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Mobile Mitfahrzentrale Trampen mit dem iPhone

Sein Büro ist ein Café, seine Ausrüstung sind Laptop und Telefon: Mit einer mobilen Mitfahrzentrale will ein Schwabe mitten in der Wirtschaftskrise Gewinne machen. Zwar schreckt die Kreditklemme Investoren ab, aber er hat schon Kunden in mehr als 80 Ländern.

San Francisco - Man sagt, die Schwaben seien besonders erfinderisch. Johannes Kepler entwickelte das astronomische Teleskop. Ferdinand Graf von Zeppelin konstruierte das erste brauchbare Luftschiff.

Und Steffen Frost? Der fühlt sich mit den Genies zumindest geistesverwandt. "Es ist das Unvorstellbare, das mich reizt", schwäbelt er, "zu sagen, das ist unmöglich, aber angenommen, es wäre möglich, wie würde man es dann machen?"

Gründer Frost: "Das iPhone soll den Daumen ersetzen"

Gründer Frost: "Das iPhone soll den Daumen ersetzen"

Foto: SPIEGEL ONLINE

Vor Kepler haben wir die Bewegungen der Planeten nicht verstanden, vor Graf Zeppelin war das Lenken eines Luftschiffs ein unergründbares Rätsel. Und vor Frost haben sich wohl nur wenige eine Gesellschaft ausgemalt, in der Autofahrer ganz selbstverständlich am Straßenrand anhalten, um fremde Menschen mitzunehmen - und die dann auch noch versucht, mit dieser Idee mitten in der Finanzkrise Geld zu verdienen.

Mit seinem Dienst Carticipate  hat der Schwabe eine mobile Mitfahrzentrale entworfen. Wer den Dienst unterwegs per iPhone aufruft, wird automatisch geortet und bekommt binnen Sekunden Fahrgelegenheiten in der unmittelbaren Umgebung angezeigt. Die Angebote stammen von anderen Carticipate-Nutzern, die bereit sind, ihr Auto zu teilen und ihre täglichen Fahrrouten auf der Web-Seite transparent machen. Wer unter den Angeboten eine passende Mitfahrgelegenheit findet, kann per Fingerzeig das Profil seines potentiellen Fahrers prüfen - und diesen anrufen.

Das iPhone soll den Daumen ersetzen

Aber Trampen ist trotz der Finanz- und Klimakrise in vielen Ländern nicht gerade angesagt. In Amerika, wo Frost lebt, geht die Mitnahmequote derzeit jährlich zurück - und das, obwohl man durch das sogenannte Car-Pooling laut einem White Paper des Mobilfunkriesen Nokias  bis zu einer halben Billion Dollar jährlich an Transportkosten sparen könnte.

Hauptgrund für die Tramping-Flaute dürfte mangelndes Vertrauen sein. Mit seiner Mitfahrer-Community will Frost dieses Problem nun lösen. Fahrer und Anhalter können vor ihrer Begegnung das Nutzerprofil des Gegenübers prüfen - und anhand von Bewertungen anderer Nutzer dessen Vertrauenswürdigkeit einschätzen. "Das iPhone soll beim Trampen den Daumen ersetzen", werbetextet Frost.

Nach demselben Prinzip funktioniert - überaus erfolgreich - schon seit Jahren das soziale Netzwerk Couchsurfing.com, über das sich Reisende Betten in einer fremden Stadt besorgen - bei anderen Couch-Surfern, die sie über die Web-Seite kennenlernen. "Das iPhone hat das Potential, nach dem Couchsurfen auch urbanes Trampen salonfähig zu machen", sagt Frost.

Um diese Utopie zu realisieren, bräuchte Frost allerdings eine riesige Nutzergemeinde - wenn in jeder Stadt nur wenige Autofahrer iPhone-Anhalter mitnehmen, verpufft der lokal basierte Dienst in der schieren Weite der Welt (siehe Video).

Frost lässt sich davon nicht beirren: "Sollte die Idee zünden, würden Menschen, egal an welchem Ort sie gerade sind, mobil sein."

Globale Geschäfte im Coffeeshop

So beweglich wie Frosts gesellschaftliche Utopiegedanke ist übrigens auch sein Arbeitsplatz: Ein Laptop, ein UMTS-Anschluss, mit dem man überall online gehen kann, und eine Voice-over-IP-Box, mit der man überall auf der Welt dieselbe Festnetznummer hat - das ist sein Büro. Die Ausrüstung passt in einen mittelgroßen Rucksack, den Frost täglich in einem anderen Café in San Francisco oder im Silicon Valley auspackt, um dort zu arbeiten. Die technische Infrastruktur seines Start-ups liegt komplett auf einem Serverpark des Tech-Riesen Amazon. Carticipate nutzen inzwischen Kunden in über 80 Ländern.

Coffeeshop-Start-ups heißt das in den vergangenen Jahren in San Francisco recht populäre Arbeitskonzept. Die Abwälzung der notwendigen IT auf einen externen Dienstleister heißt auf Neudeutsch "Cloud Computing". Durch das Arbeiten in der Wolke sind die Markteintrittsbarrieren für Firmengründer deutlich gesunken. "Vor ein paar Jahren noch hätte ich mir für einen fünfstelligen Betrag einen eigenen Serverpark zulegen müssen", sagt Frost. "Inzwischen reichen einige tausend Dollar, um die Testversion eines Software-Produkts online zu stellen und damit Investoren zu suchen."

Doch gerade die Fahndung nach Geldgebern ist derzeit ein großes Problem. Bis zum 15. September 2008, dem Tag, an dem die Finanzkrise durch die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers eine neue, beispiellose Dimension erreichte, holten sich Start-ups das notwendige Kleingeld von Venture Capitalists (VCs), Risikokapitalgebern mit hochspezialisierter Branchenexpertise, die das Vermögen großer Investmentfonds in neue, vielversprechende Technologien weiterleiten.

Kreditklemme im Kreativ-Königreich

Nun herrscht auch im Königreich der Kreativen die Kreditklemme. Es gibt so wenige Investitionen wie zuletzt zur Jahrtausendwende, dem Zeitpunkt, an dem die Dotcom-Blase platzte. Laut einer Studie des Marktforschers PricewaterhouseCoopers und der National Venture Capital Association (NVCA) , Amerikas größtem Risikokapitalgeber-Verband, sind US-Investitionen in Risiko-Deals im Winterquartal 2008 um 26 Prozent auf 5,4 Milliarden Dollar eingebrochen. Insgesamt war 2008 mit einem Volumen von 28,3 Milliarden das erste Jahr seit 2003, in dem die Investitionen gegenüber dem Vorjahr gesunken sind.

Laut einer weiteren NVCA-Studie  erwarten VCs auch für 2009 einen massiven Einbruch der Investitionen. Zwei Drittel vermuten, dass der Markt dieses Jahr um mehr als zehn Prozent schrumpfen wird. NVCA-Präsident Mark Heesen spricht von einem "darwinistischen Umbruch" in der Branche.

Auch Frost hat sich kaum Kapital beschaffen können - dabei knüpft sein Start-up an alle Märkte an, die derzeit unter Risikogeldgebern als Boom-Branchen gelten. Der Dienst ist eine Anwendung für das im Rekordtempo wachsende mobile Web, er ist lokal basiert, dazu ein soziales Netzwerk und im weitesten Sinne ein Green-Tech-Service. Schließlich sollen durch Carticipate weniger Autos auf den Straßen fahren - ein Konzept, das gut zur von US-Präsident Barack Obama ausgerufenen Energiespar-Offensive passt.

Green Tech wird von vielen Venture Capitalists als die nächste große Boombranche gesehen, eine der wenigen, in die es sich derzeit überhaupt lohnt, zu investieren. Trotzdem: Vielleicht ist Carticipate Investoren nicht grün genug, oder es ist ihnen zu waghalsig - jedenfalls findet Frost keinen Investor.

"Der Kapitalmarkt ist völlig ausgetrocknet", sagt er. "Vor der Lehman-Pleite hätte man mir vermutlich Kapital gegeben." Er habe es inzwischen weitgehend aufgegeben, sich um Geldgeber zu bemühen. Stattdessen arbeitet er nun Geschäftsmodelle aus, durch die der Dienst sich selbst tragen soll, experimentiert mit exklusiven Bezahlmodellen und Firmenpartnerschaften.

Hoffen auf das Öko-Zeitalter

Er hofft, dass der Obama-Effekt seine Utopie einer Stadt, in der man per iPhone überall Autos chartern kann, ein Stück weit Realität werden lässt. "So lange es en vogue ist, die eigenen Mitarbeiter umweltfreundlich zur Arbeit zu bringen, sind beispielsweise Kooperationen mit Konzernen denkbar", sagt Frost. "Diese könnten dann via Carticipate Fahrgemeinschaften bilden und ihr Öko-Image aufpolieren."

Dass seine Idee an kulturell bedingten Denkschranken scheitern könnte, nimmt Frost bewusst in Kauf. Deshalb hat er sich an Amerikas Westküste niedergelassen. "Ein Bestandteil des amerikanischen Traums ist es, dass einem eine Firma auch mal missraten darf", sagt er. Ein anderer Bestandteil ist seiner Ansicht nach die Unbegrenztheit des Denkens. "Für Deutsche ist es schon ein großer Schritt, sich vorzustellen, dass man auf den Mond fliegen kann. Amerikaner sagen dagegen: Okay, wir machen dass, aber wenn wir es machen, brauchen wir da oben auch ein Auto."