Wendelstein 7-X - Die Entstehung eines Kernfusionsreaktors im Zeitraffer Der Zeitraffer zeigt in drei Minuten die von 2005 bis 2014 laufende Wendelstein-7-X-Montage im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald.

Die Idee ist simpel: Warum nicht Atomkerne verschmelzen, statt sie zu spalten? Bekanntlich erzeugt Kernfusion Energie, die Sonne beweist das. Warum gibt es nicht längst Fusionsreaktoren auf der Erde, die Strom liefern, ganz ohne die hohen Risiken der Kernspaltung? Unfälle wie in Fukushima gäbe es dann nicht mehr – dem Klima schadende Treibhausgase ebenso wenig. Perfekt. Wenn es so einfach wäre.

Seit Jahrzehnten tüfteln Forscher an der Technik, Fusionsstrom zu erzeugen. Um nachzumachen, was auf der Sonne passiert, muss man zuerst ein Plasma aus Wasserstoff-Atomkernen und Elektronen herstellen, bis zu 100 Millionen Grad Celsius heiß. Das Plasma darf die Wände der Experimentierkammer aber nicht berühren – ein Magnetfeld muss es in der Schwebe halten. Genau das wollen Physiker in Greifswald ab heute ausprobieren. Knapp zehn Jahre lang haben Ingenieure die Test-Anlage Wendelstein 7-X zusammengebaut. Mehr als eine Milliarde Euro hat das Projekt bisher gekostet. Heute zählt's. Der Schalter für den Plasma-Kocher wird am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) umgelegt.

Wird in Greifswald schon Strom erzeugt? Was, wenn es schief geht? Ist die Anlage eine Geldverschwendungsmaschine, wie die Grünen meinen? IPP-Chefin Sybille Günter erklärt, worum es heute geht.

ZEIT ONLINE: Frau Professor Günter, nach knapp zehn Jahren Bauzeit nehmen Sie das Kernfusions-Experiment Wendelstein 7-X in Betrieb. Warum ist ein Experiment an der Ostsee nach einem Berg in den Alpen benannt?

Sibylle Günter: Weil das Konzept für die Vorläufer dieser Maschine in der Nähe von München entstanden ist.

ZEIT ONLINE: Sollen wir uns die Fusionsforscher als Gipfelstürmer vorstellen?

Günter: Das kann man machen. Wendelstein ist aber auch eine Antwort auf Matterhorn, so hieß die geheime Fusionsforschung in den USA.

ZEIT ONLINE: Eine der ersten Fusionsanlagen in den USA hieß Perhapsatron, Vielleichtmaschine. Waren die Forscher damals realistischer?

Günter: Wenn man etwas Neues wagt, weiß man nie, wie das endet. Da sind wir heute weiter.

ZEIT ONLINE: Über die Fusionsforscher wird gespottet, dass sie seit Jahrzehnten versprechen, die Kernfusion werde in jeweils 50 Jahren beherrschbar sein. Bisher hat sich keine dieser Prognosen bewahrheitet.

Sibylle Günter ist Theoretische Physikerin und Direktorin am Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Greifwald und Garching. © IPP

Günter: Schön ist das natürlich nicht. Aus der Euphorie der 1960er Jahre heraus, als man in den ersten Experimenten schlagartig ein paar Millionen Grad heißes Plasma erzeugen konnte, ist der Optimismus verständlich. Der Weg war dann schwieriger, als gedacht. Aber so etwas passiert in der Grundlagenforschung. Heute haben wir zwar immer noch keine Blaupause eines Fusionskraftwerks in der Schublade. Aber den Zielwert aus Dichte, Temperatur und Wärmeisolierung haben wir um einen Faktor 100.000 verbessert. Jetzt fehlt uns noch ein Faktor 10.

ZEIT ONLINE: Bis was passiert?

Günter: Bis man durch die Kernfusion im heißen Plasma mehr Energie erzeugt, als man hineinsteckt.

ZEIT ONLINE: Wendelstein 7-X dient der Fusionsforschung, soll aber gar keine Atomkerne verschmelzen. Warum nicht?

Günter: Eine positive Energiebilanz bräuchte eine größere Maschine und müsste Deuterium- und Tritiumatome fusionieren. Wir wollen jedoch zunächst nur untersuchen, wie man die optimalen Bedingungen schafft, das heiße Plasma im Magnetkäfig einzufangen.

ZEIT ONLINE: Das Plasma ist eine Ansammlung aus Millionen Grad Celsius heißen Elektronen und Ionen. Muss man sich das vorstellen wie eine glühende Wolke?

Günter: Eine Wolke, in der die Teilchen aber im Inneren des Torus im Kreis laufen. Die Teilchen werden durch ein ringförmiges Magnetfeld im Zentrum gehalten, ohne die Wände zu berühren. Das Plasma klebt quasi an den Magnetfeldlinien fest.

ZEIT ONLINE: Welche Vorteile hat Wendelstein gegenüber dem Fusionsreaktor Iter in Frankreich?

Günter: Iter ist ein sogenannter Tokamak: Der Käfig für das Plasma wird darin durch ein Magnetfeld erzeugt, das man nur für eine gewisse Zeit aufrecht erhalten kann, in einem Kraftwerk bis zu einigen Stunden. Wendelstein ist ein Stellerator, also eine andere Bauart, ein anderes Prinzip. Hier erzeugen speziell berechnete Spulen beliebig lange ein Magnetfeld. Am Institut für Plasmaphysik haben wir immer mit beiden Designs experimentiert, um die Vor- und Nachteile zu erforschen.