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Oscar 2009 Amerikanischer Traum, made in India

Bei der Oscar-Verleihung präsentierte sich Hollywood endlich wieder in Hochform: emotional, modern - und überraschend global. Der Hauptpreis ging an den indischen Aufsteigerfilm "Slumdog Millionaire" - und die Deutschen bekamen einen Oscar, mit dem sie nicht gerechnet hatten.

"Bloody wonderful!" Mit diesem sehr britischen Ausspruch meinte Danny Boyle nicht nur seinen Sieg in der Kategorie "Beste Regie", sondern vor allem auch die 81. Oscar-Verleihung im Kodak Theatre am Hollywood Boulevard. Tatsächlich erkannte man die ehrwürdigen Academy Awards kaum wieder. Nach Quotenflops und Langeweile-Vorwürfen gegen das bis zu vierstündige Show-Monstrum hatten die Organisatoren nicht viel zu verlieren und drehten ordentlich an der Stellschraube.

Schon das Bühnenbild verriet den Mut zum Wandel: Ein riesiger silberner Glitzervorhang, der im Halbrund über dem Geschehen hing, sorgte für gediegenen Glamour, während sich unten ein Teil der Bühne direkt in den Zuschauerraum vorwagte, wie sonst bei Rock-Konzerten üblich. Der Bühnenboden selbst war mit organischen blauen Linien durchzogen. Tradition trifft auf Moderne, so könnte man dieses optische Konzept zusammenfassen, das sich auch im leicht veränderten Konzept der Verleihung und letztlich auch bei der Vergabe der Oscars fortsetzte.

Gastgeber Hugh Jackman machte nicht nur die für ihn typische gute Figur, sondern gab auch eine passable Gesangsvorstellung in seiner Eröffnung, die die wichtigsten nominierten Filme zu einer altmodischen Musical-Nummer zusammenfasste - und dafür sogar die etwas verdatterte Anne Hathaway aus dem Publikum zerrte. Dass so etwas spontan passiert, ist eine Illusion, aber dennoch wirkte die ungewohnte Interaktion erfrischend. Die beschränkte sich in den vergangenen Jahren schließlich darauf, den feist grinsenden Jack Nicholson mit wechselnden Sonnenbrillen zu zeigen. Sehr angenehm, dass man auf diesen etwas schal gewordenen running gag diesmal verzichtete.

Tränendrüse total

Alte Zöpfe wurden einige abgeschnitten. Zum Beispiel entfiel die Rede des Academy-Präsidenten (er durfte nur einmal in die Runde winken), und die Todesfälle des vergangenen Jahres wurden von einer Live-Gesangsnummer begleitet. Während Queen Latifah in langer Abendrobe den Broadway-Klassiker "I'll be Seeing You" anstimmte, schwammen hinter ihr auf einer schwarzen Leinwand die Bilder der Verstorbenen wie in einer Flickr-Fotowolke vorbei - die Show-Branche betritt das elektronische Zeitalter.

Um der Show mehr Zusammenhalt zu verleihen, hatte man sich außerdem ausgedacht, die Verleihung der Preise analog zur Entstehung eines Filmes zu gestalten, so dass nach und nach eine kleine Geschichte erzählt wurde. Die beste Idee aber war es, die den nominierten Schauspielern jeweils einen Paten zuzuteilen, der auf der Bühne eine kurze Würdigung des Kandidaten vortrug. Mit dieser effektvollen Neuerung spielte die Academy ihren seit jeher größten Trumpf noch einmal richtig aus: Kaum eine Branche beherrscht den nachhaltigen Druck auf die Tränendrüse so gut wie Hollywood. Und wenn ein Schwergewicht wie Robert De Niro eine so humorvolle wie pathosgeladene Hommage an "seinen Freund" Sean Penn hält, der für seine Darstellung des schwulen Politikers Harvey Milk nominiert war und auch gewann, dann bleibt eben kaum ein Auge trocken.

Es gab viele solcher emotionalen Momente bei dieser mit dreieinhalb Stunden recht schlanken Verleihung, angefangen beim flammenden Plädoyer des siegreichen Drehbuchautors Dustin Lance Black ("Milk") für die Gleichberechtigung der Homosexuellen, über die rührenden Dankesreden der Hinterbliebenen des postum ausgezeichneten Joker-Darstellers Heath Ledger ("The Dark Knight") bis hin zu den Auftritten der Oscar-Gewinnerinnen Penélope Cruz und Kate Winslet, die beide mit der Fassung und - im Scherz - mit drohender Ohnmacht rangen. Ebenfalls ein gefühliger Höhepunkt: Mit einem Nicken in Richtung seines als Favoriten gesetzten, aber unterlegenen Kollegen sagte Sean Penn in seiner Dankesrede: "Mickey Rourke will rise again."

Pleite für (fast) alle Deutschen

Bei der Vergabe der Preise boten sich einige Überraschungen - allerdings nicht, was Kate Winslet betrifft: Die fünfmal nominierte Britin war für ihre einfühlsame und körperbetonte Darstellung der ungebildeten KZ-Aufseherin Hanna Schmitz in "Der Vorleser" gesetzt - und gewann zu Recht gegen bereits oscardekorierte Konkurrentinnen wie Meryl Streep und Angelina Jolie. Anne Hathaway und Melissa Leo waren beide Oscar-Novizinnen. Ihre Zeit wird kommen, diesmal schlug die Stunde der furchtlosen "Titanic"-Überlebenden, die im vergangenen Jahr auch als frustrierte Ehefrau in "Revolutionary Road" überzeugte.

Sean Penn hat zwar bereits einen Hauptrollen-Oscar (für "Mystic River"), dennoch war sein Sieg über Brad Pitt, Richard Jenkins, Frank Langella und letztlich auch Mickey Rourke verdient: Der method actor veränderte nicht nur sein Aussehen, sondern seine ganze Körpersprache, um den schwulen Charismatiker Harvey Milk auf der Leinwand auferstehen zu lassen. Robert De Niro brachte Penns schauspielerische Wandlung vom markigen Macho zum jovialen Homo in seiner Laudatio launig auf den Punkt: "Wie zur Hölle hast du in den letzten Jahren all diese Hetero-Rollen bekommen?"

Mickey Rourke ist nicht der einzige, der an diesem Montag mit einem Kater aufwachen wird. Zu den Verlierern des Oscar-Abends gehören leider auch die deutschen Filmemacher, bis auf einen, mit dem niemand so richtig gerechnet hatte: Der Berliner Jochen Alexander Freydank gewann mit seinem Kurzfilm "Spielzeugland", während Granden wie Werner Herzog (Dokumentation "Encounters at the End of the World") sowie Bernd Eichinger und Uli Edel ("Der Baader Meinhof Komplex") in ihren Kategorien leer ausgingen. Der Oscar für den besten fremdsprachigen Film geht nach Japan an Yojiro Takitas Film "Departures", einer Meditation über das Sterben.

Leben und Tod, das hätte eigentlich gut zum Über-Favoriten der Show gepasst: Für 13 Oscars war "Der seltsame Fall des Benjamin Button" nominiert, gewonnen hat er jedoch nur drei Preise in Nebenkategorien. Die opulente, sehr phantasievolle und aufwühlende Literaturverfilmung von David Fincher mit Brad Pitt als Mann, der im Körper eines Greises geboren wird und im Laufe seines Lebens immer jünger wird, ist der große Verlierer dieser Oscar-Nacht. Zugunsten eines eher von Bolly- als von Hollywood inspirierten Geschichte über einen indischen Jungen, der in der TV-Show "Wer wird Millionär" mitspielt und die Chance erhält, dem Elendsghetto zu entfliehen - und die Liebe seines Lebens in die Arme zu schließen. "Slumdog Millionaire" (Deutschlandstart: 19. März) war der zweite große Favorit im Vorwege der Verleihung und löste acht seiner zehn Nominierungen ein, inklusive der Oscars für die beste Regie und den besten Film.

Es ist ein europäisch geprägtes Weltkino, das an diesem Abend klar über den althergebrachten Hollywood-Stil triumphierte. Der gesellschaftliche Wandel, der sich mit Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten vollzieht, hat - bewusst oder unbewusst - auch bei den Oscars erste Spuren hinterlassen. "Benjamin Button" steht trotz aller Brillanz für das gute alte, immer auch etwas arg behäbige amerikanische Erzählkino, während der schnelle, schlanke, mit britischem Geld finanzierte und in Mumbai gedrehte "Slumdog Millionaire" die ewige Geschichte vom American Dream aus einer globalisierten Perspektive erzählt.

Vom Tellerwäscher zum Millionär? Das geht neuerdings auch in der Dritten Welt, nicht mehr nur in der ehemals Neuen. Von den Oscars, die gerne zur Gralshüterei neigen, hätte man so viel Hellsicht gar nicht erwartet. Wie schön, wenn man überrascht wird. Bloody wonderful!

Oscars 2009 - Die Gewinner

Bester Film "Slumdog Millionaire"
Bester fremdsprachiger Film "Okuribito" (Japan)
Bester Animationsfilm "Wall-E"
Beste Darstellerin (Hauptrolle) Kate Winslet ("Der Vorleser")
Bester Darsteller (Hauptrolle) Sean Penn ("Milk")
Beste Darstellerin (Nebenrolle) Penélope Cruz ("Vicky Cristina Barcelona")
Bester Darsteller (Nebenrolle) Heath Ledger ("The Dark Knight")
Beste Regie Danny Boyle ("Slumdog Millionaire")
Bestes Original-Drehbuch Dustin Lance Black ("Milk")
Bestes adaptiertes Drehbuch Simon Beaufoy ("Slumdog Millionaire")
Beste Kamera "Slumdog Millionaire"
Bester Schnitt "Slumdog Millionaire"
Bester Ton "The Dark Knight"
Beste Toneffekte "Slumdog Millionaire"
Beste Filmmusik A.R. Rahman ("Slumdog Millionaire")
Bester Filmsong Jai Ho ("Slumdog Millionaire")
Beste Kostüme "Die Herzogin"
Beste Maske "Der seltsame Fall des Benjamin Button"
Beste Ausstattung (Szenenbild) "Der seltsame Fall des Benjamin Button"
Beste Spezial-Effekte "Der seltsame Fall des Benjamin Button"
Bester Dokumentarfilm "Man on Wire"
Bester kurzer Dokumentarfilm "Smile Pinki"
Bester kurzer Trickfilm "La Maison en Petits Cubes"
Bester kurzer Realfilm "Spielzeugland" (Jochen Alexander Freydank, Deutschland)
Ehren-Oscar Jerry Lewis