Zum Inhalt springen

Holocaust Der zynische NS-Plan vom "Paradies Madagaskar"

Vor 75 Jahren koordinierten Hitlers Bürokraten bei der Wannsee-Konferenz den Mord an Millionen Juden. Damit endete ein anderer wahnwitziger Plan - die Deportation aller Juden in ein Großghetto auf Madagaskar.
1 / 8

Deportationsziel: Henry Hamilton Beamish war einer der prominentesten Vordenker des Madagaskar-Plans und Begründer der antisemitischen »The Britons«-Organisation. In seinen eigenen Zeitschriften forderte er ab den Zwanzigerjahren die Aussiedlung der Juden auf die afrikanische Insel. Dieses »The Briton«-Flugblatt höhnte, das Problem für die Zionisten, die einen eigenen jüdischen Staat erstrebten sei »gelöst«: Madagaskar biete Platz »für 100 Millionen«. Beamish durfte auch in der NS-Presse unter dem Namen »Der Engländer« seine Ideen verbreiten: Madagaskar, schrieb er, sei »das Paradies« für die Juden.

2 / 8

Perfider Plan: »Und nun doch Madagaskar?« Karikatur von 1938 in der NS-Satirezeitschrift »Die Brennnessel«. Die Idee für eine Massenaussiedlung der Juden auf die afrikanische Insel gab es schon seit Ende des 19. Jahrhunderts; in Erwägung zogen sie NS-Spitzenfunktionäre aber erst nach dem schnellen Sieg gegen Frankreich im Juni 1940. Nun wurden in Windeseile detaillierte Deportationspläne ausgearbeitet: Finanziert durch Enteignung der Verschleppten sollten vier Millionen Juden mit 120 Schiffen binnen vier Jahren auf die Insel deportiert werden.

3 / 8

Madagaskar (Aufnahme von etwa 1930): Die Insel, eine französische Kolonie, galt wegen ihres extremen Klimas für Europäer als weitgehend unbewohnbar, das sahen selbst die zynischsten NS-Rassepolitiker so. Straßen gebe es kaum, die Küsten seien fieberverseucht, hieß es im Madagaskar-Plan des Reichssicherheitshauptamtes vom 15. August 1940. Der Plan sah weiter vor, die etwa 24.000 Franzosen von der Insel zu vertreiben und die Juden in ein von ihnen selbst verwaltetes »Reservat« auf einem Hochplateau im Landesinneren siedeln zu lassen. Unbedingt sollte dabei aber die Gründung eines »Judenstaates« vermieden werden.

Foto: Wolfgang Weber / ullstein bild
4 / 8

Der antisemitische Herr Professor: Der Theologe und Sprachwissenschaftler Paul de Lagarde galt als äußerst streitsüchtig und antiquiert. Dennoch konnte er trotz heftiger Anfeindungen 1869 in Göttingen eine Professorenstelle am Lehrstuhl für orientalische Sprachen antreten. Lagarde war der Erste, der 1885 in einem Aufsatz in einem Nebensatz über »nach Madagaskar abzuschaffende« Juden sprach. Wichtig war ihm dabei als Vertreter des völkischen Antisemitismus, dass wegen der isolierten Lage Madagaskars eine »Vermischung« der Juden mit anderen Völkern nahezu auszuschließen sei. Diesen Gedanken übernahmen später auch die Nationalsozialisten.

Foto: Knorr + Hirth / ullstein bild
5 / 8

Franz Rademacher (rechts) erarbeitete im Judenreferat des Auswärtigen Amtes 1940 als Erster die grobe Skizze eines Madagaskar-Plans, den er seinem Vorgesetzten Martin Luther – der später an der Wannsee-Konferenz teilnahm – am 3. Juni 1940 vorlegte. Die millionenfache Zwangsdeportation wollte er »propagandistisch« gar als »Großmut Deutschlands« verkaufen, schließlich würde den Juden ein Staat geschenkt. Nach dem Krieg tauchte Rademacher unter, wurde 1952 wegen Beihilfe zum Totschlag an 1300 serbischen Juden aber zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt; das Foto zeigt ihn mit seinem Anwalt. Es folgte die typische Nachkriegsbiografie eines NS-Täters: vorzeitige Entlassung und BND-Karriere. Uneinsichtig trauerte Rademacher seiner Madagaskar-Idee noch 1968 hinterher: »Wäre sie verwirklicht worden, hätten wir heute keine Nahostkrise.«

Foto: ZUMA / IMAGO
6 / 8

Alfred Rosenberg war der Chefideologe der NSDAP und einer der stärksten Befürworter des Madagaskar-Plans, hier eine Aufnahme von 1934. Den Antisemiten Paul de Lagarde, der als Erster schon 1885 die Madagaskar-Idee propagiert hatte, pries er daher 1927 als »Propheten der neuen Weltanschauung und Miterbauer des völkischen Staates«.

7 / 8

Auch Alaska (Foto aus den Zwanzigerjahren) galt Antisemiten der Zeit um die Jahrhundertwende als potenzielles Ziel, um europäische Juden zu deportieren. Je unwirtlicher und je weiter weg, desto besser, lautete das Kalkül bei solchen Überlegungen.

Foto: Granger / ullstein bild
8 / 8

Uganda (Foto von 1906) bot der britische Kolonialminister Joseph Chamberlain im Jahr 1903 den Zionisten als Siedlungsgebiet an – als Übergangslösung bis zur Gründung eines jüdischen Staats in Palästina. Dieser ersehnte Staat erschien damals unrealistisch, weil Palästina noch Teil des Osmanischen Reichs war. Nach heftigen internen Debatten schickten die Zionisten schließlich eine dreiköpfige Expedition nach Uganda, die das abgelegene Gebiet inspizierte. Zwei von ihnen urteilten, es sei untauglich, daraufhin wurde das Angebot der Briten höflich abgelehnt.

Foto: Haeckel Archiv / ullstein bild