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Web 2.0 für Pkw-Hersteller Lasst Google Autos bauen!

Offene Schnittstellen, Beta-Releases, Interaktion mit den Nutzern - was in der Softwarebranche üblich ist, gilt bei Autoherstellern noch immer als Teufelszeug. Dabei könnten die taumelnden Großkonzerne durchaus ein bisschen Webzwonull vertragen, findet Thomas Hillenbrand.

Wenn Microsoft Autos konstruieren würde, dann blieben Pkw mehrfach am Tag ohne erkennbaren Grund stehen - und die Fahrer würden ihre Wagen klaglos neu starten. Dieser Web-Witz kursierte 1997  und versuchte, die damals arg verkrustete und fehleranfällige Softwarebranche durch einen Vergleich mit der Autoindustrie zu verspotten.

Heute ist es genau umgekehrt.

Für die Autoindustrie läuft momentan so ziemlich alles schief. Das liegt unter anderem an der Finanzkrise - aber man kann sich fragen, ob das Problem der Branche nicht viel grundsätzlicherer Natur ist. Nicht nur der IT-Sektor, sondern die ganze Gesellschaft wird zunehmend geprägt von Konzepten wie offenen Schnittstellen, maßgeschneiderten Produkten, Mitmach-Design (Crowdsourcing) und sozialen Netzwerken. Die Autoindustrie hingegen ist in vieler Hinsicht das Gegenteil von Web 2.0: Sie behandelt ihre Prototypen wie Staatsgeheimnisse; sie diskutiert nicht mit ihren Kunden; sie sperrt sich vehement dagegen, dass Dritte ihre Produkte modifizieren.

Google-Gründer Sergey Brin (r.) und Larry Page (M.) mit Elektroauto: Warum sind Autos nicht Open Source?

Google-Gründer Sergey Brin (r.) und Larry Page (M.) mit Elektroauto: Warum sind Autos nicht Open Source?

Kurz: Autofirmen machen nichts von dem, was Vordenker aus Produktentwicklung und Marketing predigen. "Warum sind Autos nicht Open Source?", fragt etwa Felix Kramer, Gründer von Calcars.org und Besitzer eines der ersten an der Steckdose aufladbaren Autos der Welt. Warum können Autofirmen die technischen Informationen zu ihren Produkten nicht ins Netz stellen, so wie es Google, Linux und andere seit Jahren tun? Die Pkw-Hersteller müssten "den Designprozess öffnen und ihn transparent und kollaborativ gestalten", fordert der Tech-Experte Jeff Jarvis in seinem Buch "What would Google do?" .

Kontrollfreaks und Hermetiker

Für die Autohersteller sind derlei Gedanken Teufelszeug. Argumente gegen größere Offenheit haben sie zuhauf. Das ist kein Wunder; schließlich hat die Branche Hermetik zu ihrem Geschäftsprinzip erklärt. Alles ist stets streng geheim - Prototypen bekommen bei Abstimmungsfahrten groteske Aufbauten verpasst, damit ja kein Bild des Fahrzeugs an die Öffentlichkeit gelangt. Informationen für die Medien sind mit teils absurden Sperrfristen versehen. Und die seit einem Jahrzehnt bestehenden Fan-Communitys im Web seien vielen Autoherstellern "immer noch nicht geheuer, glaubt etwa Tom Kedor, Geschäftsführer von Motor-Talk.de. Kein Wunder - da kann man keine direkte Kontrolle ausüben.

Frühe Designskizzen eines Fahrzeugs zur Diskussion ins Netz zu stellen, sei unmöglich, argumentieren Insider. Dann klauten einem die Konkurrenten ja möglicherweise die einzigartige Form der Bremsleuchte oder den unvergleichlichen Schwung der Motorhaube. Wenn aber etwa der Designprozess zwingend geheim ablaufen muss, um die Einzigartigkeit einer Marke zu gewährleisten - warum sehen dann die meisten modernen Autos gleich aus?

Dieser Mangel an Offenheit verursacht der Autoindustrie ganz reale Probleme: Es gibt beispielsweise weltweit kein einziges Serienfahrzeug, das mit einem vernünftigen Internet-Zugang ausgestattet ist. Die meisten Bordcomputer sind grässlich schlecht zu bedienen, der iPod-Anschluss funktioniert häufig nicht - sogar in Premium-Limousinen von BMW und Mercedes. Könnte das etwas damit zu tun haben, dass jeder Hersteller seine eigene hausinterne Software-Lösung zusammenfrickelt, statt auf offene Software- und Hardware-Standards zu setzen?

Vom Silicon Valley lernen

Alleine Daimler hat 2008 mehr für Forschung und Entwicklung ausgegeben, als Apple in den vergangenen zehn Jahren. Es erscheint deshalb gerade grotesk, dass sich bislang keiner der großen Autokonzerne ernsthaft an Open-Source-Ideen und Mitmach-Konzepten versucht hat. Das einzige Projekt dieser Art heißt Oscar  und wurde von einigen privaten Bastlern angestoßen.

Es muss ja nicht gleich der komplette, als Quellcode frei zugängliche Fahrzeugentwurf im Internet sein. Es gäbe zahlreiche andere Möglichkeiten, ein bisschen Webzweinull ins Auto zu bringen:

Auto-Marketing à la Dotcom

Klingt zu verrückt? Angesichts der Tatsache, dass sich die Autohersteller in Zukunft mit Produktionskapazitäten von rund 90 Millionen Fahrzeugen um einen Markt von nur noch 58 Millionen Pkw im Jahr balgen müssen, wird es ohne irre Ideen nicht gehen. Aber bis dahin ist wohl noch ein sehr weiter Weg. Mit seinen Kunden offen zu diskutieren, heißt natürlich, eine gewisse Kritikfähigkeit zu beweisen - auch die war bislang keine Stärke der Autokonzerne.

Vorreiter in Sachen Interaktivität und Mitmach-Web ist übrigens der Fiat-Konzern. Beim neuen Fiat 500 konnten Fans zwar weder am Design mitwirken, noch die technischen Spezifikationen bestimmen. Auf der Web-Seite Fiat500.com  durften sie jedoch eigene Aufkleberchen für den Cinquecento kreieren. In der Software-Industrie würde so etwas einen müden Gähner auslösen; in der Autobranche galt Fiats Marketingaktion hingegen als wahnsinnig fortschrittlich.