Gastautor / 19.03.2009 / 15:57 / 0 / Seite ausdrucken

Norbert Jessen: Im Namen der Rosa - Wie man aus einer Ziege eine Gärtnerin macht

„Die Freiheit ist immer nur die Freiheit des Andersdenkenden.“

Rosa Luxemburgs bekanntester Satz wurde vergangene Woche immer wieder bei der
Eröffnung eines neuen Auslandsbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv
zitiert. Ihr „Vermächtnis für deutsche und israelische Linke“ stand auf dem
Programm mit Vorträgen, Vorführungen und Debatten, vielen Reden und wenig
Aussagen. Ein auf die Linke beschränktes Thema ohne echten Bezug zur DIE
LINKE. Denn die ist noch nicht bei Rosa Luxemburg angekommen und arbeitet
stattdessen immer noch revolutionäre Gedanken von 1789 auf: Die Gedanken
sind frei. Rosa Luxemburg aber fordert das Gedachte auch auszusprechen. Nur
so kann es Andersdenkend sein. Im Saal aber schwebte Unausgesprochenes.

Umso beredter war das Schweigen nach der abschließenden Rede von
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. Sie hatte das Unausgesprochene
zumindest für sich persönlich geäußert: „Ich gehörte damals nicht zu den
Bürgerrechtlern“, gab sie offen zu. Das Luxemburg-Zitat habe sie, trotz
intensiver Parteischulung oder gerade deswegen, nicht gekannt. Jeder im Saal
wusste wann „Damals“ war, ließ doch die Thematik der Veranstaltungen eher
das wilhelminische Kaiserreich, allenfalls noch die frühe Weimarer Republik
vermuten. Anschließend zu Fragen aufgefordert, erstarrte das überraschte
Publikum in einem langen peinlichen Schweigen.

In Berlin ist es gerade Petra Pau, die dem Streit für Solidarität mit
Israel und um eine sachliche Kritik trotz vieler Anfeindungen nicht aus dem
Wege geht. Ausgerechnet in Tel Aviv vermied sie es, die ganz aktuelle
Israel-Debatte in ihrer Partei anzusprechen. Für die israelischen Teilnehmer
lag stattdessen die ins Hebräische übersetzte Israel-Rede Gregor Gysis ohne
Kommentar aus. Nur wer weiß, wie umstritten in der Partei die Möglichkeit
oder Unmöglichkeit von Verhandlungen mit Islamisten ist, die den Völkermord
an Juden im revolution?ren Programm haben, musste sich nicht wundern, warum
der Vorsitzende so vehement Israels Existenzrecht verteidigte. Einige der
Anwesenden in Tel Aviv hätten ihm da vielleicht sogar widersprochen.

Auch im Streit, ob Israel boykottiert werden darf, hätte es in Tel Aviv
Widerspruch gegeben. Zumindest hätte er klar stellen können, welcher Teil
der Zuhörer Unterstützung im antizionistischen Kampf vom RLS-B?ro in Tel
Aviv erhofft und wer eine neue Finanzquelle f?r akademische Joint-Ventures
erwartet.

Die Vernebelung dieser Debatten dirigierte Dr. Angelika Timm, die sich
auf ihre Aufgabe als Büroleiterin Jahrzehnte vorbereitet hatte.
Am liebsten wäre die „Israel-Wissenschaftlerin“ an der HUB
erste Botschafterin der DDR in Israel geworden, hieß es einmal. Was damals
nicht ganz aussichtslos schien, als die Mauer sich noch nicht gewendet
hatte. Dabei hatte sie mit ihrem Mann, Prof. Dr. Klaus Timm, noch 1988 ein
Pamphlet gegen ein Israel verfasste, das 1967 ohne ersichtlichen Grund über
antiimperialistische Kräfte in Nahost herfiel, um diesen kapitalistisch zu
hegemonisieren. Aber das ist schon lange her und offenbar verjährt.

Den Attitüden von damals folgten zur Eröffnung des neuen Aufgabenbereichs
in Tel Aviv dann Plattitüden: „Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft bilden
eine Einheit“. Was für Frau Dr. Timm tatsächlich nicht ganz so trivial, eher
sogar problematischer ist.

In einem Versuch, wie Petra Pau Offenheit zum eigenen Damals zu zeigen,
ließ sie die eigene Wende zum Andersdenken mit ihrer ersten Reise nach
Israel zusammenfallen. Damals fand ihre erste unmittelbare „Begegnung mit
der bis heute andauernden und von uns unterschätzten Präsenz des Holocausts
in Israel“ statt. Was bei einer im antifaschistischen Geiste erzogenen Frau
zu einem Damaskus-Erlebnis geführt haben muss.

Obwohl ihre Wendigkeit dann doch mit Spätzündung einsetzte,
erschien ihr Pamphlet noch 1988. Zwei Jahre später fand die Israel-Kennerin ihren
eigenen Weg aus der „Abwicklung“ veralteten akademischen Ballasts. Schon
bald konnte die hervorragend Hebräisch sprechende Dozentin im Auftrag der
Deutschen Forschungsgemeinschaft das Verhältnis von Juden und Demokratie
erforschen. Eine Frage, die auch Mitte der 1990-er Jahre die deutsche
Akademie mehr interessierte als etwa die Demokratieverträglichkeit ehemaliger
Staats-Sozialisten.

Gleichzeitig arbeitete Frau Dr. Timm als Dozentin an israelischen
Universitäten über ein Thema, zu dem ihre Expertenstellung unumstritten ist:
„Antizionismus und Antisemitismus in der DDR“. An der Bar-Ilan-Universität
weiß heute niemand mehr, welche Gründe zur Anheuerung von Frau Dr. Timm
geführt haben. Alle an dieser Entscheidung Beteiligten, so die erschütternde
Mitteilung der Pressestelle, „können nicht mehr befragt werden, da sie
mittlerweile verstorben sind“. Zur Eröffnung waren übrigens Mitarbeiter
aller Universitäten zugegen, an denen Frau Timm schon Vorträge gehalten hatte.
Zu den Aufgaben der RLS gehört auch die Zusammenarbeit mit Universitäten mit der
Vergabe von Stipendien und Projektfinanzierungen.

Schon in den 90-er Jahren wurde Angelika Timm bei ihren Arbeiten von ihrem
Mann, Prof. Dr. Klaus Timm, begleitet. Da der Orientalist auch an
DDR-Botschaften gearbeitet hatte, tat er sich schwerer als Angelika Timm,
seine hervorragenden Kenntnisse proletarischer und antiimperialistischer
Gesellschaften in Nahost in die akademische Forschung einzubringen. Durch
die sporadische Ansässigkeit in guter Wohnlage im ehemals imperialistischen
Forschungsbereich konnte er aber zu verschiedenen Anlässen (etwa Vorträgen im
Rahmen der RLS) den akademischen Titeln vor dem Namen auch ein polyglottes
(Berlin – Tel Aviv) hintenan setzen.

Tel Aviv hegemonisiert also seit Jahren den Alltag der Timms. Frau Timm
sieht dabei ihre Aufgabe in der Erstellung „ausgewogener und sachlicher
Analysen” zu allen Nahost-Lagen. Weder proisraelische Kräfte wie Petra Pau
noch Hamas-Partner wie Norman Paech sollten an ihnen etwas auszusetzen
haben. Sie selbst enthält sich aber jeder öffentlichen Meinungsposition
unter eigenem Namen: „Darin sehe ich nicht meine Aufgabe.“ Die Stiftung sei
nur parteinah, nicht parteilich. Zur Frage, ob sie nicht als Mitglied und
Expertin eine gefragte Antwort einbringen k?nne, wollte sie nicht einmal eine
Parteimitgliedschaft bestätigen. Noch lässt sich nur schwer absehen, welche
ihrer Wendigkeiten diesmal gefragt ist.

Mehrzweckmäßig und unverbindlich sehen auch die Richtlinien f?r die
zukünftige Arbeit der RLS in Tel Aviv aus. Sie könnten bei der
Konrad-Adenauer-Stiftung abgeschrieben oder mit der
Friedrich-Ebert-Stiftung abgestimmt sein. Auch der Rosa-Luxemburg-Stiftung
geht es, wie könnt es anders sein, um die Förderung demokratischer und
zivilgesellschaftlicher Strukturen. Da glaubt sie, Israel noch einiges
beibringen zu können. Was vieles bringen kann, ohne viel zu bringen. Sicher
keine Wende in der Stiftungsabeit deutscher Parteien in Israel.

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