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PERU Hühner tot

Dächer werden zernagt, Ratten und Kakerlaken nehmen überhand - ungewolltes Ergebnis eines internationalen Malariaprogramms in den Dörfern der Indios. *
aus DER SPIEGEL 51/1983

Die Indios im ostperuanischen Tiefland sollen - so haben es die Regierung in der Hauptstadt Lima und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf beschlossen - von der Fieberkrankheit Malaria befreit werden. Deshalb erhalten sie seit 15 Jahren regelmäßig zwei- bis dreimal jährlich Besuch von Mitarbeitern des »Malariaprogramms«. Die Fremden besprühen dann jedes Gebäude und den Kochplatz vor der Hütte mit DDT, um die Anophelesmücke, die Überträgerin der Krankheit, auszurotten. Bereits Erkrankten werden Chloroquin-Tabletten verabreicht.

Doch trotz des DDT-Einsatzes ist die Zahl der Malaria-Kranken auf der Welt wieder gestiegen, auch in Peru, wie der Völkerkundler Manfred Schäfer in einem Bericht für die WHO schrieb. Doch das sinnlose und teure Programm läuft weiter. Inzwischen reicht es aber auch den betroffenen Indianern, die sich bislang die Behandlung geduldig gefallen ließen.

So schrieben die Einwohner von Matereni einen Brief an das »Gesundheitsministerium - Malariaprogramm, Lima« mit Kopie für die WHO in Genf, in dem sie die zuständigen Herren über »die Probleme, die das Sprühen von DDT« in ihr Dorf brachte, informierten: *___"Früher gab es hier keine Cucarachas (Kakerlaken). Mit ____dem DDT vermehren sich die Cucarachas, die Getränke und ____Essen verunreinigen. Sie zerstören auch die Dächer ____unserer Häuser und lassen uns nicht ruhig schlafen.« *___"Das DDT tötet die Hühner, die Enten, Katzen und ____Tauben.«

Mit der Bitte, den Gebrauch von DDT einzustellen, da es »uns nicht hilft, sondern nur plagt«, schlossen die Indios. Wer schreiben konnte, unterschrieb, die anderen zeichneten mit einem Fingerabdruck. Mit drei Stempeln gaben sie dem Schriftsatz einen amtlichen Anstrich. Eine Antwort erhielten sie nicht.

Mitarbeiter des Programms und Ärzte von der tropenmedizinischen Abteilung der Universität in Lima bestätigten, daß es »unsinnig ist, in dieser Region mit DDT die Malaria bekämpfen zu wollen«. Die Indios ernähren sich traditionell von der Landwirtschaft, der Jagd, dem Fischfang und Haustierhaltung.

Daher halten sie sich meist an Flußläufen oder im Urwald, also im Freien, auf- und dort schwirren die Anophelesmücken ungestört von DDT herum. Zudem sind die Mücken weitgehend resistent gegen das Insektenvertilgungsmittel.

Hinzu kommt die gesundheitliche Gefährdung der Menschen, die in allzu enge Berührung mit dem Mittel geraten. Zwar bestreitet der Schweizer Pharmakonzern Ciba-Geigy, dessen Mitarbeiter Paul Müller 1948 für seine Entdeckung der insektentötenden Fähigkeiten des DDT den Nobelpreis erhielt, daß das Mittel eine Gefahr für den Menschen darstelle, da das »resorbierte DDT im Fettgewebe gespeichert wird« und nicht in das Stoffwechselgeschehen des Menschen eingreife. Doch der Innsbrucker Wissenschaftler Hannes an der Lan widerspricht dem energisch: »Dies ist eine vollkommen irrige Meinung.«

In den meisten Ländern der Welt ist die landwirtschaftliche Anwendung von DDT verboten. Dennoch vergiften sich jedes Jahr im Umgang mit Pflanzenschutz- und Insektenvertilgungsmitteln eine halbe Million Menschen.

»Erschreckende Ergebnisse« fanden Experten der deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), die in einem Labor Obst- und Gemüseproben aus der Dritten Welt untersuchten: Die Hälfte der Proben aus Togo, Niger und Sri Lanka, wo DDT massenhaft zur Malariabekämpfung eingesetzt wird, ist so mit Rückständen verseucht, daß sie in der Bundesrepublik sofort eingezogen würde.

Die Plagen, die der Einsatz von DDT bei den Indios im peruanischen Urwald hervorruft, werden in den Untersuchungen der WHO oder der GTZ gar nicht mehr erwähnt. Die in dem Brief an die Regierung und die WHO etwas ungelenk formulierten Beschwerden präzisierte Cesario Chirisente Quintemari, der Dorfälteste von Matereni: »Früher gab

es überhaupt keine Cucarachas. Ein Haus konnte bis zu zehn Jahre halten. Heute sind nach spätestens drei Jahren die Palmzweige des Daches zerstört.«

Die überhandnehmenden Käfer fressen die Palmenblätter und gelagerte Lebensmittel, verunreinigen Medikamente, zerstören Elektrogeräte wie Radios oder Funkapparate und belästigen die Indios in allen Lebensbereichen.

Schuld sei »das DDT, das die Grillen tötet«, erklärt der Völkerkundler Schäfer, »die Grillen fressen die Eier der Cucarachas«. So hätten diese Insekten, die gegenüber DDT resistent sind, keine natürlichen Feinde mehr und vermehrten sich ungehindert.

Hühner, Enten und Tauben, die als Proteinlieferanten große Bedeutung in der Ernährung der Indios haben, gehen an DDT ein, ebenso Katzen, die zur Bekämpfung von Nagetieren gehalten werden. Seit der Einführung von DDT leiden die Dorfbewohner unter Mäusen und Ratten.

Ethnograph Schäfer kommt zu dem Schluß, daß »der DDT-Einsatz schwerwiegende negative Folgen« für die Lebensbedingungen der Indios zeitigt, daß »die Anwendung des Mittels sinnlos ist«.

Nach Meinung von Wissenschaftlern der Universität Gayetano Heredia in Lima »wurde das Programm bisher nicht beendet, weil niemand seinen Job, sein Beratergeld, seinen Jeep, seinen Etat verlieren will; deshalb werden negative Auswirkungen verschwiegen, Statistiken gefälscht und Erfolgsmeldungen getürkt«.

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