"Was jemand willentlich verbergen will, sei es vor anderen, sei es vor sich selber, auch was er unbewusst in sich trägt: Die Sprache bringt es an den Tag." Den Satz schrieb Victor Klemperer , der in seinem Notizbuch eines Philologen die Sprache des Nationalsozialismus erforscht und an ihr dessen Ziele offengelegt hat. George Orwell propagierte in seinem Buch 1984 gar die Möglichkeit, durch "Neusprech", durch gezielte Wortschöpfungen, das Denken selbst zu beeinflussen. Die Prämisse der beiden gilt heute, im Zeitalter der politischen PR, umso mehr. Warum also nicht einmal untersuchen, mit welchen Worten die immer neuen Einschränkungen persönlicher Freiheiten gerechtfertigt werden, die in den vergangenen Jahren im Zuge des "Kampfs gegen den Terror" und der Stärkung des abwehrbereiten Staates verabschiedet wurden? ZEIT ONLINE macht den Anfang, Sie können die Liste in den Kommentaren fortschreiben.

Antiterrordatei (ATD): Nicht Terrorgegner werden in ihr gespeichert, sondern mutmaßliche "Unterstützer" von Terroristen und deren "Kontaktpersonen". Geführt vom Bundeskriminalamt. Sammlung einer unbekannten Mengen von Menschen, nach unbekannten Kriterien, für eine unbestimmte Zeit und einen unklaren Verwendungszweck. Siehe "Gefährder".

Bundestrojaner: Beispiel für die Gefahren der Neusprech. Hilfloser Versuch von Medien, ohne Kenntnis der tatsächlichen Fähigkeiten ein neues System plakativ zu beschreiben. B. suggeriert eine durch Erfolg legitimierte Kriegslist gegen einen sonst unbesiegbaren Gegner. Meint jedoch eine heimlich und ohne erkennbare Not vom Staat eingesetzte Software zur Ausforschung privater Computer. Siehe "Onlinedurchsuchung" und "Schadprogramme"

E-Pass: Steht für elektronisch wie in E-Mail, wohl um modern zu klingen. Ist der Versuch, alles biometrisch auf dem P. zu speichern, was einen Menschen jederzeit eindeutig identifizierbar macht. Mit dem Ziel, so schnell wie möglich so viel wie möglich über ihn zu erfahren. Müsste daher eigentlich Überwachungspass heißen, somit Ü-Pass.

Ermittlungsmethoden, moderne: Neue Technologien wie das Internet bräuchten entsprechende Antworten der Behörden, fordert das Innenministerium. Gemeint aber sind nicht Polizisten, die im Netz ermitteln, vielleicht sogar uniformiert, also offen. Gemeint ist auch nicht die Nutzung von Google. Gemeint sind Möglichkeiten, sämtliche Inhalte elektronischer Kommunikation heimlich auszuwerten, daher Überwachungsinstrumente.

Feindstrafrecht: Vorschlag eines deutschen Juristen: Wenn es Bürger und Terroristen gibt, muss es auch Bürger- und Terroristenrecht geben. Wobei Letzteren rechtlicher Schutz gerade nicht mehr zugestanden werden soll, müssten sie doch mit allen Mitteln bekämpft werden können. Basiert auf der mittelalterlichen Idee, dass jemand, der grundlegend gegen das Recht verstößt, seine Rechte verliert.

Fingerabdruck, genetischer: Verharmlosend, lässt vermuten, dass es sich um eine Variante der seit mehr als einhundert Jahren verwendeten Daktyloskopie handelt. Dem ist nicht so. Der genetische Code des Menschen verrät sehr viel mehr über ihn als seine Fingerlinien. Anderen beispielsweise bei Ermittlungen seinen genetischen Code zu überlassen, kann unabsehbare Konsequenzen haben.

Gefährder: Im staatlichen Sinne jemand, von dem eine Gefahr ausgeht, vor  allem eine terroristische. Klingt bedrohlich. Tatsächlich aber ist jemand gemeint, gegen den es keine gerichtsfesten Beweise gibt, den man daher nicht anklagen und nicht verurteilen kann und der nach bisherigem Rechtsverständnis unschuldig ist. Was G. eigentlich sind, sagt niemand. Möglicherweise Fast-Verdächtige. Zumindest aber Menschen, die es zu beobachten und zu überwachen gilt.

Gefährder, potenzieller: Steigerungsform. Ein Mensch, der noch nicht zum G. geworden ist, es aber werden könnte. Gegen den aber schon jetzt "Maßnahmen" ergriffen werden sollen. Potenzieller G. kann jeder sein. Immerhin kann von jedem Bürger in der Zukunft eine Gefahr ausgehen. So etwas nennt man in anderen Zusammenhängen einen Generalverdacht.

Gefahrenabwehr: Idealvorstellung der "Inneren Sicherheit": Das Verhindern von Straftaten, bevor sie geschehen. Nur möglich durch ständige Kontrolle, sprich: durch möglichst umfassende Überwachung und Freiheitsentzug für (potenzielle) Gefähreder. Beschönigend, da die notwendigen Methoden massive eigene Gefahren für den Rechtsstaat beinhalten.

Gesundheitskarte, elektronische: Antiphrase, meint die Krankenversicherungskarte. Die Bezeichnung verschweigt außerdem die Ziele der zugrunde liegenden Datensammlung: Die Verknüpfung sämtlicher Informationen über krankheitsrelevantes Verhalten einer Person. Diese erlaubt die Bildung von Profilen und damit die Identifizierung riskanter Lebensstile. Macht so Verhaltenskontrolle und Sanktionen möglich.

Grenzen, in engen: Oft auch gesteigert als "in sehr engen Grenzen". Klassisches Doppeldenk. Dient der Beschwichtigung. Suggeriert Kontrolle durch übergeordnete Mächte, womit staatliche Schießbefehle, grenzenlose Überwachung oder unbegründete Freiheitsberaubungen legitimiert werden. Dabei sind die G. nur rechtliche Mindeststandards wie der "Richtervorbehalt" und erweisen sich in der Praxis als sehr weit.

Informationsfreiheitsgesetz (IFG): Die Informationsfreiheit ist bereits im Grundgesetz garantiert, insofern ist der Name I. zumindest missverständlich. Angesichts der Realität aber wird er zur Phrase: Das Gesetz soll den Zugang zu staatlichen Informationen zur Regel machen, die Verweigerung zur Ausnahme. Im Jahr 2008 aber wurden von 1.548 entsprechenden Anträgen 536 abgelehnt und 193 nur teilweise stattgegeben. Gerade die Hälfte der Informationen also konnte "befreit" werden.

Innere Sicherheit: Kein juristischer Begriff, auch wenn die häufige Verwendung durch Politik und Medien dies nahe legt. Daher existieren auch keine Normen und Gesetze, die sie einschränken. Die I.S. ist grenzenlos, immer anwendbar und kann durch praktisch jeden bedroht werden, durch "internationalen Terrorismus" genauso wie durch "Jugendkriminalität" oder "Chaoten". Soll nahelegen, dass es um den Schutz der Bürger vor Gefahren geht. Begründet aber werden damit nicht selten Schutzmaßnahmen des Staates vor dem Bürger.

Internieren: Stammt aus dem Kriegsvölkerrecht. Eine zeitlich unbefristete Verhaftung gegnerischer Staatsbürger zum Schutz eigener Sicherheitsinteressen. Verwendung des Begriffs durch Staaten impliziert, dass Terroristen legitime Gegner in einem erklärten Krieg sind, denen Rechte zustehen. Siehe "Kombattant". Das aber ist nicht gemeint. Letztlich nur ein vernebelnder Begriff für "ohne Grund für sehr lange Zeit wegsperren".

Killerspiele: Pejoration, Beispiel für gezielt negative PR. Das englische "First Person Shooter" ist neutraler. Dank bewusst indifferenten Gebrauchs dienen K. in Deutschland als Beschreibung für Computerspiele, die Gewalt thematisieren. Konsequenterweise müsste auch von Killerfilmen und Killerbüchern gesprochen werden. Doch taugen letztere nicht, um von den Ursachen sogenannter Schulmassaker abzulenken.

Kombattant: Umdeutung. Wie "internieren" Bezeichnung aus dem Kriegsvölkerrecht. Meint reguläre Kämpfer, die nach den Genfer Konventionen behandelt werden müssen und somit einen rechtlichen Status besitzen. Dient jedoch als Beschreibung für Menschen, denen solche Rechte eben nicht zugestanden werden. Man solle vielleicht, schlug Wolfgang Schäuble vor, Möglichkeiten schaffen, um "Gefährder zu behandeln wie Kombattanten und zu internieren". Siehe "Feindstrafrecht".

Krisenintervention: In der Psychologie die schnelle Hilfe für jemanden, der eine Krise erlebt. In der Politik das hastige und ungefragte Einmischen in Belange anderer Länder, um mit Gewalt eigene Interessen zu vertreten. Klingt ebenso gut gemeint wie die Unterstützung bei psychischen Krisen, ist rechtlich aber ein Krieg ohne Kriegserklärung und ohne angegriffen worden zu sein.

Luftsicherheitsgesetz: Euphemismus. Beschreibt weder mehr Sicherheit am Himmel, noch reinere Luft. Sollte vielmehr der Politik erlauben, Bundeswehrpiloten den Befehl zum Abschuss von Passagierflugzeugen zu geben, wenn davon auszugehen ist, "dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll". Müsste daher wie der "Rettungsschuss" Tötungsgenehmigung heißen. Das Bundesverfassungsgericht urteilte sprachlich eindeutig, es sei unvorstellbar, "unschuldige Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten".

Mautbrücke: Brücken überwinden Gräben, verbinden. Mautscanner hängen zwar über der Autobahn, vereint aber wird durch sie nichts. Im Gegenteil. Sie erfassen jetzt schon die Nummernschilder aller vorbeifahrenden Autos. Und kontrollieren bei Lastwagen, ob deren Fahrer auffällig sind, oder artig Nutzungsgebühren zahlen. Machbar ist mit den Daten noch viel mehr, zum Beispiel nach Straftätern zu fahnden, wie bereits geschehen. Zumindest müssten die M. also Nummernschildscanner heißen, oder wenigstens Kontrollpunkte.

Nacktscanner: Beispiel für eine gescheiterte Vernebelungsstrategie. Die neutrale Bezeichnung lautet Terahertzscanner, das Innenministerium nannte die Geräte, die Flugpassagiere auf gefährliche Waffen am Körper durchleuchten sollen, – möglicherweise aus Mangel an beschönigenden Begriffen – Body- oder Ganzkörperscanner. Medien dann machten sie zu N. und sorgten so für ein vorläufiges Ende des Projekts. Politisch war es unter diesem Namen nicht mehr vermittelbar.

Onlinedurchsuchung: Impliziert offenes und rechtsstaatliches Vorgehen ähnlich einer Hausdurchsuchung. Ist jedoch das heimliche Verwanzen eines privaten Computers, um unbemerkt sämtliche Eingaben beobachten und alle Dokumente speichern zu können. Korrekter wäre daher Onlinespionage.

Raum, rechtsfreier: Gern von BKA-Chef Jörg Ziercke bemühtes Synonym für das Internet. Jedoch bezeichnet "Recht" die Gesamtheit der Gesetze. Die gelten durchaus auch im Netz. Nur die rechtsstaatliche Strafverfolgung ist erschwert, eine Überwachung technisch möglich, aber rechtlich nicht zulässig. Das Grundgesetz nennt diesen Zustand "Privatsphäre".

Rettungsschuss, finaler: Beim R. wird jemand erschossen, der andere bedroht, um diese im besten Fall zu retten. Ist damit nur die positivste aller möglichen Beschreibungen und genauso beschönigend wie "final". Das heißt endgültig, meint aber laut Gesetz "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit tödlich". Korrekter wäre daher Tötungsgenehmigung oder zumindest Schießbefehl. Schießbefehl jedoch ist reserviert für die DDR-Grenze und wird dafür auch bewusst eingesetzt. Tötungsgenehmigung dagegen wird es aus offensichtlichen Gründen wohl nie in den offiziellen Sprachgebrauch schaffen.

Richteramt, Befähigung zum: Moderne Form des sogenannten Richtervorbehalts und ein Beispiel, wie weit die demokratischen Grenzen inzwischen aufgeweicht sind. Statt eines unabhängigen Richters prüft ein "zum Richteramt Befähigter" Maßnahmen wie Onlinedurchsuchung oder Internetsperre. Mit anderen Worten jemand, der mal zwei Staatsexamen in Jura geschafft hat, der vor allem aber ein Mitarbeiter der Behörde ist, die die Überwachung vornehmen will. Ein Richterplacebo also, oder ein Freibriefstempler.

Schadprogramme: Umfasst all die Viren, Würmer und Trojaner, mit denen Terroristen Computer infizieren können, um sie zu versklaven, zu überwachen oder zu zerstören. Werden S. vom Staat eingesetzt, um, wie als Begründung angeführt wird, das Leben der Bürger sicherer zu machen, heißen sie neutral und noch dazu englisch "remote forensic software". Letztlich tun alle diese Programme das gleiche.

Sicherheit, vernetzte: Meint die Zusammenarbeit von Polizeien und Geheimdiensten im In- und Ausland. Formulierung suggeriert das Weben eines Sicherheitsnetzes, das die Bürger auffangen und vor Schaden bewahren kann. Bedeutet jedoch die Abschaffung des "Trennungsgebots". Damit ersetzen geheimdienstliche Informationen wie Gerüchte und Behauptungen die Beweise als Anlass für Sanktionen.

Unterbindungsgewahrsam: Laut Polizeirecht ist U. der Versuch, eine Straftat zu verhüten, bevor sie begangen wird; siehe Gefahrenabwehr. Bedeutet, dass jemand inhaftiert wird, ohne etwas getan zu haben, im Zweifel gar, ohne geplant zu haben, etwas zu tun. Denn auch Polizisten können irren. Widerspricht dem Grundsatz des Rechtsstaates "keine Haft ohne Verurteilung". Doch gibt es ja die "unverzügliche" richterliche Prüfung. Siehe auch "Grenzen, in engen".

Vorratsdatenspeicherung: Vorräte sollen, angelegt in guten Zeiten, dazu dienen, um auch in schlechten überleben zu können. Vorräte zu besitzen, gilt nicht nur als notwendig, sondern als vorausschauend und klug. Die V. legt nahe, dass es wichtig ist, Datenvorräte zu haben. Mit ihnen allerdings werden Kommunikationsstrukturen überwachbar. Sollte daher eher Datenhamsterung, Datenhortung oder Datenscheffelung heißen.

Warnschussarrest: Verharmlosend für Haftstrafe. Laut Polizeirecht droht ein ungefährlicher Warnschuss an, dass danach ein gezielter Schuss folgt. Der W. aber im Sinne Angela Merkels droht nicht an, sondern bedeutet tatsächlich eine Inhaftierung. Ein gezielter Schuss also, um vor einem weiteren gezielten Schuss zu warnen.

Mit Dank an Martin Haase ( PDF ) für Anregung und Ergänzungen.

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