Es gibt Ereignisse, die sehnt man herbei, man arbeitet dafür, man denkt stets daran, sie bewegen einen, und plötzlich zeichnen sie sich ab. So war es für mich mit der deutschen Vereinigung und mit dem Weg dorthin.
Was muss geschehen, damit alle Deutschen zusammen und in Freiheit leben können?
Als ich 1952 meine Heimatstadt Halle verließ und "in den Westen" ging, war ich mir ziemlich sicher, es würde nicht ein Abschied für immer sein. Je tiefer die Spaltung wurde, umso mehr bewegte mich der Gedanke: "Was muss geschehen, damit alle Deutschen zusammen und in Freiheit leben können?" Während der Verhandlungen über die Ost-Verträge hatte ich als Innenminister dafür zu sorgen, dass die Verträge vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würden.
Ab 1974 war ich dann selbst als Außenminister verantwortlich für die Außenpolitik. Besonders verpflichtet fühlte ich mich den Menschen in meiner Heimat, ihr Los zu erleichtern und das Tor zur Einheit zu öffnen. Das forderte ich in jedem Jahr vor den Vereinten Nationen. 1985 kam Gorbatschow. Bald schon rief ich dazu auf, ihn ernst zu nehmen und eine historische Chance nicht zu versäumen.
1989 war sie da, in der DDR brodelte es, vor allem nach der gefälschten Kommunalwahl.
Immer mehr DDR-Flüchtlinge kamen in unsere Botschaften. Ich lehnte das DDR-Verlangen ab, sie schließen zu lassen. Über Ost-Berliner Rechtsanwälte hatte sich ein Verfahren entwickelt, das ihnen dann die Ausreise ermöglichte, wenn sie für einige Monate in die DDR zurückkehrten. Nachdem durch die mutige Entscheidung der ungarischen Regierung die ungarisch-österreichische Grenze am 11. September geöffnet wurde, schloss sich die tschechisch-ungarische Grenze. Die Zahl der Flüchtlinge in Warschau, aber vor allem in Prag, wurde größer und größer. Die damalige tschechoslowakische Führung machte zur Voraussetzung der Ausreise eine Zustimmung der DDR-Regierung.
Gesundheitlich war ich in einer miserablen Verfassung. Zuerst ein chirurgischer Eingriff im Nierenbereich, dann am 20. Juli ein Herzinfarkt. Die Verhandlungen mit der ungarischen Regierung konnte ich nur durch persönliche Mitarbeiter mit dem Außenminister Gyula Horn führen, bis es schließlich am 25. August 1989 im Schloss Gymnich zu dem Zusammentreffen von Bundeskanzler Kohl und mir mit Ministerpräsident Németh und Außenminister Horn kam.
In Prag gab es keine Fortschritte. Keineswegs genesen, ging es am 24. September 1989 nach New York. An meiner Seite meine Frau und zwei Kardiologen, mit bedenklichem Stirnrunzeln. Aber ich musste nach New York, dort würde ich DDR-Außenminister Oskar Fischer sprechen können und auch den sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse. Zu Fischer hatte sich im Laufe der Jahre ein zwar kühles, aber respektvolles Verhältnis entwickelt, mit Schewardnadse war längst eine persönliche Vertrautheit entstanden.
Zuerst traf ich Fischer. Ich legte ihm die Lage dar. Es waren schon etwa dreieinhalbtausend Menschen in der Prager Botschaft. Ich verwies auf die katastrophalen Unterbringungsmöglichkeiten und auf die Probleme, die entstehen, wenn so viele Menschen, Männer, Frauen und Kinder auf engstem Raum zusammengedrängt sind. Er verwies auf die bisherigen Regelungen: Anwaltliche Vertretung, Rückkehr in die DDR und Ausreise nach mehreren Monaten. Ich sagte ihm, dazu sei niemand mehr bereit, es müsse ein direkter Weg gefunden werden.