StartseiteRegionalRegion TuttlingenTuttlingenTuttlinger Medizintechnik kämpft gegen EU-Verordnung

Technologiemanagement

Tuttlinger Medizintechnik kämpft gegen EU-Verordnung

Tuttlingen / Lesedauer: 4 min

Europäische Union will die Zulassung von Produkten neu regeln – Firmen sehen teilweise Existenz gefährdet
Veröffentlicht:22.01.2013, 10:35

Von:
Artikel teilen:

Es gehe um Tausende bisher sichere Arbeitsplätze, sagt Martin Leonhard , Bereichsleiter für Technologiemanagement bei Karl Storz. Die Folgen wären zum Teil existenzgefährdend, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Thomas Albiez. „Diese Verordnung ist für uns so einfach nicht tragbar“, fasst es Regina Müller, Assistentin der Geschäftsführung beim Medizintechnik-Händler Ceatec in Wurmlingen, zusammen.

Die Medizintechnikbranche der Region ist in Aufruhr. Grund ist eine geplante EU-Verordnung für Medizinprodukte, die ab 2014 gelten soll. Noch ist nichts beschlossen, ein 200 Seiten starker Entwurf vom September wird derzeit diskutiert. Er sieht vor, die Regeln für die Zulassung von neuen Produkten europaweit zu vereinheitlichen und gleichzeitig deutlich zu verschärfen.

Anlass für die neue Verordnung war der Skandal um Brustimplantate eines französischen Herstellers, der statt hochwertigem medizinischen Silikon jahrelang billiges industrielles Silikon verwendete. Tausende Frauen leiden heute an den Folgen.

Lieferkette soll transparent sein

Grundsätzlich begrüßten sie die einheitlichen Regeln, sagen die Medizintechnik-Vertreter aus der Region. Allerdings seien einige Regeln vorgesehen, die ihnen so gar nicht ins Konzept passen. Zum Beispiel möchte die EU , dass alle Hersteller und Händler ihre gesamte Lieferkette offenlegen. Ziel sei es, so heißt es in einer Pressemitteilung der EU, „eine umgehende wirksame Reaktion auf Sicherheitspobleme zu ermöglichen.“ Sollte daraus eine Art Datenbank entstehen, „wäre das für uns ein großes Problem“, sagt Regina Müller von Ceatec. „Wozu bräuchte man uns dann noch?“ Sie vergleicht das Vorhaben mit einer Art „Facebook für die Medizintechnik“.

Hinzu kommt, dass die Prüfung und Dokumentation vieler Medizin-Produkte für die Unternehmen künftig aufwändiger wird. Derzeit müssen neue Produkte von einer sogenannten „benannten Stelle“ bewertet und zertifiziert werden, bevor sie auf den Markt kommen. 15 solcher Stellen sind in Deutschland für Medizinprodukte zuständig, etwa 80 in Europa.

„Alle prüfen nach verschiedenen Standards, jetzt sollen sie vereinheitlicht werden“, erklärte Harald Rentschler von der Prüfstelle MDC, einer der benannten Stellen, bei einer Versammlung mehrerer Unternehmensvertreter in der vergangenen Woche. Das sei durchaus eine positive Entwicklung, weil die Auflagen in Deutschland relativ strikt seien, in anderen Länder dagegen nicht.

Nun sollen diese strikten Auflagen aber noch verschärft werden, außerdem sollen die benannten Stellen unangekündigt Fabriken besuchen und Stichproben untersuchen. Für die Unternehmen bedeutet das: längere Wartezeiten und mehr Arbeit. Problematisch sei das gerade bei kleineren Unternehmen, die für das Qualitätsmanagement dann spezielles Personal einstellen müssten, sagt Regina Müller. Gerade die unangekündigten, kostenintensiven Fabrikbesuche machen vielen Firmen zu schaffen.

Verbraucher an erster Stelle

Die EU hat bei all den neuen Regeln den Verbraucher im Sinn. Er könne sich damit auf die Sicherheit der Produkte verlassen, erklärt sie in einer Pressemitteilung. Und die neuen Regelungen berücksichtigten auch die Bedürfnisse der vielen kleinen und mittleren Herstellerunternehmen in dieser Branche, glaubt die EU.

Eben diese Branche schüttelt in Tuttlingen darüber den Kopf. Sie befürchtet Wettbewerbsnachteile, etwa durch Produkte aus Asien.

Die Initiative Medical Mountains, die sich für die Interessen der Medizintechnikbranche in der Tuttlinger Region einsetzt, will gemeinsam mit den Firmen nun bewirken, dass die EU die Verordnung noch einmal überarbeitet. Zwei Treffen mit betroffenen Unternehmen haben bereits stattgefunden, es seien „starke Diskussionen mit viel Interesse“ zustande gekommen, sagt Clustermanagerin Yvonne Glienke. Jetzt sollen kleine Arbeitsgruppen ein Positionspapier erarbeiten – und das wiederum soll die EU davon überzeugen, dass die Industrie vor Ort ein Wörtchen mitzureden hat.

Andreas Schwab (CDU), Abgeordneter für den Wahlkreis im EU-Parlament, sieht übrigens gute Chancen, dass die Vorschläge der hiesigen Industrie in der EU-Verordnung für Medizinprodukte berücksichtigt werden. „Unsere Argumente sind überzeugend“, sagte er gegenüber unserer Zeitung. Es gelte, den Entscheidern klarzumachen, dass „eine Hüfte aus Porzellan nicht denselben Anforderungen unterliegen muss wie Silikonimplantate“. Demnächst will er EU-Gesundheitskommissar Tonio Borg in die Region holen.

www.medicalmountains.de