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Fahrprüfung im Alter Warum Senioren zum Führerschein-Check sollten

Auf deutschen Straßen fahren immer mehr alte Menschen Auto, und sie bauen immer mehr Unfälle. Helfen könnte ein Gesundheitscheck für Senioren, doch Regierung und Verkehrclubs sträuben sich - aus teilweise bizarren Gründen. Warum eigentlich?
Senior am Steuer: "Wir setzen auf Freiwilligkeit"

Senior am Steuer: "Wir setzen auf Freiwilligkeit"

Foto: Corbis

Es war einer dieser Unfälle, von denen man liest und sich dann wundert. In Wuppertal hatte eine Dame im Alter von 80 Jahren die Kontrolle über ihr Auto verloren und war in eine Menschenmenge gerast. Die Bilanz: 12 Verletzte, drei davon Kinder, eines wurde schwer verletzt. Und unweigerlich fragt man sich: Warum gibt es in Deutschland keine regelmäßige Fahrprüfung für Menschen über Sechzig?

Auf der Suche nach einer Antwort stößt man auf viel Irrationales. Deswegen zu Beginn erst mal ein paar Fakten. Bereits jetzt besitzen laut ADAC in Deutschland rund 1,7 Millionen Menschen zwischen 75 und 84 Jahren ein Auto. Kaum eine Bevölkerungsgruppe in Deutschland wächst so schnell wie die der über 75-Jährigen. Und: Nur, wer den Führerschein erwirbt, wird in Deutschland auf Fahrtauglichkeit geprüft. Wer ihn erstmal besitzt, muss sie nie wieder nachweisen.

Dabei sind viele Menschen in dieser Altersgruppe gesundheitlich eingeschränkt. Sie stehen unter Medikamenteneinfluss, sehen schlechter, reagieren langsamer. Und sie verursachen, das zeigen die Zahlen des Statistischen Bundesamts, häufig Unfälle.

Einer, der die Zahl der Verkehrsunfälle unbedingt senken will, ist Peter Ramsauer. Sein ehrgeiziger Plan: Bis 2020 soll sich die Zahl der Verkehrstoten um 40 Prozent verringern. Ein verbindlicher Fahrtest für Senioren taucht in seinen Plänen wundersamerweise aber nicht auf.

Fragwürdige Rechtfertigung

Eine solche Verordnung sei eine Diskriminierung der Älteren, erklärte Ramsauer unlängst der "Bild-Zeitung". "Entscheidend für die Fahrtüchtigkeit ist nicht das Alter, sondern der Gesundheitszustand", lautet das Credo des Ministers. Seine Argumentation gegen den sogenannten Senioren-TÜV folgt einer seltsamen Logik - oder ist es bei den meisten Menschen nicht so, dass es einen Zusammenhang zwischen Lebensalter und Gesundheit gibt?

Auch bei den zweiten Gralshütern in puncto Verkehrssicherheit, dem ADAC, rennt man mit der Frage nach dem Senioren-TÜV überraschenderweise keine offenen Türen ein, im Gegenteil. Andreas Hölzel, Sprecher des ADAC, spricht sich strikt gegen eine verbindliche Prüfung aus und verweist auf Zahlen des Statistischen Bundesamts, wonach der Anteil der Menschen über 65 Jahre an der Gesamtbevölkerung zwar rund 21 Prozent betrage - sie aber nur für 14 Prozent aller Unfälle mit Personenschaden verantwortlich seien. "Diese Zahlen rechtfertigen nicht den hohen Aufwand, der für die Senioren-Tests notwendig wäre."

Es ist eine relativ einseitige Auslegung der Zahlen. Fakt ist nämlich auch: Die Zahl der von älteren Autofahrern verursachten Unfälle steigt - von 2001 bis 2011 um fast 32 Prozent. Gleichzeitig haben die über 65-Jährigen eine geringere Fahrleistung als andere Altersgruppen, sie sind weniger unterwegs und fahren oft nur kurze Strecken in der Stadt. Sind sie dann aber in Unfälle mit Personenschaden verwickelt, tragen sie meistens die Hauptschuld: Im Alter zwischen 70 und 75 sind sie in 65 Prozent der Fälle die Unfallverursacher. Bei einem Alter von über 75 Jahren steigt der Anteil sogar auf 76,3 Prozent. Beim Bundesamt für Statistik hält man diese Werte für aussagekräftiger als jene, die den Anteil an der Gesamtzahl der Unfälle wiedergeben.

Sorgfältige Kontrolle statt blindem Vertrauen

Trotzdem wehrt sich der ADAC gegen eine verbindliche Überprüfung der Fahrtauglichkeit. "Wir setzen auf Freiwilligkeit", beharrt Hölzel. Aber was bedeutet das konkret? "Wir gehen davon aus, dass Menschen von sich aus erkennen, dass ihre Fahrtüchtigkeit eingeschränkt ist. Oder von ihrem Umfeld darauf aufmerksam gemacht werden".

Genau diese Philosophie aber ist absurd - denn wer gibt schon freiwillig die Freiheit auf, die ihm das Auto gewährt? Und welches Kind sagt seinen greisen Eltern, dass sie ab sofort bitte das Auto stehen lassen? Hier könnte ein Test zumindest Orientierung schaffen. Denn nur darum geht es ja im Grunde.

Niemand fordert, Menschen ab einer bestimmten Altersgrenze pauschal den Führerschein zu entziehen. Es geht einzig und allein darum, jenen Menschen, die nicht mehr zuverlässig am Straßenverkehr teilnehmen können, dieses auch aufzuzeigen.

"Den Wundertest, der die schlechten von den guten Autofahrern trennt, gibt es aber nicht", sagt ADAC-Verkehrspsychologe Ulrich Chiellino. Er befürchtet, dass es viele falsche Gutachten geben würde. Auch Hölzel wiegelt ab: "So ein Test wäre nur eine Momentaufnahme". Aber das ist die Prüfung für den Führerschein letztlich auch.

Ein Vorschlag, wie es laufen könnte

Einer der wenigen, die sich für eine solche Überprüfung aussprechen, ist Andrej Zeyfang. "Ab einem Alter von 70 Jahren macht ein solcher Test absolut Sinn", sagt er. Zeyfang ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Geriatrie am Agaplesion Bethesda Krankenhaus in Stuttgart. Derzeit darf er nicht mal die Führerscheinstelle alarmieren, wenn er bei einem Patienten Demenz feststellt. "Die Schweigepflicht hat hier Vorrang", sagt er mit Bedauern. Entweder der betroffene Autofahrer meldet sich freiwillig bei den Behörden, oder er kurvt krank und unbehelligt durch die Straßen.

Andrej Zeyfang will auch das Argument nicht gelten lassen, wonach die Tests für Senioren unbedingt aufwendig sein müssen. "Alle fünf Jahre einen umfangreichen Check vorzunehmen wäre nicht sinnvoll", sagt der Chefarzt. Stattdessen empfiehlt er eine jährliche, aber kurze Untersuchung. Dabei könnten in 30 Minuten die wichtigsten Bereiche abgeklopft werden:

  • Eine Überprüfung der kognitiven Fähigkeiten - also die Wahrnehmung von Informationen und Schlüsse und Reaktionen daraus. "Zum Beispiel durch den sogenannten Geldzähltest", sagt Zeyfang. Dabei bekommt die Testperson eine Geldbörse mit einem Inhalt von unter zehn Euro in Münzen - von Zwei-Euro- bis zu 20-Cent-Stücken. Innerhalb von 45 Sekunden muss die Person dabei in der Lage sein, den Betrag richtig gezählt zu haben.
  • Eine Untersuchung auf Krankheiten wie Demenz, Diabetes oder Herzschwäche.
  • Ein Mobilitätstest - zum Beispiel, ob keine Beschwerden bei der Halswirbelsäule vorliegen und der Fahrer den Kopf wenden kann, um den Verkehr zu beobachten.

Schneidet die Testperson bei der Untersuchung schlecht ab, sollte sie eine Probefahrstunde mit einem Fahrlehrer absolvieren. "Meine Erfahrung ist, dass nach diesen Fahrten ungefähr die Hälfte die Empfehlung bekommt, den Führerschein abzugeben - und dem auch bereitwillig nachkommt, obwohl es ein Einschnitt der Mobilität bedeutet", sagt Zeyfang.

Mehr Schutz durch die Tests - für alle

Zumindest in Deutschland aber steht Zeyfang mit seinen Vorschlägen ziemlich alleine da. Denn in vielen anderen europäischen Ländern ist eine solche Überprüfung längst gang und gäbe. In den Niederlanden müssen Autofahrer ab 70 alle fünf Jahre zum Gesundheitscheck, die Schweden und Briten alle drei Jahre. In Spanien gelten noch härtere Regeln: Ab 45 müssen Autofahrer dort alle zehn Jahre einen Hör- und Sehtest absolvieren, ab 70 alle zwei.

Nur in Deutschland trauen sich Politik und Verbände diese Maßnahmen nicht zu - vermutlich vor allem wegen des Unmuts, den sie sich in dieser ja zahlenmäßig stark vertretenen Bevölkerungsgruppe zuziehen würde.

Beide, der ADAC und das Bundesverkehrsministerium, teilen die Überzeugung, dass "ältere Kraftfahrer ihre mit dem Alter einhergehenden Leistungsbeeinträchtigungen kompensieren können." Mangelnde Reaktionsschnelligkeit und nachlassende Seh- und Hörfähigkeiten würden sie durch Erfahrung wettmachen.

"Wer schlecht sieht, fährt langsamer", so kann man diese Haltung auch zusammenfassen. Wer so argumentiert, ist aber in puncto Verkehrssicherheit auf einem Auge blind. Und damit ist niemandem geholfen, auch nicht den älteren Menschen, die sich eigentlich nicht mehr hinter das Steuer setzten sollten. Schließlich geht es auch darum, sie zu schützen.