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Blogger im ägyptischen Knast Familie startet weltweite Protestkampagne

Ägyptische Sicherheitskräfte halten ihn fest, an einem unbekannten Ort. Jetzt organisieren Verwandte des deutsch-ägyptischen Bloggers und Studenten Philip Rizk eine Internet- und Protest-Kampagne - und bekommen Unterstützung aus der ganzen Welt.

"Uns bleibt nichts anderes übrig, als Krach zu machen", sagt Jaennette Rizk, 29, gerade auf dem Weg zur nächsten Demonstration. Seit vier Tagen lebt sie im Ausnahmezustand. Ihr Bruder wurde festgenommen, ihre Wohnung durchsucht, ihr Vater bedroht. Jaennette Rizk ist seitdem zur Pressesprecherin ihrer Familie geworden, hat dutzende Interviews gegeben, eine Internet-Kampagne losgetreten.

Ihr Bruder, das ist der deutsch-ägyptische Student, Blogger und Journalist Philip Rizk, 26, der in der Nacht vom vergangenen Freitag auf Samstag festgenommen wurde, nach Angaben der Familie vom ägyptischen Inlandsgeheimdienst. Seitdem haben weder die Familie noch Philips Freunde etwas von ihm gehört.

Philip Rizk betreibt das Blog "tabulagaza".  Darin veröffentlicht er Berichte über palästinensische Flüchtlinge und den Gaza-Streifen. Das Thema beschäftigt ihn seit langem: Er hat selbst im Gaza-Streifen gelebt und einen Film über die Menschen dort gedreht. Er hat Journalisten unterstützt, die sich vor Ort selbst ein Bild der Lage machen wollten, und er hat geholfen, Medikamente dorthin zu schaffen.

In der Nacht vom vergangenen Freitag auf Samstag war Philip Rizk auf dem Rückweg von einem Protestmarsch, zusammen mit rund 15 Freunden. Die Polizei stoppte die Gruppe und hielt sie mehrere Stunden fest. Schließlich fragten Beamte gezielt nach ihm, packten ihn und fuhren in einem Minivan ohne Nummernschilder weg. Seine Freunde versuchten, das Auto zu verfolgen, doch die Polizei versperrte ihnen den Weg. So erzählen es übereinstimmend Augenzeugen und seine Schwester.

Wer Krach macht in Ägypten, lebt gefährlich

Jetzt ist Jeannette Rizk zur Lobbyisten für die Freiheit ihres Bruders geworden und damit selbst zur zur politischen Aktivistin. Denn wer Krach macht in Ägypten, der handelt politisch - und macht sich Feinde.

Rizks Familie erlebte das nur zwei Nächte nach der Festnahme von Philip. Jeannette und ihre Eltern hatten sich gerade schlafen gelegt, da klingelte es an der Tür. "Fünf Männer in Zivil standen vor der Tür", sagt Jeannette, "außerdem zwei in Kampfänzügen und mit Maschinenpistolen." Sie durchsuchten das Haus; "auf der Suche nach Beweisen gegen Philip", vermutet die Schwester.

Zu diesem Zeitpunkt gab es weder eine Anklage noch einen offiziellen Vorwurf gegen Philip. Die Familie hatte lediglich über Umwege erfahren, dass er tatsächlich festgenommen wurde. Jemand von der Amerikanischen Universität in Kairo, an der Philip studiert, hatte aus Sicherheitskreisen eine inoffizielle Bestätigung bekommen.

Ungewöhnlich ist das Vorgehen der Behörden in Ägypten nicht. Schon seit 1981 herrscht der Ausnahmezustand. Das erlaubt es der Regierung von Präsident Husni Mubarak und dem Sicherheitsapparat, Verdächtige jederzeit und ohne konkrete Anschuldigung festzunehmen. Nach offiziellen Angaben sitzen deswegen 1800 Gefangene in Gefängnissen und Lagern, ohne dass ihnen der Prozess gemacht wurde. Menschenrechtsorganisationen schätzen die Zahl weitaus höher, auf etwa 10.000.

Nächtliche Hausdurchsuchungen und Ablenkungsmaneuver

Im Haus der Familie Rizk fanden die Sicherheitskräfte nichts Belastendes, wollten dann aber den Vater mitnehmen, um ihn zu befragen. Erst ein herbeigeeilter Anwalt, der auch für Amnesty International arbeitet, konnte das verhindern.

"Ich vermute aber, dass das alles nur ein Ablenkungsmaneuver war", sagt Jaennette Rizk SPIEGEL ONLINE, zeitgleich sei ihre Wohnung und die ihres Bruders durchsucht worden. Philips Laptop hätten sie mitgenommen, seinen Ipod, ihre Videokamera und zwei Festplatten von Jeannette, darauf ihr komplettes Computer-Backup und ein Dokumentarfilm, den sie als Abschlussarbeit über das Leben von Frauen in Kairo gedreht hatte.

Mehreren Berichten zufolge haben ägyptische Behörden mittlerweile bestätigt, dass Rizk festgehalten wird. Die "New York Times" zitiert einen Sprecher des Innenministeriums, einen General, der nicht namentlich genannt werden möchte: "Es geschah alles im Rahmen des ägyptischen Rechts. Wenden Sie sich an das Büro des Generalstaatsanwalt."

Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte bereits am vergangenem Samstag, dass der Fall bekannt sei und sich die Deutsche Botschaft um Klärung bemühe. Eine Sprecherin sagte SPIEGEL ONLINE am Dienstag, die Botschaft stehe in Kontakt mit der Familie und den ägyptischen Behörden. Man bemühe sich um konsularischen Zugang zu Philip Rizk.

Eine Internet-Kampagne mobilisiert international Unterstützer

Im Internet ist derweil eine eindrucksvolle Unterstützer-Kampagne angelaufen. Die Facebook-Gruppe "Support and Prayer for the Safe Release of Philip Rizk" hat mehr als 4500 Mitglieder. Bei "Flickr" gibt es Slideshows von Solidaritäts-Demos  in Kairo, bei Twitter schreiben zahlreiche Mikroblogger über jede Entwicklung und rufen dazu auf, eine Online-Petition zu unterstützen. In England und den USA schwappt die digitale Empörung gerade über ins richtige Leben: In London, New York und San Francisco wollen sich Demonstranten zu Protestmärschen treffen.

Twitterer gehörten auch zu den Ersten, die über die Festnahme berichteten. Eine arabische sozialistische Gruppe schrieb davon, dass Rizk gekidnapped worden sei; der Chefredakteur einer amerikanischen Evangelikalen-Zeitung meldete die Festnahme Freitagnacht um 3.47 Uhr.

Die Aufregung im Netz über alle Länder- und Kulturgrenzen hinweg überrascht nicht, wenn man den Lebenslauf von Philip Rizk kennt. Man könnte ihn einen globalisierten Aktivisten nennen, hervorragend ausgebildet, mit Freunden und Unterstützern, Lesern und Zuhörern auf der ganzen Welt.

Der globalisierte Aktivist

Geboren ist er auf Zypern, aufgewachsen in Kairo, wo er die deutsche Schule besuchte. Sein Vater, der einen kleinen Verlag betreibt, stammt aus Ägypten, seine Mutter aus Deutschland. Philip besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft.

Um Philosophie zu studieren, ging er für ein Semester nach Freiburg und dann mit einem Stipendium in die USA, nach Wheaton. Jetzt schreibt er an seiner Master-Arbeit an der amerikanischen Universität in Kairo, auch darin beschäftigt er sich mit dem Gaza-Konflikt. Er spricht fließend Englisch, Arabisch und Deutsch. Freunde, die ihn lange kennen, beschreiben ihn als ruhig und bedacht. "Aber in einer politischen Diskussion konnte ihm niemand die Stirn bieten, argumentativ ist er den meisten überlegen", sagt einer, der ihn schon aus dem Kindergarten kennt, aber wegen seiner eigenen Familie in Ägypten nicht genannt werden möchte. Philip sei tief gläubiger Christ - auch das ein Antrieb für sein Engagement.

Als er für seine Master-Arbeit nach Kairo zurückkehrte, schloss er sich einer Gruppe junger Aktivisten an, zur Hälfte Ägypter, zur Hälfte Ausländer. Sie rufen zur "Solidarität mit dem palästinensischen Volk" auf und organisierten den Protestmarsch am vergangenen Freitag in einem Ort, der etwa eine Autostunde von Kairo entfernt liegt. Philip Rizk trug ein Schild, auf dem er in arabischer Schrift fordert: "Wir haben genug. Öffnet die Grenzen zu Rafah." Rafah ist der Grenzübergang zum Gaza-Streifen, den Ägypten nicht öffnet, wenn Israel nicht zustimmt.

Doch wer die ägyptische Regierungpolitik kritisiert, lebt gefährlich. Aus Sicherheitskreisen in Kairo verlautete am Dienstag, außer Rizk sei in den vergangenen Tagen noch ein weiterer Blogger festgenommen worden, der im Internet Solidarität mit den Palästinensern eingefordert und die ägyptische Nahost-Politik kritisiert hatte. Dia al-Din Gad sei bereits am Freitag in seiner Wohnung in der Provinz Gharbija, nordwestlich von Kairo, festgenommen worden, hieß es.

Jeannette Rizk, die Schwester, die Sprecherin der Familie, wird weiter demonstrieren, die Internetseiten aktualisieren, Interviews geben, herumtelefonieren und nach ihrem Bruder fahnden. Neuesten inoffiziellen Quellen zufolge halten die Sicherheitskräfte ihn in einer Einrichtung in einem nördlichen Kairoer Vorort fest. Jeannette Rizk will versuchen, ihm Kleidung und Essen zu bringen und eine Tafel Ritter Sport. "Die mag er so gern", sagt sie. Am Donnerstag hat Philip Geburtstag, er wird 27.

Mit Material von dpa, AP und Reuters

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