Zum Inhalt springen
Fotostrecke

Karriereverweigerer: Talente verzichten auf Führungsanspruch

Foto: Boris Schmalenberger

Aufstiegsverweigerer Karriere? Ohne mich!

Dickes Gehalt und Macht? Ach, lass mal... Konzerne machen gerade die verblüffende Erfahrung, dass viele Einsteiger die klassische Karriere meiden: kaum Freiraum und Freizeit, zu viel Druck, zu öde. Sie suchen anderswo ihr Glück. Oft gehen ausgerechnet die Talentiertesten.

Konstantin Korotov, Hochschullehrer an der European School of Management and Technology (ESMT), ist ein Mensch, der dem Leben im Grundsatz und seinem Beruf im Speziellen mit Freude begegnet. Seit einiger Zeit aber häufen sich Erlebnisse, die ihn an seiner Profession leicht zweifeln lassen.

Korotov leitet das "Center for Leadership Development Research", er trifft all die jungen Talente, die von ihren Firmen an die Berliner Kaderschmiede geschickt werden, zwecks Veredelung zu Führungskräften. Es sind die Goldfische der Unternehmen, diejenigen, denen man mehr zutraut als die Sachbearbeiterebene. Doch ausgerechnet von diesen Positivselektierten, sagt Korotov, kommt seit einigen Monaten verstärkt die Frage: "Ist es auch okay, gar keine Führungsposition anzustreben?"

Die Frage wurde Korotov mittlerweile so oft gestellt, dass er beschloss, dem Rätsel der führungsunwilligen Topkräfte mit den Mitteln der Wissenschaft zu Leibe zu rücken. In einer Studie will er klären, welche Charakterzüge die Freude am Führen begünstigen. Ergebnisse sollen zum Jahresende vorliegen. Bereits jetzt ist klar: "Die Scheu vor Verantwortung ist ein größeres Phänomen, mit dem sich die Unternehmen werden auseinandersetzen müssen."

Schon Bankierslegende Alfred Herrhausen bemerkte trocken: "Führen muss man wollen." Immer mehr wollen aber nicht mehr, zumindest nicht im traditionellen Sinn.

Stefan Lang, 28, Bachelor in Wirtschaftsrecht, Master mit Schwerpunkt Steuerrecht, arbeitete zweieinhalb Jahre in der Grundsatzabteilung von Ernst & Young. Dann hatte er genug von langen Arbeitszeiten, langwierigen Prozessen und der langsamen Entfremdung von seinem Kind, das ihn manchmal nicht mehr erkannte, wenn er es am Wochenende endlich sah. "Der Spagat zwischen Job und Familie war sicher der Hauptgrund für den Wechsel", sagt Lang heute. "Dazu kam der Wunsch, selbst etwas bewegen zu können, statt nur kleines Rädchen zu sein."

"Generation Y" als Spitze der Karriereverweigerer

Der Wirtschaftsjurist heuerte im vergangenen Sommer bei Itzebitz als kaufmännischer Leiter an, einem Betreiber von Kindertagesstätten im Großraum Stuttgart, der über schnellem Wachstum den Aufbau professioneller Strukturen vernachlässigt hatte. Langs Freunde erklärten ihn für verrückt, mit seiner Frau musste er über die zu erwartenden finanziellen Einbußen sprechen, der geplante Hausbau wurde aufgeschoben.

"Mir war klar, dass ich mich bewusst gegen Karriere entschieden hatte", sagt Lang. Noch nicht mal die Arbeitszeit sank. Dafür kann er jetzt seine Zeit freier einteilen, den Sohn öfter von der Kita abholen oder seine Frau entlasten, die ein zweites Kind erwartet. Und: "Ich kann etwas aufbauen, wo ich den Erfolg sofort sehe. Das ist unheimlich befriedigend."

Unter Führungskräften gärt es. Und, schlimmer noch, unter denen, die demnächst welche werden sollten. Bei vielen Beschäftigten wächst der Unmut über das klassische, am hierarchischen Aufstieg orientierte Karrieremodell. Zu starr erscheint es vielen, mit zu viel Ergebnisdruck und interner Politik und zu wenig Zeit für Familie und Freunde. Der Unmut ist in den großen Konzernen zu spüren; in Überfliegerkanzleien, wo längst nicht mehr jeder Einsteiger Partner werden will; unter Oberärzten, die oft nur noch halbherzig um den Chefarztposten rangeln; ja selbst an Schulen, wo es zunehmend schwieriger wird, die undankbare Position des Rektors zu besetzen.

Privatleben siegt über Leistungsdruck

"Gerade unter Jüngeren, die an ihren Eltern sehen, wie anstrengend Karriere sein kann, ist der klassische Weg einfach nicht mehr cool", sagt Heinrich Wottawa, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Uni Bochum. In einer von ihm betreuten Studie zeigte sich, dass der Anteil männlicher Absolventen, die eine Führungsaufgabe übernehmen wollen (und das Zeug dazu haben), von einem Drittel im Jahr 2003 auf 23 Prozent im Jahr 2010 gesunken ist. Dickes Gehalt, Macht - ach, lass mal. Null Bock 2.0.

Die "Generation Y", geboren zwischen 1981 und 1994 und wie Lang gerade in den Beruf eingestiegen, steht an der Spitze des Vormarschs der Karriereverweigerer. Sie kombiniert ihr Interesse an mehr Work-Life-Balance mit einer prinzipiellen Skepsis gegen Geführtwerden und Führen. "Sie hat einen ganz anderen Blick auf Autoritäten", sagt die Personalberaterin Sophia von Rundstedt. "Es wird eine Herausforderung werden, ihren Fokus konstant auf Leistung zu richten."

Fotostrecke

Gang runterschalten: Die Generation Y und die Karriere

Foto: manager magazin

Aber auch ältere Semester suchen nach Abzweigen vom herkömmlichen Karrierepfad. In einer Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands (ULA), deren Ergebnisse manager magazin exklusiv veröffentlicht, gaben 59 Prozent der zumeist bereits einige Jahre im Berufsleben stehenden Befragten an, ihr Wunsch nach hierarchischem Aufstieg habe in den vergangenen fünf Jahren abgenommen. Mehr als zwei Drittel wollen sich "mehr Zeit für Familie und Privatleben" nehmen (siehe Fotostrecke).

Wer also will noch Chef werden? Natürlich werden uns die Vorgesetzten nicht übermorgen ausgehen. Die Frage ist eher: Welche Motive haben die Karriereverweigerer, denen auch der klassische Aufstieg offengestanden hätte? Und wie müsste Führung organisiert werden, um wieder attraktiver zu sein?

Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf dem Sonnendeck

Für sich persönlich hat Martin Steinmetz, 42, schon vor langer Zeit Antworten gefunden. Als Hauptreferent für Patentfragen ist der Physiker Topexperte rund um Patentanmeldungen und -verletzungen bei Bosch. Als er 1998 im Einstellungsgespräch gefragt wurde, wo er sich in fünf Jahren sehe, lautete seine Antwort noch forsch: "Ich will Abteilungsleiter werden."

Schon bald aber ahnte Steinmetz, "dass ich keine glückliche Führungskraft werden würde". Die zahllosen Koordinierungstreffen, die Personalgespräche, die unflexiblen Zeiten - nicht sein Ding. Dabei gab es immer wieder Angebote für Führungsjobs, intern wie extern, doch Steinmetz winkte ab. "Ich wollte immer viel Ahnung von Dingen haben, mich richtig in die Materie vertiefen. Als Manager geht das nicht." Steinmetz' Frau ist Kirchenmusikerin, sie haben drei Kinder, das erste kam kurz nach dem Studium - Arbeiten bis in die Nacht, Auslandsstationen gar machte das nicht einfacher.

Anstatt mit jeder Hierarchiestufe also mehr Mitarbeiter führen zu müssen, schlug Steinmetz die Expertenlaufbahn ein, die Bosch seit vielen Jahren anbietet. "Führungs- und Fachpfad laufen parallel und sind gleichgestellt bei Gehaltsbändern und sonstigen Leistungen", sagt Personalgeschäftsführer Christoph Kübel. "Die Fachleute haben bei Fachentscheidungen sogar ein Vetorecht."

Auch die Experten können sich bei guter Leistung weiterentwickeln. Steinmetz wurde kürzlich zum Hauptreferenten befördert, dem Äquivalent zum Abteilungsleiter auf dem Führungspfad. "Aber viel Administratives bleibt mir erspart, und ich kann meine Kinder zur Schule fahren, weil ich nicht ständig von einem Meeting ins nächste muss."

Nicht weniger arbeiten, aber selbstbestimmter

Etwas mehr Zeit für sein Hobby, das Fliegen, bleibt obendrein. Obwohl auch die Fachkarriere längst nicht nur auf dem Sonnendeck des Joblebens stattfindet: Steinmetz bildete sich in seiner Freizeit weiter, machte einen Master in Jura und legte die Prüfungen zum Patentanwalt ab, um auch für Tochtergesellschaften von Bosch vor Gericht streiten zu können. "Die fachlichen Auseinandersetzungen machen mir mehr Spaß, als mit 20 Mitarbeitern Gehaltsgespräche zu führen." Das gleiche Muster wie bei Stefan Lang: nicht weniger, aber selbstbestimmter arbeiten.

Während Bosch schon seit vielen Jahren mit Fach- und Projektkarrieren operiert, hat das Gros deutscher Firmen erst in den vergangenen fünf Jahren begonnen, die Expertenlaufbahn energisch auszubauen. Klassischer Treiber waren ursprünglich abgeflachte Hierarchien - nicht jeder konnte Chef werden, aber die Experten sollten trotzdem nicht von der Fahne gehen. "Inzwischen ist die Fachlaufbahn auch für Beschäftigte attraktiv, die man eigentlich gern in der Führungsrolle gesehen hätte", bilanziert der auf Expertenlaufbahnen spezialisierte Unternehmensberater Franz Biehal. Eine Entwicklung, die nicht ohne Ironie ist.

Und die absehbar war. Exponiertheit, Getriebenheit, Stress, atemlose Ergebnisverantwortung - was in den Führungsetagen vorgelebt wird, hat so gar nichts mehr vom gelassenen Chef, der souverän die Geschicke seiner Mannschaft zum Besten lenkt. "Führungskräfte von heute suchen den Erfolg, kennen aber auch den Preis: hoher Leistungsdruck und wenig Zeit fürs Privatleben", sagt ULA-Hauptgeschäftsführer Ludger Ramme. "Der Verzicht auf einen weiteren Karrieresprung und die Konzentration auf gute fachliche Arbeit sind ein naheliegender Weg, die Belastung wenigstens konstant zu halten."

Viele Unternehmen in Deutschland haben beschlossen, die Schattenseiten der klassischen Karriere zu ignorieren. Daimler und die Commerzbank etwa mochten sich zu dem Thema nicht äußern; andere verwiesen treuherzig darauf, es gebe keine Probleme, Führungskräfte zu finden.

Führung gilt als dröge, Macht als peinlich

Das mag sogar sein - und erspart den Konzernen die lästige Auseinandersetzung mit den Motiven der Karriereverweigerer: Da sind die Jungen, die mehr Freiraum und Sinn wollen. "Auch weil sie nach den tradierten Maßstäben die Karriere ihrer Eltern oft nicht mehr toppen können", wie Stephan Jansen sagt, Präsident der Zeppelin Universität. "Was soll denn der Sohn eines doppelt promovierten Bereichsvorstands in diesem Spiel noch werden?"

Da sind die "Opting out"-Frauen, die gegen alle Widerstände fast die Spitze in Kanzleien, Konzernen und Beratungen erklommen haben und freiwillig aussteigen, weil ihnen der Kampf gegen männliche Dominanz plötzlich sinnlos erscheint. So wie Anne-Marie Slaughter, ehemals Chefin des Planungsstabs im US-Außenministerium, die ihren Topjob schmiss, um mehr Zeit für ihre Söhne zu haben. Oder die Generation der Vermögensnachfolger, die sich den Führungstort nicht mehr geben muss, weil das Geld auch so reicht, und die Fachlaufbahn oft auch nicht schlechter bezahlt wird.

Doch die wenigsten Karriereverweigerer wollen bloß die Füße auf den Tisch legen oder wochenlang am Golf-Handicap "arbeiten"; vielmehr sind es oft die Talentiertesten, die wie Lang oder Steinmetz zwar zu harter Arbeit bereit sind, nur nicht in den gegebenen Strukturen. Wenn aber Führung als dröge und Macht als peinlich gilt, entsteht rasch eine unerfreuliche Selektion: "Ein negatives Bild einer Berufsrolle zieht dann die entsprechenden Leute an", warnt Psychologe Wottawa.

Als Idealist verspottet: Ein Banker, dessen Herz links schlägt

Als ersten Schritt hat Wissenschaftler Korotov deshalb 900 Führungskräfte in spe aus den ESMT-Weiterbildungsprogrammen nach den Gründen für die Scheu vor dem Aufstieg gefragt. Am häufigsten genannt wurden: keine Lust auf Personalverantwortung, interne Ränkespiele und Administration, gefolgt von "besserer Work-Life-Balance" und "Sorge um den Verlust professioneller Identität".

Dirk Panter, 38, jedenfalls will seine professionelle Identität so schnell nicht wieder aufgeben. Schließlich dauerte es einige Jahre, bis sie ihm überhaupt bewusst wurde. Jahre, in denen der studierte Verwaltungswissenschaftler, gebürtiger Badener, einen Topkarrieretraum lebte: als Banker bei J. P. Morgan. Dicke Spesen, dickeres Gehalt und der Schlafsack im Büro. Work hard, play hard.

Panter galt als Hoffnungsträger, in Beurteilungen gehörte er zum besten Drittel, legte zusätzlich die schwierige Prüfung zum Chartered Financial Analyst ab. Die Beförderung zum Vice President stand in Aussicht. "Ich liebte meinen Job, aber ich fragte mich auch: Ist das schon alles - der Rendite nachjagen?" Die langen Nächte, die interne Routine und die Geburt seines ersten Kindes brachten ihn zusätzlich ins Grübeln.

Mitten ins Sinnieren platzte ein Angebot der SPD, man suchte einen Landesgeschäftsführer, in Sachsen, ausgerechnet. Panter hatte in Leipzig studiert und 1999 im Wahlkampf geholfen. Nun erinnerte sich der Landesverband, finanziell und organisatorisch in der Klemme, des Bankers, dessen Herz links schlägt. Panter machte sich die Entscheidung nicht leicht, sein Gehalt würde gewaltig schrumpfen, die Familie umziehen müssen. Schließlich sagte er zu, im September 2006 fing er an, 2007 wurde er Generalsekretär, 2009 in den Landtag gewählt.

Gestalten schon, aber bitte gemütlich

Wenn Panter redet, klingt der sonnige Singsang Badens durch, doch in der Sache ist er Sozialdemokrat, nicht Sozialromantiker. "Ich bin der meritokratische Typ", sagt er, "mein jetziger Job ist sicher nicht einfacher als der vorherige, auch nicht weniger arbeitsintensiv, aber er schafft gesellschaftlichen Mehrwert." Nicht selten wird er als Idealist verspottet, was die Sache nicht trifft. Panter ist eben einer dieser Menschen, die sich im Organisieren, Entwerfen und Entscheiden wohlfühlen wie ein Elefant während der Staubdusche.

Bei J. P. Morgan war die Herausforderung, klüger und schneller als die klügsten und schnellsten Absolventen zu sein. Bei der Sachsen-SPD ist es das Ziel, tief in der sozialdemokratischen Diaspora doch noch etwas zu reißen. "Strukturen schaffen, Dinge vorantreiben, das reizt mich." Panters professionelle Identität ist die des Machers. Wenn möglich, etwas mit Sinn. Die Bank, allem "Master of the Universe"-Raunen zum Trotz, konnte ihm das damals nicht bieten.

Fotostrecke

Umfrageergebnisse: Es muss nicht immer Aufstieg sein

Foto: Deutscher Führungskräfteverband ULA

Mit dem Wunsch, über den Beruf die Gesellschaft etwas besser zu machen, ist Panter unter Gleichaltrigen eher Exot. Die nachfolgende Generation selbstbewusster "Digital Natives" dagegen versteht sich als Bannerträger der Sinnsuche im Job - die klassische Karriere betrachtet sie zunehmend verständnislos.

Die Generation Y will gestalten, aber nur im kleinen, gemütlichen Rahmen. In der Studie von Professor Wottawa ist der Anteil der Absolventen, die Macht und Status im Beruf anstreben, im Vergleich zu 2003 stark gefallen. Doch es hapert nicht nur am Wollen, auch am Können: Die Werte für Stressresistenz und Problemlösebereitschaft sanken ebenfalls deutlich: Etwas bewegen? Sehr gern - aber bitte ohne Befehle und Konflikte.

Einer hat die Krone auf, nur ist die aus Pappe

Oft Einzelkinder, von Geburt an mit Aufmerksamkeit und Aufmunterung überhäuft, gewohnt, Autoritäten zu hinterfragen, und auf dem Arbeitsmarkt umworben wie kaum jemand vor ihr, präsentiert sich die Kuschelgeneration in Führungsfragen wie eine Mischung aus Kommune 1 und Geburtstagsparty bei McDonald's: Alle haben Spaß, zwar hat einer die Krone auf, aber die ist erstens aus Pappe und zweitens auch nur Spaß.

Familie und Freunde rangieren bei den notorisch mit Anerkennung überhäuften Trophy Kids in vielen Erhebungen deutlich vor beruflichem Aufstieg. In einer aktuellen Kienbaum-Umfrage landen Family & Friends mit 71 Prozent auf Platz eins der wichtigsten Werte, Selbstverwirklichung auf Platz zwei (48 Prozent), und Bronze geht an "Erfolg und Karriere" mit 43 Prozent. Klar, sie klotzen ran im Job, übernehmen auch mal inhaltlich Verantwortung, doch es "steht nicht mehr zwingend das Erreichen der nächsten Hierarchiestufe im Vordergrund", wie Jens Plinke sagt, Leiter Employer Branding bei Henkel. "Die Freude an der eigenen Arbeit treibt sie an." Oder der Wunsch nach der Betriebs-Kita.

Selbstverwirklichung schlägt Gestaltungsdrang, der Job wird Lifestyle: Spannend, abwechslungsreich und sinnvoll muss die Aufgabe für die Ypsiloner sein; Führung findet sich, wenn überhaupt, ganz unten auf ihrer Wunschliste. "Die jungen Menschen suchen durchaus die Herausforderung. Aber das Arbeiten an Sachthemen ist ihnen oft wichtiger als Personalverantwortung", sagt Audi-Personalvorstand Thomas Sigi, der die Ypsiloner bei Audi - immerhin jeder Fünfte - zu ihrer Motivation befragen ließ.

Warum das eigene Können für Aktionäre verschwenden?

Wie Audi mühen sich Firmen landauf, landab, die Wünsche der Generation Y zu ergründen und mit flexibleren Arbeitszeitmodellen zu erfüllen. Trumpf-Mitarbeiter etwa dürfen alle zwei Jahre ihre "Wahlarbeitszeit" selbst festlegen, Beratungen wie McKinsey bieten jährliche Auszeiten von bis zu drei Monaten ("Personal Time"), und selbst Vielarbeiterfestungen wie Freshfields ersinnen Teilzeit-, Home-Office- und andere Strukturen mit schmucken Namen wie "Smart Balance", die den Anwälten auch mal einen Abend in der Oper oder beim Grillen ermöglichen und das permanente Getriebensein dämpfen sollen.

"Die Jüngeren sind nicht weniger leistungsbereit", formuliert McKinsey-Recruiting-Chef Thomas Fritz feinsinnig. "Aber die Vorstellung eines erfüllten Lebens ist mehrdimensional geworden."

Stephan Jansen kennt die Ypsiloner, an seiner Zeppelin Universität (ZU) wählt und bildet er sie aus. So klopfen seit einigen Monaten die Personalvorstände der Republik reihenweise bei ihm an und bitten um Enträtselung der Jugend, als wäre er ein keltischer Druide, der eine besonders ungewöhnliche Sternenkonstellation deuten könne. Seine Diagnosen aber machen wenig Hoffnung - und viel Arbeit: "Diese Generation will Selbstwirksamkeit, und zwar sofort, ohne konzernhafte Anlaufwege und ohne Druck von oben." Die Konsequenz liegt für Jansen auf der Hand: "Wer heute führen will, der gründet."

Elisabeth Hahnke, 28, Einser-Abi und ZU-Absolventin in Kulturmanagement, hat genau das getan. Trotz Topabschlusses und eines Promotionsangebots von Siemens hob sie gemeinsam mit zwei Kommilitonen "Rock your life" aus der Taufe. In dem Bildungsfranchise begleiten Studierende Hauptschüler als Coachs und beraten zu Berufswahl und Potentialentwicklung.

"Wir definieren Business neu"

"Wir wollen zeigen, wie individuelle Förderung in der Schule funktionieren kann und dadurch die Gesellschaft verändert", sagt Hahnke selbstbewusst. Inzwischen betreut "Rock your life" 800 aktive Coaching-Beziehungen, wurde mit Preisen überhäuft, und dank Unterstützern wie Credit Suisse oder der Vodafone Stiftung kann das Gründerteam sogar schon davon leben. Was sie allerdings nur am Rande interessiert: "Wir hatten einfach keine Lust, unsere Talente für Projekte einzusetzen, an die wir nicht glauben." Klar sei das Promotionsangebot "schmeichelnd" gewesen, aber die Konzernwelt dann doch zu eng, mit zu wenig Gestaltungsspielraum.

Wer wissen will, wie die Generation Y tickt, dem reicht eine Stunde mit Hahnkes Enthusiasmus. Im charakteristisch jugendlichen Veränderungsslang ("Mindshift fördern") skizziert sie in groben, lebhaften Strichen, wie Führung auf Augenhöhe heute aussehen sollte.

CEO of the Future

Gerade kluge, talentierte Ypsiloner wie Hahnke sind überzeugt von ihrem Können - und sehen nicht ein, warum sie es verschwenden sollten für etwas, das Aktionäre reicher, aber die Welt nicht unbedingt schöner macht. Oder fairer. Oder sauberer. Dabei weist Hahnke kuschelpädagogische Anwandlungen empört zurück: Auch sie genießt es, Dinge in die Welt zu bringen, einfach zu machen: "Wir verweigern nicht Karriere, sondern wir definieren Business neu."

Für diese Generation haben alte Aufstiegsspiele ausgedient, sie spielen jetzt um neue Regeln. Diese Mischung aus Selbstbewusstsein, Sinnsuche und möglichst sofortigem Effekt lässt umständliche Konzernkulturen ("Zuerst reichen wir mal ein Proposal beim Abteilungsleiter ein") ziemlich alt aussehen.

Wer nichts ändert, wird verändert

Droht nun die "Apokalypse des Chefseins" ("Handelsblatt")? Wird die Generation Y am Führungsdilemma scheitern, weil sich doch nicht alle Probleme im sozialen Netzwerk auflösen lassen? "Viele unterschätzen die Komplexität von Führungsaufgaben", sagt Audi-Personalvorstand Sigi. Oder muss umgekehrt Führung neu gedacht werden, um wieder attraktiv zu sein?

Fest steht: Die Komplexität von Führungsaufgaben, gerade noch in einer IBM-Studie von 1500 CEOs weltweit als größte Herausforderung benannt, hat einen vorläufigen Höchststand erreicht. Zusammen mit den traditionellen Posten auf der Sollseite - wenig Zeit für Privatleben, überbordende Administration - macht dies klassische Führungsjobs für viele unattraktiv. Schon zerbrechen sich Think-Tanks wie die Berliner Stiftung Neue Verantwortung, Personalberatungen und Politiker den Kopf, wie Führung im 21. Jahrhundert auszusehen hat. Wer aber als Konzern jetzt ein Abwandern der Kreativen und Klugen in Patchworkkarrieren, Eigengründungen oder Expertenlaufbahnen verhindern will, muss schnell etwas ändern. Oder er wird verändert.

"Künftig wird es weniger Hierarchien geben und mehr kleine Einheiten, die oft virtuell und nicht mehr protokollarisch geführt werden", prophezeit Torsten Bittlingmaier, der das Talentmanagement der Telekom leitet. Die Führungskraft von morgen muss eher Identität stiften als Ziele vorgeben, muss Coach sein und nicht nur Chef, muss begeistern statt anordnen. "Vor allem muss sie mit Werten führen und darin selbst Vorbild sein", ist Audi-Personaler Sigi überzeugt.

Gelingt das, würde es die Ypsiloner-Sehnsucht nach Weltverbesserung im Job erfüllen und Führung für sie attraktiver machen. Gelingt es nicht, könnte - wenn sich die Talente erst einmal scharenweise von traditionellen Firmenorganisationen abwenden - ein ehernes Führungsprinzip umgekehrt werden: There are no followers without leaders. Oder, wie Elisabeth Hahnke ihr Urteil über die Konzernwelt formuliert: "Das geht einfach nicht nach meinem Beat."

Klaus Werle (Jahrgang 1973) ist Redakteur beim manager magazin.