Empathie und diffamiert auch andere Randgruppen, wie etwa sexuelle Minderheiten. Entsprechend mitleidlos sucht der Kreml auf die öffentliche Meinung in Deutschland einzuwirken, Hass gegenüber den Flüchtlingen zu säen, den Isolationismus und die Ablehnung der europäischen Integration anzuheizen. Der Abgang Merkels ist dabei nur ein Zwischenziel. Er soll der Startschuss sein für eine politische Neuausrichtung Deutschlands, einen Rechtsruck in Richtung eines neo-autoritären Systems.

Igor Eidman ist russischer Soziologe. Der Cousin des ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow wurde in Gorki geboren und lebt seit 2011 in Leipzig. Sein Buch «Das System Putin» erscheint im Juni 2016 bei Heyne.