Dokumentation "Giant Buddhas" Wahrheit in Ruinen
Afghanistan ist ein muslimisches Land. Aber unter der Oberfläche schläft ein Buddha. Das glaubt zumindest der Archäologe Zémaryalaï Tarzi, der im abgelegenen Bamiyan-Tal nach einer dreihundert Meter langen Statue graben läßt, von deren Existenz er aus einem 1500 Jahre alten Reisebericht des chinesischen Wandermönchs Xuanzang erfahren hat. Wo heute nur ausgetrocknete Erde zu sehen ist, lag früher einmal ein Kloster. Die Bauern des Tals versuchen, dem Boden ein paar Lebensmittel abzuringen. Die Forscher aber finden überall Spuren der Geschichte.
Der schlafende Buddha ist das heimliche Leitmotiv in dem Dokumentarfilm "The Giant Buddhas" von Christian Frei. Afghanistan, das Land am Rande sowohl der muslimischen wie der fernöstlichen Welt, erscheint hier als ein wichtiger historischer Knotenpunkt, als ein Ort, an dem es andere Möglichkeiten gab als die Zerstörungen der jüngeren Zeit. Die Weltöffentlichkeit wurde im Jahr 2001 auf das Bamiyan-Tal aufmerksam, weil zwei riesige stehende Buddhas von den Taliban gesprengt wurden. Von Raub am Weltkulturerbe war damals die Rede, von einem barbarischen Akt, durch den sich ein finsteres Regime endgültig diskreditierte.
Wenige Monate später fielen die Türme des World Trade Centers in New York, und Afghanistan wurde als Rückzugsgebiet von al-Qaida das erste Kriegsziel. Christian Frei ist mit einem Film über den Fotografen James Nachtwey ("War Photographer") bekannt geworden. Schon damals zeigte er die Bereitschaft, sich an exponierte Orte zu begeben. Mit "The Giant Buddhas" unternimmt er nun eine umfassende Rekonstruktionsarbeit. Er reist selbst auf den Spuren des Mönchs Xuanzang aus China nach Westen, um die Weltsicht des 7. Jahrhunderts verstehen zu lernen.
Die Statuen im Bamiyan-Tal waren damals schon über hundert Jahre alt. Die mit 35 Metern Höhe kleinere wurde 507 in den Felsabhang über dem Tal geschlagen. Sie hieß "Shamana" ("Königinmutter"). Fünfzig Jahre später entstand der 55 Meter hohe "Salsal"-Buddha (der Name bedeutet "Licht scheint durch das Universum"). Von Xuanzang stammt nicht nur eine frühe Beschreibung der Monumente, sondern auch ein Zeugnis über die Verkehrswege, die von der Seidenstraße abzweigten und auch Afghanistan in einen kulturellen Großraum integrierten, in den der Islam später nur marginal vordringen konnte.
Propaganda des bilderfeindlichen Regimes?
Für die Taliban waren die Statuen auch deswegen anstößig, weil sie eine vorislamische Vergangenheit des Landes dokumentierten. Für Christian Frei stehen die Giant Buddhas im Mittelpunkt eines globalen Zusammenhangs. Zwar nimmt auch er seinen Ausgangspunkt vor Ort, wo er in dem Bauern Sayyed Mirza Hussain einen wichtigen Zeugen findet. Wie so viele andere Menschen in Afghanistan in er ein Flüchtling, der in den Höhlen von Bamiyan untergekommen ist. Er beschreibt eindringlich, mit welch unzulänglichen Mitteln die Taliban anfangs zu Werk gingen: mit Spitzhacken wollten sie die Statuen abtragen, erst viel später kamen erfahrene Sprengmeister zum Zug.
Aus dem Bamiyan-Tal fährt Frei nach Kanada, wo Nelofer Pazira lebt, die sich noch gut an Afghanistan während der sowjetischen Okkupation vor 1989 erinnern kann. Sie kehrt am Ende des Films in ihr Heimatland zurück. In Zürich beobachtet Frei, wie Experten damit beschäftigt sind, aus den Ruinen der Buddhas einen möglichen Wiederaufbau vorzubereiten, oder zumindest eine nach Kriterien des Denkmalschutzes zulässige Präsentationsform der verlorenen Monumente.
In China erlebt Frei eine kuriose Geschichte in einem Themenpark, in dem sich eine Nachbildung des Bamiyan-Buddhas befinden soll, die jedoch aus unerfindlichen Gründen nicht zugänglich ist. Der wichtigste Interview-Partner aber ist der Journalist Taysir Alony. Er schaffte es im März 2001, für den Fernsehsender al-Dschasira heimlich die Zerstörung der Statuen zu filmen. Nach dem 11. September 2001 erregte er Aufsehen, weil er ein Fernseh-Interview mit Osama bin Laden führen konnte. Taysir Alony wurde später in Spanien, wo er vor seinem Einsatz in Afghanistan gelebt hatte, wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation angeklagt. Er verbüßt nun eine siebenjährige Haftstrafe. Das Gerichtsverfahren hat viel internationale Kritik hervorgerufen, der Fall Alony gilt als beispielhaft für die Schwierigkeiten der Justiz, unvoreingenommen mit Muslimen umzugehen.
Frei muss schon deswegen mit einer Unschuldsvermutung gegenüber Talony agieren, weil dessen Aufnahmen ein zentrales Dokument seines Films sind. Der Status dieser Bilder, die genauen Umstände ihres Zustandekommens, sind ein blinder Fleck von "The Giant Buddhas". Auch wenn Taysir Alony plausibel erklärt, wie es ihm gelang, damals vor Ort zu sein, kommt Christian Frei doch nicht um die Tatsache herum, dass die Videoaufnahmen von der Sprengung selbst auf prekäre Weise auch ein Propagandafilm der Taliban bleiben die visuelle Hinterlassenschaft eines extrem bilderfeindlichen Regimes. Von den Giant Buddhas blieben nur Ruinen, in deren Schatten Zémaryalaï Tarzi nach einem schlafenden Buddha schürft, während Christian Frei als Archäologe der Bilder nach einer Wahrheit der Gegenwart sucht.