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Wirtschaft EZB gegen Bundesbank

Draghi stellt Weidmann als Abweichler bloß

EZB EZB
EZB-Chef Mario Draghi (l.) und Bundesbankpräsident Jens Weidmann (r.): Ihre Meinungen zum Ankauf von Staatsanleihen weichen voneinander ab
Quelle: Mario Vedder/dapd, Thomas Lohnes/dapd
Eigentlich sollen Beratungen im EZB-Rat geheim bleiben. Doch das ist nun vorbei: Mario Draghi lässt Bundesbankchef Weidmann wie einen isolierten Betonkopf aussehen. Kompromisse sind kaum noch möglich.

Worum geht es

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Die Frage kommt jedes Mal. Wann immer der Zentralbankrat der EZB eine heikle Entscheidung getroffen hat, wird Mario Draghi hinterher gefragt, welche Gegenstimmen es denn gegeben habe. Und eigentlich hat der EZB-Präsident genug Routine darin, dieser Frage auszuweichen – schließlich sollen die Beratungen im höchsten europäischen Notenbanker-Gremium vertraulich bleiben.

Doch das scheint nun vorbei zu sein. Alle Ratsmitglieder stünden hinter dem Vorhaben, einen Kauf von Anleihen der Krisenstaaten ins Auge zu fassen, sobald die Regierungen den ersten Schritt tun. Nur einer habe Vorbehalte gehabt.

Und auf die Frage, wer das denn gewesen sei, wird Draghi deutlich: "Es ist klar und bekannt, dass Herr Weidmann und die Bundesbank ihre Vorbehalte gegen ein Programm zum Kauf von Staatsanleihen haben."

Damit hatte er die Position eines Kollegen öffentlich bloßgestellt. Ein Affront für eine Zentralbank, die sonst keine genauen Abstimmungsergebnisse bekannt gibt und peinlichst genau darauf achtet, dass die Protokolle ihrer Sitzungen geheim bleiben.

Es ist eine neue Eskalationsstufe im Richtungsstreit unter den Notenbankern, in dem die Fronten nun klarer sind denn je: Jens Weidmann, der Bundesbank-Präsident, allein gegen den Rest. Der Streit schwelt seit Monaten – doch nie wurde er derart offen gespielt.

Die öffentliche Konfrontation dürfte die Notenbank noch Wochen und Monate begleiten. Und sie wird die ohnehin schon kniffligen Entscheidungen in der Euro-Krise weiter verkomplizieren.

Weidmann ist isoliert

Zwar gaben sich die Beteiligten am Tag nach Draghis Auftritt betont gelassen. In der Tat hat der EZB-Präsident kein Geheimnis verraten: Die Bundesbank hatte schon im Vorfeld der Sitzung kein Hehl daraus gemacht, dass sich an ihrer kritischen Position zu Anleihenkäufen nichts geändert habe – und damit seine Kollegen im Rat gehörig verärgert.

Insofern war es nur logisch, dass Weidmann Vorbehalte gegen das Draghi-Konzept vorbringen würde. In Notenbankkreisen heißt es sogar, es sei abgesprochen gewesen, dass der EZB-Präsident die Weidmann-Position outen darf.

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Die EZB hat in der Euro-Krise immer mehr Staatsanleihen aufgekauft
Quelle: Infografik WELT ONLINE

Doch die Art und Weise, in der das geschah, stieß sogar Ratsmitgliedern sauer auf, die inhaltlich auf Draghis Seite standen. Mehrfach betonte der Italiener, dass es nur einen einzigen Notenbanker mit Vorbehalten gegeben habe, und als dann auch noch Vizepräsident Vítor Constâncio unter Gelächter der Journalisten kokettierte, er sei bestimmt nicht der Abweichler gewesen, stand Weidmann endgültig als isolierter Betonkopf da, der sich dem allgemeinen Konsens verweigert hatte.

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"Das war kommunikativ alles andere als gelungen", heißt es im Umfeld des EZB-Rates. Draghi habe damit nicht nur den Riss innerhalb des Gremiums unnötig stark betont. Er habe Weidmann so auch in eine Ecke getrieben, in der ihm praktisch jeder Weg hin zu einem Kompromiss verbaut sei.

Offene Konfrontation

Schließlich waren zuvor schon andere Skeptiker auf die Mehrheitslinie eingeschwenkt, nachdem sie einige Zugestände durchgesetzt hatten. Dem Vernehmen nach hatte Draghi zwar von Anfang an vorgeschlagen, nur dann Staatsanleihen zu kaufen, wenn die entsprechenden Staaten zuvor Hilfen vom Rettungsfonds ESM beantragt hätten.

Im Laufe der Beratungen kamen aber weitere Einschränkungen dazu. So will die EZB nur Anleihen mit kurzen Laufzeiten kaufen, was ihr einen späteren Ausstieg aus dem Programm erleichtern soll. Im Rat gab es die Hoffnung, dass sich auch Weidmann letztlich mit dieser Linie anfreunden könnte oder zumindest nicht ausdrücklich dagegen opponieren würde. "Diese Chance dürfte jetzt vergeben sein, jetzt muss er aus Prinzip dagegen stimmen, um sein Gesicht zu wahren", sagt ein Notenbanker.

Die offene Konfrontation könnte die Verhältnisse der Notenbank auch über die aktuelle Entscheidung hinaus belasten. Es sei deutlich geworden, wie tief der Riss, der durch den Rat geht, inzwischen sei, sagt Thorsten Polleit, Zentralbankkenner beim Goldhändler Degussa. "Ich habe die Äußerungen von Mario Draghi als sehr despektierlich empfunden. Er hat sich rhetorischer Mittel bedient, um die Position der Bundesbank öffentlich herabzuwürdigen."

Nordländer haben Nachsehen

Dabei kommt die Tradition, die Meinungen der Ratsmitglieder nicht zu veröffentlichen, nicht von ungefähr. So sollte verhindert werden, dass die Notenbanker unter Druck gesetzt werden, etwa von der Regierung ihres Heimatlandes, falls diese eine andere Position vertritt. Das sollte die Unabhängigkeit eines Zentralbankrats stärken, in dem auch die Nationalitäten der Geldpolitiker keine Rolle mehr spielen sollten.

"Der EZB-Rat hat früher darauf beharrt, dass die einzelnen Mitglieder keine nationalen Interessen verfolgen und im Konsens entscheiden", erinnert Polleit. "Es zeigt sich: Das war alles bloß Schönwetterpolitik, jetzt wird Realpolitik gemacht."

Diese werde bestimmt von den südlichen Euro-Ländern, für die die Inflationierung von Schulden schon immer ein probates Mittel gewesen sei, um Probleme zu lösen. "Das Nachsehen haben die Länder mit hohen Ersparnissen und Leistungsbilanzüberschüssen, wie Deutschland, die Niederlande oder Finnland, die zur Ader gelassen werden."

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Die öffentliche Debatte darüber dürfte diese Verhältnisse weiter zementieren. Wird etwa ein spanischer oder italienscher Notenbanker jemals wieder gegen eine für sein Heimatland günstige Maßnahme der EZB stimmen, wenn er fürchten muss, dass seine Haltung öffentlich wird?

Weidmann macht Position deutlich

Daran, dass der Frontverlauf offenbar wurde, hatte allerdings auch Weidmann großen Anteil. Schließlich hatte seine Auffassungen in den vergangenen Wochen immer wieder per Interview kundgetan und dabei auch frühere Krisenmaßnahmen des Rates kritisiert.

Mit Staatsanleihenkäufen tut er sich aus grundsätzlichen Erwägungen schwer – er fürchtet etwa, dass die Zentralbank in der Rolle des Helfershelfers der Finanzpolitik gefangen sei, wenn sie sich erst einmal auf eine konzertierte Aktion mit dem ESM einlasse. Dass diese Linie nicht einmal mehr die Bundesregierung mitträgt, ficht ihn nicht an – er lässt sich lieber isolieren, als seine Überzeugungen über Bord zu werfen.

Ein Kompromiss zum Aufkauf von Staatsanleihen wäre mit ihm womöglich so oder so nicht zu machen gewesen, auch ohne die Draghi-Äußerungen. Nun aber wird sich Draghi nicht einmal mehr beschweren können, wenn Weidmann den Beschluss der anderen öffentlich geißeln sollte.

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