Zum Glück gibt es noch ein paar Dinge, auf die man sich verlassen kann. Zum Beispiel auf die bildungsbürgerliche Film- und Fernsehkritik, die alles entsetzlich findet, was beim Publikum ankommt, und alles gut, was kein Schwein gucken mag. Nehmen wir als Beispiel für Letzteres die Krimiserie „Kriminaldauerdienst“. Sie spielt in Berlin-Kreuzberg (schon mal klasse), wird von einem türkischstämmigen (super!) Drehbuchautoren geschrieben, hat den Grimme-Preis (aber holla!) kassiert und brachte es zuletzt im Schnitt auf 2,81 Millionen Zuschauer, ein jammervolles Ergebnis für ZDF-Unterhaltung zur besten Sendezeit. Daher jubelt zum Beispiel der “Spiegel“: „Das ist mit Abstand das Beste, was derzeit im deutschen Krimi-Genre zu sehen ist. Mit einem Schlag degradierte dieses furiose Krimi-Spiel alle anderen TV-Polizeiwachen des Landes zu Schlafsälen“...
Dabei würden „präzise die ökonomischen und psychokulturellen Widersprüche des Berliner Kiezes aufgezeigt“. Klaudia Wick in der Berliner Zeitung: „Am Maßstab üblicher Serienkrimis lässt sich die neue ZDF-Serie KDD nicht messen. Statt wie sonst in zehn Folgen hintereinander zehn Fälle zu inszenieren, passieren in KDD mindestens zehn Delikte gleichzeitig“. Jochen Voß im Medienmagazin DWDL.de: „KDD zeigt Menschen. Es wäre leicht zu sagen, die Serie zeige deren Abgründe. Sie zeigt vielmehr ihre Angst, ihre Verzweiflung und Sehnsucht nach Leben.“
Geht es zwei, drei Nummern kleiner? Derzeit laufen freitags zur Geisterstunde KDD-Wiederholungen auf arte, und wer sie sieht, weiß nach zehn Minuten: hier wird alles falsch gemacht, was Fernsehen als Massenmedium verbocken kann. Schon die Grundkonstellation wird in einer Krimiserie niemals funktionieren: im - auch real existierenden – Kriminaldauerdienst sind die Protagonisten meist die ersten am Tatort, geben aber die Fälle ab, sobald sie interessant werden.
Das Ergebnis: lauter abgerissene Handlungsstränge, denen kein Mensch folgen kann und will; wirre Schnitte, verwackelte Bilder aus Handkameras, die Authentizität vorgaukeln sollen, aber bloß wirken wie Opas Autorenkino, eine aus humorfreien Stinkstiefeln zusammen gewürfelte Bullentruppe; die ständig mit ihren persönlichen Problemen wie Alkoholismus hausieren geht; viel Geschrei, verbiesterte Mienen, betroffenes Getue, null Charme. Im Mittelpunkt der Serie steht „die Verführbarkeit von Polizisten“, welche ja – man kennt das auch aus anderen deutschen Krimis – meist selber Täter sind. And every cop is a criminal. „Alle sechs rutschen von einer privaten Krise in die nächste“, freut sich das „Hamburger Abendblatt“. Das Ganze ist schwer auf menschliche Fallhöhe getunt, wie bei Raymond Chandler. Aber die Abgründe wirken am Ende so tief wie die Baugrube für eine Berliner Gartenlaube.
Jetzt dreht das ZDF eine dritte Staffel von KDD. Sie wird noch ein paar Zuschauer mehr vom Sendeplatz scheuchen, denn Mätzchenmacher, Effekthascher und Experimentalspinner haben sich bei der Produktion endgültig durchgesetzt. Solche Filmschaffenden benötigen keine intelligent gebauten Geschichten, keine herausragenden Darsteller, keine polierten Dialoge, sondern nur Hektik, Krawall und Holterdipolter. Der Set wird jetzt von zwei Kameras gleichzeitig aufgenommen; kein Schauspieler soll wissen, ob oder von wo er gerade gefilmt wird. Alle rennen also wie jeck in der Wache herum, schieben Verdächtige rein und raus oder diskutieren den letzten Fall - ganz egal, Hauptsache laut. Ein Fall für Zuschauer, die genügend Kopfschmerztabletten im Haus haben. „Beim Dreh mit zwei Kameras haben die Schauspieler wahnsinnig viel Freiheit,“ schwärmt der Regisseur Christian Zübert, bekannt für seine pädagogisch wertvollen Kinder- und Jugendfilme. „Die dürfen sich reinquatschen, drauflos spielen, ganz natürlich sein“. So entstünde ein „kantiger, roher Look“.
Vor allem entsteht auf diese Weise manierierter Mumpitz mit vorgetäuschter „gesellschaftlicher Relevanz“, der von den üblichen Verstiegenen der Kritikerzunft reflexartig das Gütesiegel der Massenuntauglichkeit verpasst kriegt. Alles okay. Aber warum senden sie KDD nicht exklusiv auf arte? Dort wäre es ja ein richtiger Blockbuster.
PS: Erfreulich: am 7. Mai beginnt eine neue Staffel von „Doktor Martin“, die ZDF-Serie um einen verdrucksten Landarzt (Axel Milberg), der kein Blut sehen kann. Die sorgfältig nach Ostfriesland transplantierte Adaption einer englischen Vorlage lebt von Sprachwitz, schrägen Figuren und einem großartigen Hauptdarsteller. Unbedingt gucken!