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BBC-Serie "Kampf ums Leben" Kamerafahrt mitten ins Herz

Mit faszinierenden Computersimulationen gibt die neue BBC-Fernsehdokumentation "Kampf ums Leben" nie zuvor gesehene Einblicke in den Abwehrkampf unseres Organismus. Zu sehen ist sie nun auf Vox.
Von Cornelia Fuchs

Sirenen heulen, die Kamera verfolgt einen Krankenwagen aus der Vogelperspektive durch ein Gewirr von Straßen, immer näher kommt sie den blinkenden Lampen auf dem Dach. Eine blaue Kühlbox wird im Wageninnern sichtbar, sorgsam angeschnallt. Die Kamera zoomt sich in den blauen Kasten, ein menschliches Herz liegt dort auf Eis, ganz still. Hinein fährt die Kamera in das Organ, durch die Herzkammern, immer näher heran, bis die Muskelzellen zu sehen sind. Sie sterben.

Das Herz jagt im Krankenwagen durch London. Es soll dem neunjährigen James eingepflanzt werden. Seine Eltern sitzen voller Sorge im Warteraum des Kinderkrankenhauses Great Ormond Street. Sieben Operationen hat James schon hinter sich. Ein neues Herz ist seine letzte Chance. James liegt schon auf dem Operationstisch, sein Brustkorb ist geöffnet, sein Blut wird durch eine Herz-Lungen-Maschine gepumpt. Die Kamera fährt hinein in seinen geschwächten Körper, windet sich durch die Arterien, die sich unter dem Stress zusammengezogen haben. Es geht um Sekunden, denn dauernd sterben weitere Muskelzellen im Spenderherz in der Kühlbox, und der Fernsehzuschauer kann sehen, wie sie schwarz werden und verkümmern. Es sind Aufnahmen, die so im Fernsehen noch nie zu sehen waren.

20 Geschichten zwischen Leben und Tod

Die Herztransplantation des neunjährigen James ist eine der mehr als 20 Geschichten zwischen Leben und Tod, die in der sechsteiligen BBC-Serie "Kampf ums Leben" erzählt werden. Die Serie wird ab dem 10. Oktober immer mittwochs um 22.55 Uhr auf dem Sender Vox ausgestrahlt. Für "Kampf ums Leben" wurden völlig neue Digitalanimationen und Spezialfilmaufnahmen hergestellt, die sichtbar machen, was im Körper passiert, wenn etwas schiefgeht: unter blutenden Wunden, bei Asthmaanfällen oder der Vermehrung von Krebszellen im Körper, unsichtbar für das menschliche Auge.

Dafür haben die Mitarbeiter der BBC-Abteilung "Science" zwei Jahre lang nach Patienten in Großbritannien und den USA gesucht, die bereit waren, ihre Behandlung filmen zu lassen. Kamerateams haben in Schichtdiensten gearbeitet, um keine Phase zwischen den Vorgesprächen vor den Operationen und der Entlassung aus dem Krankenhaus zu verpassen. Die Serie geht einen Schritt weiter als andere Produktionen aus Notfallzentren und Intensivstationen. Sie geht unter die Haut.

Bilder aus Lunge und Arterie

Sie erzählt nicht nur die Geschichte von dem Säugling, dessen Lunge nach der Geburt nicht funktionieren will - sondern sie zeigt auch, wie er noch im Mutterleib das schwarze Kindspech einatmet und wie dieses seine Lunge verklebt. Es wird nicht nur die verzweifelte Suche der Ärzte nach dem Grund für den plötzlichen Kreislaufzusammenbruch eines Unfallopfers gefilmt - sondern der Zuschauer sieht gleichzeitig, wie durch den Riss in einer Arterie an der Hüfte der jungen Frau Liter um Liter Blut in den Bauchraum fließen, unsichtbar für die Mediziner.

Die Dramen in der Serie wirken so intensiv, weil sie wahre Fälle erzählen. So ist die Herzoperation für James noch längst nicht überstanden, als er den Operationssaal verlässt. Candida-Pilze nisten sich auf seiner Lunge ein. James' von Medikamenten geschwächtes Immunsystem kann diese nicht abwehren. Kaum kann der Junge noch seine Hand heben, das Atmen fällt ihm so schwer. Wieder fährt die Kamera hinein in James' Körper, zeigt, wie die Pilzsporen sich explosionsartig ausbreiten und Lungengewebe zerstören. Und dann tauchen plötzlich weiße Blutkörperchen auf, tasten sich vorwärts und beginnen, in die Masse der Pilzsporen einzudringen. James' Kampf ums Überleben hat begonnen.

Die erfolgreichsten Dokumentarfilme aller Zeiten

Die Idee zu dieser BBC-Serie entstand in einem Großraumbüro voller Monitore und Zeitschriftenstapel im Fernsehzentrum der British Broadcasting Corporation, besser bekannt als BBC. Die Menschen hier sprechen leise, die Mehrzahl schaut konzentriert auf Computerbildschirme. Hier liegt das Herzstück der Abteilung "Science", hier wurden die erfolgreichsten Dokumentarfilme aller Zeiten entwickelt, darunter "Walking with Dinosaurs". Die computeranimierte Serie über Leben und Sterben der Urviecher haben inzwischen weltweit über 400 Millionen Zuschauer gesehen. Oder "Unser blauer Planet". Dafür filmten 20 BBC-Kamerateams fünf Jahre lang an 200 Orten die unbekannte Tiefsee. Das Material war so überzeugend, dass gleich noch ein Kinofilm daraus entstand.

Der Leitsatz bei all diesen BBC-Projekten, so erklärt es die Produzentin Jessica Cecil, bleibt stets gleich: "Wir wollen den Zuschauern etwas zeigen, was sie noch nie gesehen haben." Diesmal hat das Team das Unbekannte im kranken menschlichen Körper gefunden, der gegen lebensbedrohliche Situationen kämpft.

Bevor eine solche Dokumentarfilmidee in die engere Auswahl kommt, muss sie noch weitere eiserne Grundsätze erfüllen. Sie soll im multinationalen Großbritannien ebenso für die englische Familie in Bath wie für die pakistanische in Bradford interessant sein. Sie soll emotional berühren, spannend und absolut neu sein und am besten auch noch innovative Erzähltechniken ausprobieren.

Für die Serie "Kampf ums Leben" war den Produzenten deshalb wichtig, dass die Spezialeffekte nicht im Mittelpunkt stehen. Es ging um die menschlichen Schicksale hinter medizinischen Ereignissen. Und um eine möglichst präzise Darstellung der Vorgänge in den Körpern der Patienten. Bei der Umsetzung half der BBC ihr guter Ruf bei Wissenschaftlern und Ärzten. Die wissen, dass die Dokumentarfilmer jede Aufnahme akribisch überprüfen lassen. Bei den Reisen für die Serie "Unser blauer Planet" zum Beispiel waren Wissenschaftler wochenlang mit den Kamerateams vor Ort in der Antarktis unterwegs.

Für das neue Projekt besprachen die Produzenten jeden Fall mit den betreuenden Ärzten, den Patienten und deren Angehörigen. Durften sie die Agonie eines asthmakranken Kindes filmen? Was passiert tatsächlich im Körper eines Teenagers, wenn dieser so viel getrunken hat, dass er nicht mehr stehen kann? Wie sieht ein Herz aus, das gerade drei Herzinfarkte überstanden hat?

Ein Meister seines Faches

Um die Aufnahmen aus dem Inneren des Körpers so realistisch wie möglich zu machen, engagierten die Produzenten den Biologen und Filmemacher David Barlow. Er gilt als Meister seines Faches, hat Preise gewonnen für die präzise Filmtechnik, mit der er Atemzüge in der Lunge und den Blutfluss in den Gefäßen sichtbar machen kann. Der neue Auftrag aus London war jedoch anders. In vorherigen Kooperationen mit der BBC, zum Beispiel für den Film "The Human Body", hatte er in poetischen Bildern die Arbeit des menschlichen Körpers gefilmt. Diesmal ging es jedoch nicht um besonders ästhetische Aufnahmen des Alltäglichen, sondern um die präzise Darstellung von Problemen im menschlichen Organsystem.

Barlow verschwand im Gartenhäuschen hinter seinem Haus in Southampton, das er für diese Zwecke zu einem Minifilmstudio umgerüstet hat - und grübelte erst einmal. Er begann zu experimentieren. So fand er heraus, dass er für den Schleim in der Lunge eines Asthmakranken geschlagenes Eiweiß mit Ultra-Slime mischen musste, der von der Filmindustrie ansonsten für den Auswurf geifernder Monster genutzt wird.

Monsterschleim und Tierorgane

Barlow besorgte sich Organe von geschlachteten Schweinen und ließ den präparierten Ultra-Slime in die Schweine- Lungenröhre fließen. Rote Lebensmittelfarbe sorgte dafür, dass das Organ nicht tot aussah. Immer wieder versuchte Barlow, die gefärbte Röhre im Salzwassertank seines Labors so perfekt zu bewegen, als vibriere sie bei einem Atemzug. Währenddessen filmte er durch ein Stethoskop langsam den Weg zu den Lungenbläschen, vorbei an dem Schleim, der diese verklebte.

"Vor einem Jahr hätte ich einige dieser Aufnahmen noch für unmöglich gehalten", sagt Barlow. "Ich arbeite gerne mit der BBC zusammen. Ihre großen Budgets garantieren vor allem eines: Zeit." Und mehr Zeit heißt, dass Barlow neue Techniken entwickeln kann. Dazu gehört etwa das Vordringen seiner Stethoskopkamera in Adern mit gerade einmal vier Millimeter Durchmesser, in denen Barlow die Platzierung von stabilisierenden Stents nach einem Schlaganfall filmte: "Ärzte machen das ja in wenigen Stunden in einer Operation. Ich brauchte acht Tage."

Wenn's zu schwierig wird, muss der Computer ran

Barlows Aufnahmen sind so realistisch, dass sie inzwischen an englischen Universitäten von Professoren für die Ausbildung ihrer Studenten benutzt werden. Jede Einstellung wurde von den betreuenden Ärzten der Patienten überprüft und abgenommen. Für das, was selbst ein Meisterfilmer wie David Barlow nicht mehr zeigen kann, suchte die Produzentin Jessica Cecil kreative Computeranimatoren: Sie wollte fotorealistische Darstellungen von mikroskopisch kleinen Vorgängen im menschlichen Körper. Sie fand ihre Mannschaft im Zentrum von London, in den leicht chaotischen Büros von Jellyfish.

"Mein Leben im vergangenen Jahr war eigentlich ein endloser Medizinkurs", sagt Philip Dobree, einer der beiden Chefs bei Jellyfish. Wie bei Barlow überwachte auch hier eine Ärztin die Richtigkeit der digitalen Bilder, die auf Dutzenden Rechnern entstanden. Wer heute vor der Glastür des kleinen Server-Raums steht, in dem die vier Terabyte Daten mit den 250 digitalen Szenen für die BBC-Serie liegen, spürt eine unangenehme Wärme aufsteigen. "Unsere Klimaanlage packt es nicht mehr", sagt Dobree. Zu viel Hitze produzieren die Computer, während sie in Milliarden Rechenbewegungen die hochkomplexen Digitalaufnahmen bearbeiten.

So ganz genau wusste Jellyfish wohl nicht, worauf sie sich einließen. Immer wieder änderten sich die Inhalte, wenn die Teams vor Ort neue, spannendere Fälle filmen konnten. So gaben zum Beispiel die Eltern eines Jungen in den USA erst nach einer Bedenkzeit ihr Einverständnis, dass die Operation zur Entfernung eines Tumors am Rückenmark ihres Sohnes gefilmt werden durfte. Dann war es an Jellyfish, eine Fahrt durch die Nervenkanäle digital darzustellen, mit dem Tumor, der darin verborgen lag.

Das Modell musste umgebaut werden

Jellyfish hatte am Anfang der Produktion das beste digitale Modell eines menschlichen Körpers besorgt, das es bis dahin zu kaufen gab. Die Grafiker stellten schnell fest, dass sie diesen athletisch gebauten Idealmann für die Serie mehrfach umbauen mussten: in einen kleinen Jungen mit hängenden Schultern, einen dicken Mann, eine schwangere Frau. Wie eine Zwiebel besteht jede digitale Aufnahme der Serie aus Dutzenden Lagen, die erst übereinander das Bild ergeben, das schließlich auf dem Bildschirm zu sehen ist.

Knochen, Sehnen, Muskeln, Haut, Haare sind nur die offensichtlichsten Ebenen, die von den Animatoren eingebaut werden müssen. Damit ein Herz realistisch schlägt, muss außerdem seine Haut glänzen - eine weitere Lage. Die Oberfläche der weißen Blutkörperchen, die gegen Pilzsporen auf der Lunge des kleinen Patienten kämpfen, wird mit dem Software-Programm einer Kleideranimation belegt. So schwingen sie leicht nach in der Bewegung, wie eine Bluse im Wind. Um realistisch zu wirken, müssen die Grafiker außerdem noch Fehler einbauen, kleine Unschärfen im Bild. Zu perfekt wirkt alles unecht. Jetzt knallen die Pilzsporen auf James' Lunge bei ihrem rasanten Wachstum gegen die virtuelle Kamera und hinterlassen glibberige Flecken. Es ist, als würden sie den Zuschauer durch den Fernseher angreifen.

Effekte treten in den Hintergrund

"Die Effekte in der Serie müssen Teil der Geschichte sein, keine Fremdkörper", sagt Produzentin Jessica Cecil. Tatsächlich wirken die Aufnahmen wie ein Nebeneffekt. Sie erdrücken die Geschichten nicht, die hier erzählt werden. Als der Operationssaal darauf wartet, ob James' neues Herz in seinem Körper zu schlagen beginnt, steht die Kamera still. Als der Herzmuskel das erste Mal zuckt, ist den Medizinern die Erleichterung trotz der Schutzmasken im Gesicht anzusehen.

Die schönsten Aufnahmen dieses zweiten Serienteils kommen am Ende ohne Trickaufnahmen aus: Da schießt James Wochen nach der Transplantation als Teil einer Jugendmannschaft ein Tor - als ganz normaler Junge auf dem Bolzplatz.

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