Zum Inhalt springen
SPIEGEL ONLINE

Umstrittener Zeitungsbeitrag Lötzsch ließ Passagen in Kommunismus-Text tilgen

Linken-Chefin Gesine Lötzsch gerät wegen ihres umstrittenen Kommunismus-Beitrags immer stärker in die Kritik. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE lieferte der linke Philosoph Michael Brie der Vorsitzenden Textentwürfe - davon wurden jedoch wichtige Passagen gestrichen.

Gesine Lötzsch

Die Linke

Wer , Vorsitzende der Partei , danach fragt, wer ihren Text "Wege zum Kommunismus" verfasst hat, der bekommt eine Standardantwort, so auch der SPIEGEL vergangene Woche. "Bei dem von Ihnen angesprochenen Beitrag von Gesine Lötzsch in der "Jungen Welt" handelt es sich um einen in Vorbereitung auf die Rosa-Luxemburg-Konferenz von der Zeitung angeforderten Namensartikel", teilte Pressesprecher Alexander Fischer mit. "Die Autorin ist selbstverständlich Gesine Lötzsch."

Das ist nicht die ganze Wahrheit: Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE wurde im November der Philosoph Michael Brie um die Zuarbeit für einen Zeitungsbeitrag gebeten. Michael Brie, der jüngere Bruder von André Brie, ist Reformsozialist und der theoretische Kopf der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Seine Haltung zum bolschewistischen Terror brachte ihm schon häufig Streit mit den Stalinisten in der Linken ein. Er gilt als einer, der sich in seinen Worten und Schriften klar von den Verbrechen im Kommunismus distanziert. Seine Haltung findet sich in vielen Aufsätzen wieder. So schrieb er 2006 in einem Text unter der Überschrift: "Was hätte Rosa gesagt?":

"Es gab in der Linken immer eine Strömung, die um der Erreichung sozialer Ziele (Herstellung einer bestimmten Eigentumsordnung, Durchsetzung sozialer Gleichheit, Umverteilung nach unten) bereit war, die politische Freiheit einzuschränken oder ganz zu unterdrücken. Dies ist die Tendenz zu einem sozial orientierten Autoritarismus, die in eine sich sozial legitimierende Diktatur übergehen kann und historisch auch übergegangen ist. Und diese Diktatur ist dann wiederum unter bestimmten Bedingungen in eine totalitäre Herrschaft umgeschlagen, die die Menschenvernichtung im Namen des Sozialismus einschloss."

Kommunismus

Auch für Lötzsch formulierte Brie nach SPIEGEL-Informationen deutliche Worte. Vom Terror war die Rede, von jenem "Terror der Bolschewiki", von dem sich Rosa Luxemburg distanziert hatte. Kein Wort stand in Bries Entwurf hingegen vom .

"Wir sind keine kommunistische Partei!"

Doch zwischen Bries Abgabe und der Veröffentlichung geschah Seltsames, der Hinweis auf den Terror wurde getilgt. Stattdessen wurde der Brie-Entwurf verwässert und mit eben jenem Vorspann zum Kommunismus versehen, der nun so heftige Debatten auslöst. In der Luxemburg-Stiftung wunderten sich Bries Kollegen, die von der Bitte der Vorsitzenden wussten, einen Textentwurf auszuarbeiten. Intern soll sich Brie erklärt haben. Auf Anfrage wollte er sich zu dem Vorgang nicht äußern.

Konfrontiert mit den Recherchen zur Brie-Zulieferung, sagte Gesine Lötzsch SPIEGEL ONLINE: "Ich habe mir natürlich zuarbeiten lassen, ich äußere mich aber nicht zu Bearbeitungsschritten. Es ist doch logisch, dass man Zuarbeiten nicht eins zu eins umsetzt." Seit Tagen müht sich die Linken-Vorfrau, aus der Defensive zu kommen.

Am Montag unternahm sie einen neuen Versuch. Ihre Fraktion lud zum politischen Jahresauftakt in die Kongresshalle am Berliner Alexanderplatz. Bevor es losging ließ sie sich vor dem realsozialistischen Bildfries nebenan am "Haus des Lehrers" ablichten: Im Hintergrund Bilder aus dem pseudo-glücklichen DDR-Alltag, im Vordergrund die Parteivorsitzende, ganz in schwarz gekleidet, die Arme verschränkt.

Gesine Lötzsch zeigte sich an diesem Nachmittag ein bisschen wütend. Eine "üble Diffamierungskampagne" witterte sie. Mit Haut und Haar sei sie Demokratin. Und die Linke? "Wir sind keine kommunistische Partei!" Im Saal waren rund 800 Leute, nahezu ausschließlich Rentner, die tapfer applaudierten. "Wir brauchen eine andere Gesellschaft", rief Lötzsch. Und nein, damit meine sie nicht den Kommunismus: "Wir brauchen den demokratischen Sozialismus."

Diesen demokratischen Sozialismus und eine "radikale Realpolitik" hatte sie zwar auch schon in ihrem umstrittenen Beitrag für die "Junge Welt" gefordert. Allerdings hatte sie den Text mit einer Betrachtung über die "Wege zum Kommunismus" eingeleitet - die man nur finden könne, "wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung".

Lötzsch will nichts zurücknehmen

In der Kongresshalle vor der Stammbelegschaft hielt die 49-Jährige ihren Kritikern vor, dass man den Begriff des Kommunismus doch nicht einfach aus dem Sprachgebrauch streichen könne, "weil dann keine kritische Auseinandersetzung mehr möglich ist". Dabei hatte sie doch in ihrem Aufsatz just auf die Beleuchtung der blutigen Geschichte des Kommunismus, etwa den Terror der Bolschewiki, verzichtet. In der veröffentlichten Version erwähnte Lötzsch allein, dass sich der "sowjetische Parteikommunismus" nicht mit Rosa Luxemburg habe "versöhnen" können.

Sie will nichts zurücknehmen - und das kam auch in der Berliner Kongresshalle an. "Die Regierenden in der Bundesrepublik sehen das Wort Kommunismus und sagen Stalin, Tod, Vernichtung", sagte ein älterer Zuhörer. "Ich könnte auch sagen: Faschismus, Kapitalismus, Tod, Vernichtung."

So versuchten es auch Lötzsch und Co. an diesem Nachmittag mit einem Entlastungsangriff auf das andere böse K-Wort: den Kapitalismus. Der löse doch keine Probleme, sagte der sehr engagiert auftretende Fraktionschef Gregor Gysi, der Lötzsch in den Tagen zuvor wegen ihres Namensbeitrags noch kritisiert hatte: nicht das der Armut, nicht das der Bildung und nicht das der Ökologie. Lötzsch warnte noch davor, mit sozialistischer Politik "in homöopathischen Dosen" den Eindruck zu vermitteln, dass eine Verbesserung auch im und mit dem Kapitalismus möglich sei.

Dann aber stellten sie erst mal ihre sieben Spitzenkandidaten für die Landtagswahlen im Deutschland des Jahres 2011 vor. "Wenn wir wirklich etwas taugen, dann müssen wir diese Wahlen erfolgreich gestalten", sagte Gysi.

Der Kapitalismus muss noch ein wenig auf seine Abschaffung warten.