Bernd Zeller / 18.01.2009 / 21:39 / 0 / Seite ausdrucken

Wie aus Links Faschistisch wurde

Wer seine Einstellung als links bezeichnet, müsste eine Jahreszahl dazusagen, um klarzustellen, im Sinne welcher Zeit das Links gemeint ist. Was heute unter die linke Richtung fällt, hätten vor zwei Generationen die damaligen Linken als keinesfalls akzeptabel angesehen. In der Nachtdiskussion wäre es allenfalls um die Frage gegangen, ob die auf den jetzigen Demonstrationen skandierten Parolen mit denen der Nazizeit verwandt oder identisch seien. Nie und nimmer wäre eine Großmaulreligion auch nur als Opium für das Volk gerechtfertigt worden, geschweige denn als tolerabel bezeichnet, das Entsetzen über Unterdrückungskleidung hätte vielleicht die Sprache verschlagen, aber nicht zum Schweigen veranlasst.
Nun tendieren alle Ideologien dazu, an die Stelle dessen zu treten, was sie ursprünglich bedeuteten, und zur Rhetorik zu werden. Eine komplette inhaltliche Umkehrung indes ist selten. Zwar hegten linksintellektuelle Kreise schon immer eine gewisse Sympathie für despotische Herrscher, die sympathischerweise woanders herrschten, spürte man doch eine geistige Nähe zum absoluten Anspruch auf Durchblick, doch legte man Wert darauf, dass deren Propaganda in Richtung Wohl der Menschheit ging. Die Hamas-Kollaborateure können dies nicht behaupten. Sie behaupten es natürlich trotzdem, aber defensiv; sei doch die Hamas nicht nur die Hamas und außerdem die Vorgeschichte. Warum sie das tun, ist nicht ausreichend erklärt mit dem Schuldgefühl, das man den Juden nicht verzeiht. Dies würde nicht für die ausgeübte Vehemenz reichen.
Den Vorwurf des Antisemitismus empfinden die linken Israelfeinde als schreiend ungerechte Beleidigung, denn sie verstehen ihn nicht. Sie sind tatsächlich nicht dem Grunde nach antisemitisch. Nur der Wirkung nach. Es gehört zum linken Basisprogramm, virtuellen Wert darauf zu legen, wie man etwas meint, nicht auf Wirkungen und schon gar nicht auf die damit zusammenhängende eigene Verantwortung.
Das kam folgendermaßen.

Ursprünglich stand Links für die Bestrebung, das Leben der arbeitenden Volksmassen aus dem Jammertal herauszuführen, und wurde nach der schlimmen Zeit durch diejenigen verkörpert, die aus Gewissen und Selbstachtung gegen das Regime zumindest eingestellt waren. Eine Generation später identifizierte sich die heranwachsende Jugend mit diesen und aktuellen Systemkritikern, musste dafür aber keine allzu hohe Hürde mehr überwinden, war doch die Einstellung inzwischen frei wählbar.
Noch eine Generation später ist das Konzept der Verantwortung selbst in Abstraktion entsorgt. Leute, die sich vielleicht im Job aufreiben, aber noch keinen einzigen Tag gearbeitet haben und kein Gefühl für das eigene verantwortliche Handeln entwickeln konnten, fühlen sich als Volksteil, dessen Wohlbefinden der Maßstab für Politik zu sein hat und die nichts für irgendetwas können. Der Mangel an Selbstachtung führt aber nicht zu dezenter Stille, sondern betrachtet sich als linke Weltanschauung. Ich bin nicht nur im Recht, mein Wellnessdasein ist das Recht; was dagegen steht, ist Unrecht. Das Unter-Ich formuliert daraus eine Meinung.

Da leider die These, die Menschen müssten nur materiell versorgt sein, dann können sie sich zu hohen Denkleistungen aufschwingen, durch nichts belegt ist, wogegen alle hohen Fähigkeiten durch Auseinandersetzung mit Problemen erworben werden, sinkt durch den Mangel an Problemen die Kompetenz zur Lösung. Der intellektuelle Aufwand zielt darauf ab, nichts damit zu tun zu haben. Wenn Zeitungen Fotos von Kindern in neuen, aber markenlosen Klamotten auf Spielplatz vor Wohnblock als Illustration für soziale Notlagen verwenden und wenn man mit Hartz IV besser lebt als in der DDR ein mittlerer Arbeiter, richtet sich die linke gutgemeinte Meinung gegen alles, was schwerer wäre als die billigste aller möglichen Sichtweisen. Das Grundmodell der Meinungsbildung lautet: Was für mich die geringsten Konsequenzen bedeutet, das meine ich.
Die Pfarrerstochter setzt sich nicht mit ihrem Pfarrersvater auseinander, wenn die Forderung nach Auseinandersetzung mit der Vätergeneration viel einfacher ist. Der Täter soll nicht bestraft werden, weil das bedeuten würde, er ist selbst für seine Tat verantwortlich, und wo kämen wir da hin. Leichter kann man die Verantwortung für seine Kinder nicht verschwinden lassen als durch das Postulat der antiautoritären Erziehung.
Die Friedensaktivisten wollen nicht für Frieden agieren, sie wollen nur keinen Zoff. Weniger Zoff ist eindeutig, wenn Israel die Schuld trägt. Deshalb ist diese Meinung zutreffend und wird mit allem Nachdruck verteidigt.
Der Lieblingsslogan der Friedensbewegung lautet: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin.“
„Dann kommt der Krieg zu dir“, geht es bei Brecht weiter. Na und, dann sagen wir eben: „Stell dir vor, der Krieg kommt zu dir, und keiner ist da.“ Etwas anderes müsste eine Verpflichtung nach sich ziehen.

An die eigene Verantwortlichkeit wird man nicht gern erinnert, wie etwa durch die schlimmen Überwachungen und Onlinedurchsuchungen, weshalb solche hysterischen Aktionen was ganz Rechtsstaatswidriges sein müssen. Dass Bush sich den Terror ausgedacht hat, ist die schönere Nachricht als die Bedrohung durch Leute, die das tun, weil sie es wollen.
Problembezirke sind so schön eingegrenzt und meistens woanders, Einzelfälle sind bereits vorbei. Deshalb sind Einzelfälle und Problembezirke die Denkkategorien, in die wir einen eigentlich nicht hinnehmbaren Zustand einordnen.
Leichter als der Schutz von Ayaan Hirsi Ali war, sie zu vertreiben. Das flaue Gefühl dabei bewirkt, sie zu verschweigen. Dass Necla Kelek den schönen Dialog stört, prantlt sich leicht daher, nur deshalb wird diese Auffassung geleitartikelt, sonst hätte man Ärger an der Backe.
Einen Runden Tisch und Gespräche für den Nahost- oder Jugoslawienkonflikt zu fordern, bietet einen Vorteil: Man muss nichts tun. Man braucht nur zu sagen, man soll mit Milosevic oder den Taliban weiter verhandeln. Wie soll das gehen? Vielleicht gar nicht, macht aber nichts, denn zuständig sind andere. Wären solche Verhandlungen möglich, warum konnte dann Schröder nicht mit Bush verhandeln, den Irakkrieg abzusagen? War eben Bush, klar. Auch beim Dialog der Kulturen und Religionen muss man nichts tun. Die Israelflagge vom Deeskalationsamt aus dem Fenster zu reißen, ist die einfachere Lösung. Rechten Busfahrern, nervigen Rentnern oder der weltweiten Globalisierung die Schuld an Gewalttätigkeiten zu geben, bedeutet erst einmal, nicht gegen die Gewalttätigen vorgehen zu müssen.
Der Kampf gegen Rechts ist weder Kampf noch gegen Rechts, aber vor allem eins: völlig ungefährlich. Die Antifa ist nicht einmal ein zur Attitüde verkommener Antifaschismus, sondern eine rhetorische Hülle der Unzuständigkeit. Antideutsch ist leichter als für das Gemeinwesen verantwortlich sein. Billiger geht es nicht.
Anspruchsloser als das eigene Leben in den Griff zu kriegen, ist der Kampf für Windmühlen und eine Gesellschaft, in der das eigene Leben so ist, wie man es sich wünscht.

An „Religion des Friedens“ stimmt eigentlich nur „des“, aber das ist deren Problem, nicht unseres, wir sagen nichts dagegen, sonst setzt es was, wir glauben es also wirklich, auch ohne damit übereinzustimmen, und opfern lieber Dänemark, als unseren Frieden stören zu lassen.
Was würde bei uns geschehen, wenn beispielsweise Flensburg von Dänemark aus mit von der dortigen Hamas gebastelten Raketen beschossen würde? Man würde die Ursachen der Verbitterung betrachten und das rechte Wählerverhalten in Schleswig-Holstein anprangern, anschließend die mutmaßlichen Forderungen nach Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan übernehmen.

Toleranz nützt nicht den Gewaltsamen, denen ist die Toleranz der Linksspießer ziemlich egal, sie nützt den Toleranten. Kampf der Kulturen, so etwas würde uns einen Einsatz abverlangen, deshalb ist dieser Begriff eine böse Hetze. Nicht mit uns. Bei uns gibt es nichts zu verteidigen, nichts zu holen. Wer etwas anderes behauptet, bedroht unseren Frieden.
Dass Seyran Ates den Linken verklickern möchte, dass deren Auffassung von einer herkunftsgemäßen Kultur rassistisch ist – auf so eine Idee kann auch nur eine Frau kommen. Sie wird damit nur Unverständnis ernten. Rassistisch ist, was uns nicht passt.
Deshalb versagt die Linke, wenn es um die Abwehr eines neuen totalitären Herrschaftssystems gehen müsste, indem man ihm eine Kraft des Individuums und eine Kultur der Freiheit entgegensetzt. Wer sich unter solchen Begriffen nichts vorstellen kann, empfindet diese Forderung als bedrohlich und die Feststellung des Zustands als böse.
Man kann diesen Leuten gar nichts anderes zumuten. Der Job von Versagern ist zu versagen.

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