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jkr

Ducati Streetfighter S So tötete ich einen Straßenkämpfer

Ducatis stärkstes Naked Bike ist nichts für zarte Gemüter. SPIEGEL ONLINE testete den Kraftbolzen auf der Rennstrecke und nächtens auf leeren Landstraßen. Die brutal brachiale Maschine überzeugte, bis sie den Geist aufgab - durch einen kapitalen Fehler des Fahrers.

Ich hätte besser auf meine Frau hören sollen. Sie hatte noch gesagt: "Lass das bleiben." Zu spät. Im Hintergrund dröhnt ein Rudel Ducatis über den Rundkurs des Eurospeedways Lausitz, es riecht nach verbranntem Gummi, und vor mir steht das Biest: die Streetfighter S, 167 Kilogramm schiere Kraft. 155 PS zerren am Hinterrad. Ducati hat das Powerpaket aufs Nötigste gestrippt und das Naked Bike mit bösem Blick versehen. Die LEDs im Scheinwerfer starren auf die Rennstrecke. Ich habe einen trockenen Mund.

Thomas Ludwig, Technik-Leiter von Ducati Deutschland und einer der Instruktoren beim Renntraining auf dem Lausitzring, ist dagegen die Ruhe selbst. Er sammelt seine Schäfchen aus der Anfängergruppe, gibt letzte Instruktionen und fährt an die Startampel. Raus geht's mit tiefem Grollen aus der Doppelauspuffanlage.

Über Motorräder aus der Klasse der Streetfighter S braucht man nicht zu diskutieren. Sie sind unnötig, wenn man keinen Spaß versteht. Sie haben auf der Straße nicht nur ein Macho-Image, sondern auch ein physikalisches Problem. An der Einarmschwinge, die hinten an den traditionellen Ducati-Gitterrohrrahmen angedockt ist, sitzt ein 190er Trum von Hinterradreifen. Vorne arbeitet eine Brembo-Bremsanlage mit zwei Scheiben. Und hinten ist bei brachialer Kraftentfaltung und nervöser Gashand der Schlupf nur noch schwer zu kontrollieren. Das braucht niemand, der bei Sinnen ist und immerhin 18.955 Euro für sein Spaßgerät gezahlt hat.

Ducati liefert den Streetfighter S, die radikale Weiterentwicklung der Monster-Modelle, deshalb mit einer in der Superbike-WM erprobten Traktionskontrolle aus. Das elektronische DTC-System (Ducati Traction Control) vergleicht permanent Raddrehzahl mit Motordaten und erkennt innerhalb von Sekundenbruchteilen, ob das Hinterrad durchdreht und ausbricht. Dann nimmt es ebenso blitzschnell über den Zündzeitpunkt Leistung raus und reguliert die Benzineinspritzung. Das System ist über acht Stufen an den Lenkarmaturen vorwählbar. Stufe acht macht das Geschoss selbst bei Regen noch locker fahrbar, Stufe eins oder ein abgeschaltetes DTC dagegen lassen sanftes Abschmieren und Powerslides zu.

Wie auf Schienen über den Ring

Instruktor Thomas Ludwig ist gnädig mit seinen Lausitzring-Neulingen. Die ersten Runden sind zum Rantasten und Eingewöhnen. Auf dem Streetfighter, der in der Boxengasse trotz des hohen Hecks tief gedrungen gewirkt hat, fährt es sich schon in den ersten Kurven vertraut. Der ausladende Lenker, nicht zu tief aufgesetzt, lässt selbst für große Fahrer über 1,80 Meter eine angenehme, nur moderat nach vorne gebeugte Haltung zu. In Schräglage schiebt die Maschine durch die Kurven wie auf einer Carrera-Bahn. Doch Vorsicht: Schnelle Lenkimpulse mag sie trotz Lenkungsdämpfer nicht, und die vordere Bremse ist so sensibel, dass der chirurgische Eingriff mit einem Finger meist genügt.

Auch die Traktionskontrolle funktioniert bestens. Das zeigt sich am Nachmittag bei den Runden, für die ich den elektronischen DTC-Eingriff minimiere. Auf der Zielgerade kommt ein Streetfighter innerhalb kurzer Zeit auf 240 Sachen. Den Kurvenausgang vor der Grade in Sicht, will ich es wissen und werkele wild am Gasgriff. Das Hinterteil wird unruhig, der gequälte Pneu schiebt spürbar nach außen, aber rutscht nicht weg. Schluck. Der Streetfighter ist erstaunlich gutmütig. Aber man sollte die Power, die in der Maschine schlummert, nie unterschätzen.

Voll alltagstauglich

Dass der Streetfighter nicht nur ein begnadeter Ring- und Kurvenkämpfer ist, zeigt sich am nächsten Tag. Rückfahrt nach Hamburg übers Erzgebirge. Der Tank ist so geformt, dass ein Tankrucksack gut Platz findet. Das Heck, auf dem ein Beifahrer zur Not befördert werden kann, nimmt zusätzlich Gepäck auf. Selbst lange Strecken sind bei diesen Staumöglichkeiten, dem aufgeschnallten Windschutz und der entspannten Sitzhaltung unerwartet kommod.

Auch im Stadtverkehr in Chemnitz macht der Kraftprotz bella Figura, wird zum Blickfang vor allen Eisdielen. Die Kupplung braucht zwar reichlich Kraft in der Hand, aber ab 2000 Umdrehungen zuckelt das Gefährt selbst bei Stop-and-go gutmütig voran. Da sieht man gerne über kleinere Schludrigkeiten wie den frickeligen Blinkerschaltern und den Blick auf den eigenen Ellbogen im Rückspiegel hinweg.

Doch die eigentliche Domäne des Streetfighters sind neben der Rennstrecke die abendlichen, einsamen Landstraßen. Die Pferdchen, die im Testrastretta-Motor traben, machen schaltfaul; das Drehmoment schiebt die Fuhre schon ab 3000 Umdrehungen lustig voran. Überholen wird zum Sekundenspaß, bis der 18-Liter-Tank leergejubelt ist.

Ende einer Dienstfahrt

Auch an der Tankstelle in Langenbogen an der B80 sorgt die Ducati für Aufsehen. Zwei Jungs mit ihrem gepimpten Mazda, die hier an der Tanke offensichtlich ein Zuhause gefunden haben, starren rüber. Ein Leder-Pärchen auf ihrem 125er Chopper auf der anderen Seite der Zapfsäule will begeistert alle technischen Details wissen, was neben dem Tankvorgang schnell erledigt ist. Der Streetfighter bollert tief; der Scheinwerfer weist den Weg. Weiter geht's, raus in die Dämmerung, zum Kurvenwedeln.

Aber nicht mehr lange. An der nächsten Ampel stirbt der Motor auf einen Schlag ab. Ende, Aus, Finito. Es folgt das komplette Programm. Anruf Ducati, Anruf ADAC. Abschleppdienst, Leihwagen, Hotelzimmer, schlechtes Bett, schweres Grübeln: ein Fahrzeug, mit dem Ducati die Messlatte für Naked Bikes ein beachtliches Stück höhergelegt hat. Ein Montags-Motorrad? Oder doch nur bedingt standfest und alltagstauglich?

Am Tag darauf, zurück in Hamburg, schreit mir der Tankbeleg die nackte Wahrheit ins Gesicht: "16,72 Liter Diesel - Vielen Dank und gute Fahrt - Auf Wiedersehen."

Na super! Mit Diesel für 18,54 Euro habe ich einen Straßenkämpfer im Wert von 18.955 Euro getötet. Ich hätte auf meine Frau hören sollen. Sie hat gesagt, ich soll es bleiben lassen. Jetzt kann ich mir ihren Spott anhören: "Also, gegen Blödheit hilft auch keine Traktionskontrolle."