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Britisch-russische Wirtschaftsfehde Tod in der "Matrosenstille"

Sergej Magnitskij galt als Schlüsselfigur in der britisch-russischen Wirtschaftsfehde um den Hedgefonds Hermitage. Jetzt starb der Jurist in einem Moskauer Gefängnis. Die Behörden sollen ihm medizinische Hilfe verweigert haben, behaupten die Anwälte des Toten.
Magnitskijs Chef, der Hedgefonds-Manager Browder: Verdacht auf Steuerhinterziehung

Magnitskijs Chef, der Hedgefonds-Manager Browder: Verdacht auf Steuerhinterziehung

Foto: VIRGINIA MAYO/ ASSOCIATED PRESS

Als sein Anwalt ihn am Montagabend besuchen wollte, hatte Sergej Magnitskij nur noch wenige Stunden zu leben. Magnitskij, selbst Advokat und seit fast einem Jahr in Moskauer Untersuchungshaft, starb wenig später im Krankentrakt des Untersuchungsgefängnisses "Matrosenstille", wohin er verlegt worden war. Er sei völlig unerwartet an einer "kardiovaskulären Insuffizienz", also einer Herzschwäche, gestorben, teilten die Behörden mit.

Magnitskij ist eine Schlüsselfigur in einer britisch-russischen Wirtschaftsfehde. Seine Familie und seine Anwälte sind überzeugt, dass es der Druck der russischen Ermittler war, der den 37-jährigen Vater zweier Kinder das Leben kostete. Magnitskijs langwierige Erkrankung an schmerzhaften Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und der Gallenblase seien der Öffentlichkeit seit langem bekannt gewesen.

Der Jurist galt als enger Vertrauter des Bankers William Browder. Der umtriebige britische Geschäftsmann war Ende der neunziger Jahre zum Star auf dem Moskauer Finanzparkett avanciert. Browders Hermitage Fonds, mit vier Milliarden Dollar der größte ausländische Investor in Russland, erwarb unter anderem Anteile an dem staatlichen Energieriesen Gazprom   und an der Sberbank  . Als unbequemer Aktionär habe sich der Fonds mächtige Feinde in der russischen Nomenklatura gemacht, wie Browder glaubt.

Heute ist das russische Imperium des Bankers zerschlagen, Gangster sollen sich Browders Firmen bemächtigt haben. Gleichzeitig lassen Russlands Behörden wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung nach dem Investor fahnden. Doch sie konnten nur seinen Anwalt verhaften - den nun verstorbenen Magnitskij. Er soll jene Konstruktion entworfen haben, mit der Browder, der diese Vorwürfe energisch zurückweist, nach Ansicht der russischen Ermittler den russischen Staat um Millionen Dollar geprellt haben soll.

Demnach soll Hermitage Capital in der unwirtlichen Steppenprovinz Kalmückien, fernab vom Finanzzentrum Moskau, zwei Briefkastenfirmen gegründet haben. Deren angeblich einziger Zweck: Steuerhinterziehung. Doch Magnitskij bestritt die Vorwürfe stets vehement. Nun ist er tot.

"Das war Folter"

Der Vorfall wirft ein schlechtes Licht auf die russische Justiz. Menschenrechtler beklagen seit Jahren, dass Anwälten der Zugang zu ihren Mandanten mitunter tagelang ohne Angabe von Gründen verwehrt werde. Zudem gelten russische Gefängnisse, in denen rund 900.000 Menschen inhaftiert sind, als notorisch überfüllt, die hygienischen Bedingungen als desolat. Krankheiten wie Tuberkulose breiten sich rasend schnell unter den Häftlingen aus, die Ernährung gilt als mangelhaft.

Magnitskij saß nicht etwa in einer Strafkolonie im fernen Sibirien ein: Bevor der Untersuchungshäftling ohne Verurteilung im Krankentrakt der "Matrosenstille" starb, war er in Lefortowo untergebracht - der russischen Vorzeigeanstalt. Erst im Oktober besuchte eine Delegation russischer Menschenrechtler die Einrichtung - und wusste von geräumigen Zwei-Mann-Zellen mit Fernseher, Kühlschrank und Warmwasseranschluss zu berichten. Am stärksten aber beeindruckten die Besucher die Teppichbahnen, mit denen die Korridore ausgelegt sind: Solch einen Luxus finde man sonst nur in wichtigen Einrichtungen des Staates, schrieb die Zeitung "Nowije Iswestija".

Dennoch habe man auch dort Magnitskij über mehrere Monate eine medizinische Behandlung verwehrt. "Sie wollten ihn brechen", sagt sein Anwalt Dmitrij Chorotinow. Der Inhaftierte selbst berichtete seinen Anwälten zufolge vor seinem Tod, man habe ihm eine Therapie mit den Worten verweigert, er könne sie erst nach einer Freilassung antreten. "Das war Folter mit dem Ziel, ihm die nötigen Aussagen abzupressen." Man habe seinen Mandanten, vor einem Jahr wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung in besonders großem Umfang verhaftet, nun habe man ihn zwingen wollen, seinen einstigen Chef Browder zu belasten.

In einem Brief klagte der Häftling über Schmerzen

Nach Magnitskijs Tod ließen die Strafverfolgungsbehörden dagegen verkünden, "während der gesamten Zeit der Ermittlungen haben weder der Beschuldigte noch seine Anwälte auch nur einmal von gesundheitlichen Problemen berichtet". Allerdings veröffentlichte die Wirtschaftszeitung "Wedomosti" noch am Dienstag Auszüge aus einem Brief Magnitskijs an einen Gefängnisleiter, in dem er von Wasser- und Nahrungsentzug sowie von daraufhin einsetzenden Schmerzen in der Brust und im Unterleib berichtet.

Anwalt Chorotinow will jetzt die Schuldigen für Magnitskijs Tod zur Rechenschaft ziehen. "Das Gefängnispersonal und die Ermittler waren für ihn verantwortlich. Der Mann ist schließlich nicht auf der Straße gestorben, sondern in einem Gefängnis."