Zum Inhalt springen

Erfolgsrezepte von Start-up-Profis Stur und schnell nach oben

Besessen und zielstrebig müssen sie sein, zu viel Fachwissen schadet meist nur: Ein neues Buch analysiert, wie junge deutsche Gründer ihre Internet-Firmen zum Erfolg geführt haben. Wie tickt der ideale Start-up-Chef und welche Charakterzüge braucht er? Sechs Antworten.

Hamburg - Spätabends muss sich Sebastian Bärhold plötzlich rechtfertigen. Am Telefon ist ein Mann, der ihm vorwirft, Geld aus Pakistan und Indien in die Schweiz zu schieben. Dabei betreibt Bärhold eigentlich ein wesentlich freundlicheres Business: Er ist einer der sechs Gründer des Online-Diensts Amiando, über den Nutzer Partys und Events planen.

Unangenehmerweise ist der Anrufer einer von Bärholds wichtigsten Geschäftspartnern. Der Mann wickelt die meisten Kreditkartenzahlungen für Amiando ab - ohne ihn würde der Betrieb schnell im Zahlungschaos versinken.

Nun will der Geschäftspartner binnen 48 Stunden kündigen, falls er keine Erklärung dafür bekommt, warum er auf einmal lauter Zahlungen aus exotischen Ländern ausführen muss.

Bärhold hat gerade das Asien-Geschäft angekurbelt - ohne zu bedenken, dass der sprunghafte Anstieg von Überweisungen im Ausland den Risikoalarm beim Partner auslöst. Es bedarf einiger Anstrengung, das Missverständnis zu klären.

Stresssituationen wie diese sind für viele Gründer von Start-ups Alltag. New-Economy-Unternehmer wie Lars Hinrichs (Xing), Lukasz Gadowski (Spreadshirt) oder Jens Schumann (Tipp24  ) haben allesamt Momente durchlebt, in denen das Geschäft, das sie über Monate mühsam aufgebaut hatten, plötzlich wegen eines Details vor dem Scheitern stand. Letztlich haben sie die Probleme gemeistert - binnen Jahren bauten sie ihre IT-Buden zu Aktiengesellschaften auf, die auch die Krise der Web-Wirtschaft überlebten.

Es gibt bestimmte Erfolgsfaktoren, die den Aufbau eines Start-ups begünstigen. Welche, hat Torsten Oelke in einem Buch zusammengetragen. 13 erfolgreiche Start-up-Macher hat er porträtiert und eine Reihe Eigenschaften gefunden, mit denen man im Büroalltag eines Konzerns anecken würde. Und er hat festgestellt, dass Gründer diese Eigenschaften bisweilen gezielt einsetzen, um typische Hindernisse zu überwinden.

Wie ticken Gründer? SPIEGEL ONLINE hat aus 13 Erfolgsstorys die Eigenschaften des idealen Start-up-Chefs abgeleitet:

Ignoranz als Sorgenbrecher

Als Jens Schumann 1999 den Online-Lotto-Dienst Tipp24 gründete, hatte er weder Ahnung von Lotto noch vom Programmieren einer Web-Seite. Dennoch trommelte er, schon während er die Grundlagen seines Dienstes lernte, bei Risikokapitalgebern für seine Geschäftsidee. Mit Erfolg: Begünstigt durch den New-Economy-Boom fand er, ohne Zeit zu verlieren, Kapitalgeber. Heute hat Tipp24   mehr als 150 Mitarbeiter, ist an der Börse notiert.

Für Buchautor Oelke ist das ein typischer Unterschied zwischen einem Gründer und einem Angestellten. "Ein klassischer Beschäftigter erlernt einen Beruf und übt diesen dann aus", sagt er. "Ein Gründer dagegen stampft eine Firma auch dann aus dem Boden, wenn ihm das Thema zunächst fremd ist."

Schuman selbst ist sogar der Ansicht, dass Ignoranz gegenüber möglichen Problemen bei der Unternehmensgründung hilfreich sein kann - sofern man sein Unwissen als Sorgenbrecher einsetzt. "Natürlich muss ich bedenken, welche großen Probleme mein Start-up bekommen kann und mit welchen Konzernen ich mich anlege", sagt Schumann. "Ich muss aber auch die Fähigkeit besitzen, meine Sorgen wieder auszublenden - sonst wird es schwer, überhaupt etwas in Angriff zu nehmen."

Narzissmus als Mutmacher

Um den Stress einer Firmengründung auf sich zu nehmen benötigt man offenbar eine Dosis Narzissmus, zumindest in Bezug auf die eigene Idee. Oelke mag diesen Begriff allerdings nicht, er spricht von einem "gesunden Selbstbewusstsein".

Jedenfalls muss ein Gründer die eigene Idee als so erfolgversprechend erachten, dass er damit das unternehmerische Abenteuer wagt. "Um ihre Idee zu verwirklichen, geben die meisten Gründer schließlich eine Menge auf", sagt Oelke, "eine mehr oder weniger gut bezahlte Festanstellung beispielsweise und den damit verbundenen gesellschaftlichen Status."

Hinzu kommen oft schnippische Bemerkungen aus dem Freundeskreis. "T-Shirts bedrucken und übers Internet verkaufen? Funktioniert sowieso nicht!", musste sich beispielsweise Lukasz Gadowski immer wieder anhören.

Als Reaktion auf solche Sprüche gibt sich der Gründer des Online-Dienstes Spreadshirt, bisweilen spleenig - zumindest dann, wenn es seinem Produkt zugute kommt. Bei Investoren und Geschäftspartnern sind seine Partys beliebt. An deren Ende überreicht er seinen Gästen T-Shirts auf denen steht "Ich war dabei und so", und auf offiziellen Empfängen schießt er bisweilen Paparazzo-Fotos von sich und anderen Prominenten und veröffentlicht diese auf der Bilder-Community Flickr. Aktuell beschäftigt die Firma mehr als 250 Mitarbeiter in Europa und den USA.

"Mit Sicherheit ist gelegentliche Respektlosigkeit ein Beiprodukt dafür, dass man am Anfang mit seiner Geschäftsidee auf erhebliche Widerstände stößt", sagt Oelke. Manche behaupten, Gadowskis Geheimnis sei es, dass er seine Attitüde gezielt zur Werbung für das eigene Produkt einsetzt. "Gadowskis öffentliche Ausraster sind vor allem Guerilla-Marketing", sagt einer, der ihn kennt. Privat sei der Jung-Unternehmer wesentlich zurückhaltender.

Der Steve-Jobs-Faktor

Autor Oelke hat wesentlich mehr Gründer interviewt als in seinem Buch vorkommen. Bei Unternehmern, die mit ihrer Idee gescheitert sind, machte er nach eigenen Angaben immer wieder dieselbe Beobachtung: Fast immer antworteten sie, ihre Idee sei nach wie vor richtig - nur hätten bei ihrer Verwirklichung die Umstände nicht gestimmt.

"Viele haben damit sogar recht", sagt Oelke. "Tatsächlich sind diverse Geschäftsmodelle der New Economy vor allem daran gescheitert, dass Internet, eCommerce, Breitband oder Nutzerverhalten sich weniger schnell entwickelt haben als erhofft."

Doch auch bei weniger durchdachten Ideen schade ein gewisser Starrsinn nicht. Denn Investoren für sein Start-up überzeugt man am besten mit der eigenen Überzeugung.

Bestes Beispiel dafür ist Steve Jobs. Der momentan wegen Krankheit beurlaubte Apple-Chef (siehe Fotostrecke oben) ist für seine ausgefeilten Präsentationen bekannt - und für die eigene Überzeugung, dass seine Produkte die besten der Welt sind. Diese Überzeugung trägt er so stark nach außen, dass ihm nachgesagt wird, er könne ein sogenanntes Reality Distortion Field  erzeugen, mit dem sich im Grunde alles verkaufen lässt.

Der Kunde als Kompass

Die Steve-Jobs-Technik hat nur einen Nachteil: Investoren lassen sich von ihr vielleicht überzeugen - die Kundschaft ist dagegen oft gnadenlos. Und so hat auch Oelke festgestellt, dass nur jene Gründer erfolgreich sind, die zwar von ihrer Idee überzeugt sind, gleichzeitig aber flexibel genug bleiben, Details ihres Geschäftsmodells ständig an die Anforderungen ihrer Nutzer anzupassen.

Gerade Start-ups haben dazu die Chance, weil sie unmittelbar Feedback bekommen - und bei Bedarf schnell reagieren können. "Viele Web-Dienste sind letztlich mit etwas ganz anderem erfolgreich geworden als ursprünglich geplant", sagt Oelke.

Oliver, Alexander und Marc Samwer wollten beispielsweise mit dem Dienst Jamba ein Wap-Portal gründen - eine Art zentrale Informationsseite für das mobile Internet. Doch schnell merkten sie, dass der mobile Markt für diese Idee noch nicht reif war. Nur für die Klingeltöne auf ihrem Portal gab es eine rege Nachfrage. Also stellten sie kompromisslos um - und schafften dadurch in Deutschland einen Millionenmarkt.

Lars Hinrichs, Geschäftsführer des Online-Kontaktnetzwerks Xing, verfolgte den Nutzeransatz noch konsequenter. Er stellte sein Portal online und fokussierte es sukzessive auf die Dienste, die seine Nutzer besonders stark in Anspruch nahmen. Mehr als die Hälfte der Xing-Funktionen ließ er sogar erst auf Kundenwunsch programmieren.

Warum gute Gründer wie Obama sind

Werden die Weichen für das eigene Geschäft richtig gestellt, geht oft alles ganz schnell. Xing beispielsweise war schon nach drei Jahren an der Börse, der Online-Lotto-Dienst Tipp24 hatte nach drei Jahren mehr als hundert Mitarbeiter. "Start-ups vollziehen oft in kurzer Zeit dieselbe Entwicklung, für die Dax-Konzerne früher Jahrzehnte gebraucht haben", sagt Oelke.

US-Präsident Obama: Keine Angst vor kompetenten Mitarbeitern

US-Präsident Obama: Keine Angst vor kompetenten Mitarbeitern

Foto: REUTERS

Das Tempo, in dem die Firma wächst, übersteigt damit aber auch das Tempo, in dem die Fertigkeiten des Gründers sich entwickeln. Um mit dem eigenen Unternehmen trotzdem standhalten zu können, halten es gute Gründer daher ähnlich wie Barack Obama.

"Man darf keine Angst haben, Leute einzustellen, die besser sind als man selbst", sagt Oelke. Auch der US-Präsident habe ein Team profilierter Experten um sich versammelt, um der rapide abstürzenden Weltwirtschaft etwas entgegenzusetzen.

Anders als beim US-Regierungschef gilt: "Die Position des Gründers kann in den ersten Jahren meist gar nicht neu besetzt werden", sagt Oelke. "Niemand kennt das Geschäft so gut wie er." Somit sei es möglich, Leute ins Unternehmen zu holen und zu führen, die besser sind als man selbst.

Das Ego zähmen

Es gibt allerdings einen Punkt, an dem sich jeder Start-up-Chef schonungslos fragen muss, ob er den eigenen Aufgaben wirklich noch gewachsen ist. "Viele Gründer sind vor allem in der meist chaotischen Aufbauphase eines Unternehmens gefragt", sagt Oelke. Wird das Start-up sehr schnell sehr groß, komme irgendwann der Punkt, an dem eine erfahrene Führungskraft das Ruder übernehmen sollte. Nur die wenigsten Gründer seien gleichzeitig auch gute Manager.

Viele Start-up-Chefs merken das selbst. Craig Newmark etwa, Erschaffer des Online-Anzeigendienstes Craigslist, übergab die Führung nach fünf Jahren an seinen Chefprogrammierer Jim Buckmaster. "Ich hatte bemerkt, dass Jim die Dinge besser managte als ich", kommentierte er die Ablöse schlicht. Ross Mayfield, Gründer des Start-ups Socialtext, suchte sogar via Blog seinen Nachfolger für den CEO-Posten.

Auch Norbert Stangl, früherer Chef des Online-Bezahldienstes Click and buy, gab, wie er SPIEGEL ONLINE mitteilt, "auf eigenen Wunsch" die Führung des Unternehmens ab. Seit Anfang Dezember leitet nun Charles Fränkl, ein Manager mit 25 Jahren Berufserfahrung, das operative Geschäft. Stangl bestimmt aber weiter die Strategie. Fränkl hat allerdings kürzlich angekündigt, Click and buy stärker fokussieren zu wollen - offenbar wurden unter Stangls Führung zu viele Märkte gleichzeitig angegangen.