Wenn Freunde spionieren
Von Timm Ellwart Ominöse Spitzelgeschäfte sind das Erbe des kalten Krieges. Die USA nutzen nun ihre Abhörtechnik, um auch in Deutschland Politik und Wirtschaft auszuhorchen. Die gewonnenen Informationen sind Top-News für die US-Wirtschaft, wie "Frontal" recherchierte. Still, versteckt im bayerischen Voralpenland blüht ein seltenes Pflänzchen: Hortensie III. Das ist der Spitzname, den die amerikanische National Security Agency in Bad Aibling - kurz NSA - vom deutschen BND verpasst bekommen hat. Das Reich von Hortensie III: Gigantische Antennen und Satellitenanlagen, deren Abdeckungen an übergroße Golfbälle oder Kernkraftwerke erinnern. Als Fachmann für elektronische Aufklärung kennt der ehemalige Bundeswehrhauptmann Schmidt-Eenbohm die Funktion dieser und anderer Anlagen genau. Es geht um Wirtschaftsdaten: Die NSA erfasst über das System Echelon alle Telefongespräche, Faxe und E-Mails - europaweit. Erich Schmidt-Eenboom ist Geheimdienst-Experte des Forschungsinstituts für Friedenspolitik und weiß, was sich hinter den Toren des Stützpunktes Bad Aibling abspielt: "Bad Aibling ist die bedeutendste amerikanische Fernmelde-Elektronische Aufklärungsstation auf europäischem Boden. Hier werden alle Formen der Funkspionage in allen Frequenzen, mit allen Zielrichtungen, das heißt sowohl politisch, wie militärisch, wie wirtschaftlich ausgeforscht."
Die gesammelten Daten aus Europa werden über
NSA-eigene Satelliten in die USA geleitet - nach Fort Meade, ins Zentrum
der National Security Agency. Dort arbeiten so viele Informatiker,
wie nirgendwo sonst auf der Welt: circa 40.000. Die NSA - doppelt
so groß wie die CIA - wurde 1952 von Präsident Truman per
Erlass gegründet. Alle Gebäude sind speziell gegen Strahlungen
abgeschirmt. Nicht einmal das amerikanische Parlament weiß,
was dort alles an Daten erfasst ist. EIN POOL VON DATEN "Nach allem, was ich weiß, gehe
ich allerdings davon aus, dass dieses System Echelon speziell in Westeuropa
zur Aufklärung der Wirtschaft eingesetzt wird."
Vertrauliche Firmendaten aus Deutschland werden über das System Echelon abgeschöpft, Faxe und E-Mails landen im amerikanischen Wirtschaftswunderland. Ein Albtraum für deutsche Unternehmen, die Milliarden in die Entwicklung neuer Produkte investierten. Niemand kommt aber im digitalen Zeitalter an amerikanischer Softwaretechnik vorbei. So ergibt sich eine totale Überwachung; heimlich still und unbemerkt. Dieses Problem sieht auch Rolf Wilhelm Dau vom Verband für Sicherheit in der Wirtschaft. "Alles, was über Richtfunkstrecken geht", sei abhörbar. Das betreffe auch alles, was über den Kabelweg gesendet werde, selbst Glasfaserkabel seien zum Mitschneiden und Abhören geeignet, so Dau weiter. Erich Schmidt-Eenboom zu konkreten Abhörmaßnahmen: "Der spektakulärste Fall ist wohl der Fall von VW, wo die NSA von dieser Station aus Videokonferenzen von VW mit dem späteren Manager Lopez abgehört hat und dabei dann die Ergebnisse in den Vereinigten Staaten General Motors und dann der deutschen Tochter Opel zugespielt hat - und dass auf Grund dieser funkelektronischen Aufklärung beispielsweise die Staatsanwaltschaft in Darmstadt sehr genaue Hinweise bekam, wo man fündig werden konnte, was die Betriebsspionage von Lopez ausgemacht hat." WIE IN EINER DIKTATUR ABGESCHOTTET Solche Provokationen auf einer öffentlichen Verkehrsinsel sind sonst nur in totalitären Staaten möglich. Dies Verhalten zeigt aber, dass die Amerikaner in Bad Aibling wohl einiges zu verbergen haben. Wir schlittern hart an der Konfrontation vorbei, lassen uns das Material aber nicht wegnehmen. Schließlich hatten wir mehrfach vorab um ein Gespräch gebeten. Die Machenschaften der Amerikaner in Europa sind deutschen Behörden inzwischen bekannt. WELTWEITES AUFKLÄRUNGSSYSTEM Was genau und wie viel für die Amerikaner wichtig ist, lässt sich nur schätzen. Denn niemand kontrolliert das amerikanische Treiben in Europa. Auf einer Homepage (http://www.nsi.org/Library/Espionage/indust.htm) bekannte sich die NSA bis vor kurzem noch zu Spionagezielen im Bereich der Wirtschaft. Im Bundeskanzleramt sind diese Probleme bekannt. Dort setzt der Geheimdienstkoordinator der Bundesregierung, Ernst Uhrlau, jedoch nicht auf eine Kontrolle der Amerikaner, sondern auf eine bessere Zusammenarbeit mit ihnen: "Jeder Dienst ist eigenverantwortlich zuständig und verantwortlich für das, was er tut und was er lässt." Und jeder Dienst, so Uhrlau weiter, unterliege dem jeweiligen nationalen Recht und den entsprechenden Kontrollen. Und so erfasst die NSA alles, was sich so bietet. Informationsbeschaffung im Ausland ist nach amerikanischem Recht nicht strafbar. Strafbar macht sich dagegen der Bundesnachrichtendienst, wenn er Wirtschaftsinformationen in den USA sammelt. Laut Erich Schmidt-Eenboom verzichtet der BND auf ähnliche Tätigkeiten in den USA: "Der Bundesnachrichtendienst traut sich nicht in den USA gleiches mit gleichem zu vergelten, und auf der anderen Seite wissen wir durch einige Einzelfälle, die auch der Bundesregierung bekannt sind, dass die Amerikaner sich nicht scheuen, nach dem kalten Kriege zu Gunsten ihrer eigenen Wirtschaft ihre Nachrichtendienste zu instrumentalisieren. Dazu gibt es auch hinreichend politische Aussagen, bis hin zu Voten von Präsident Clinton." ZDF-Frontal 17. Mai 2000 |