Donnerstag, 17. Juli 2008

Fritz Haber, Giftgas, "Der Standard", Meinungsfreiheit und ein paar arrogante Schnösel

Jetzt muss ich doch, quasi als erste Tat an meinem 46. Geburtstag, noch schnell die Geschichte von meinem partiellen Rauswurf aus "derstandard.at" erzählen.

Ich bin ja bei denen schon öfter angeeckt. Dazu muss man wissen: Der Standard verwendet zur Überwachung und Filterun
g der Postings in seiner Online-Ausgabe eine Software, den sogenannten Foromaten. Der verwendet irgendwelche Algorithmen um potentiell bedenkliche Postings herauszufiltern. Und die werden den diensthabenden RedakteurInnen zur Kontrolle vorgelegt. Die entscheiden dann, ob sie gebracht werden oder nicht. Vielleicht gibt's im Hintergrund noch eine Art zweite Ebene, die heikle Entscheidungen absegnet, weiß ich nicht.

Faktum ist, dass schon die bloße Zeitverzögerung, die durch dieses System entsteht, und die gerade bei spätnächtlichen Postings locker bis zum nächsten Vormit
tag oder sogar Mittag dauern kann, die Kommunikation in diesen Foren teilweise erschwert bis verunmöglicht. Niemand sitzt schließlich 24 Stunden ununterbrochen am Computer (nicht einmal ich...)

Aber das ist nicht alles. In den Forenregeln des Standard steht "Jede/r User/in hat das Recht auf freie Meinungsäußerung." Und dann gibt's z.B. folgende Absätze:

  • Diskriminierende Beiträge werden nicht toleriert. Insbesondere verboten sind rassistische, sexistische, antisemitische, eine Religion oder sexuelle Identität herabwürdigende sowie sonstige (kulturelle, nationale, …) Gruppen pauschal verurteilende Postings. Ebenfalls nicht akzeptiert wird die Verbreitung von Inhalten, die gegen Teile der Bevölkerung hetzen oder zur Gewalt aufrufen, Pornographie sowie menschenverachtende oder gegen die guten Sitten verstoßende Beiträge. Das umfasst auch Inhalte, die über von den UserInnen gesetzte Links zu erreichen sind.
  • Schimpfworte, Fäkalsprache, rohe, doppeldeutige oder obszöne Sprache erschweren eine sachliche Diskussion – derartige Postings werden daher im Normalfall gelöscht. Nicht toleriert werden auch Inhalte, die für Minderjährige ungeeignet oder anstößig sind oder dafür gehalten werden können.
  • Ebenfalls nicht akzeptabel ist es, den Dialog verschiedener UserInnen wissentlich zu stören, z.B. durch Belästigungen oder durch die Schaffung von Feindbildern oder Feindseligkeiten.
Und so weiter und so fort. An und für sich könnte man das ja durchaus unterschreiben. Das Problem ist nur: sie halten sich nicht daran. Was nämlich passiert, ist in der Praxis eine reichlich willkürliche Meinungszensur. Auf politisch Rechtsstehende schimpfen darf man eher ungehemmt, wogegen ich auch nichts habe. Wenn man Linke im Standard kritisiert, wird's schon schwieriger, durchzukommen.

Ganz unmöglich sind z.B. Postings zum Thema "linker Antisemitismus". Das verstößt bei den dortigen Redakteuren gegen so viele Glaubenssätze, dass solche Postings grundsätzlich nicht das Licht der Welt erblicken. Dabei wäre das ein Thema, dem man einmal wirklich Aufmerksamkeit schenken sollte.

Und à propos Antisemitismus, da bin ich ja schon bei meiner Geschichte. Da ich das Ganze heute schon in einem langen Brief an die Redaktion formuliert habe, stelle ich den einfach hier herein:

16. Juli 2008


Sehr geehrte Redaktion des STANDARD und des Online-STANDARD!


Seinesgleichen geschieht. Aber ab und zu wird’s dann doch unerträglich. So geschehen in den letzten 24 Stunden. Es geht um ein an sich schon bekanntes Phänomen, nämlich die Zensur, die aufgrund willkürlicher, unklarer und unverständlicher Prinzipien bei den Postings zu den Standard-Online-Artikeln ausgeübt wird. Und die ich in diesem speziellen Fall doch etwas ärger und ausufernder finde als sonst, wo es sich oft ja nur um die üblichen Hackeleien zwischen mehr oder weniger schlecht aufgelegten Standard-Lesern handelt.

Hier geht es aber, meiner Ansicht nach, doch um deutlich mehr. Es geht schlicht und einfach um die Frage, ob man gewisse Dinge in diesem Land einfach nicht sagen darf, ohne dafür geprügelt zu werden. Ich möchte das nicht auf sich beruhen lassen, und Sie werden gleich verstehen, warum.

Der Anlass war ein am 14. Juli 2008 um 17:09 online erschienener Artikel mit dem Titel „Deutsche Humangenetiker räumen ‚schwere Schuld’ an Nazi-Euthanasie ein“ (Artikel-ID 34 14 216, Ressort Wissenschaft). Darin wird von einer Erklärung der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik berichtet, in der sich die Mitglieder zu ihrer historischen Verantwortung und zur Absage an jede Form von Diskriminierung aufgrund ethnischer Merkmale oder genetisch bedingter Krankheiten und Behinderungen bekennen. So weit so schön, ich bin voll d’accord. Und das den Euthanasiemorden zugrunde liegende Gesetz vom 14. Juli 1933 wird, zurecht, auch als ein „historisches Dokument des Versagens von Wissenschaftlern“ bezeichnet.

So weit die Vorgeschichte. Bei dem Ausdruck „Versagen von Wissenschaftlern“ fiel mir ein anderer Wissenschaftler ein, über dessen Rolle bei einem anderen Massenmord ich vor kurzem gelesen hatte. Und zwar nicht in irgendeiner dubiosen Quelle, sondern im zweiten Band der ausgezeichneten Karl-Kraus-Biographie von Edward Timms. Dort wird auf den Seiten 70 bis 76 Kraus’ publizistischer Kampf gegen die Grausamkeit der Giftgasangriffe im Ersten Weltkrieg geschildert. Und dabei musste natürlich ein Name fallen: Fritz Haber.

Seines Zeichens Chemiker, glühender deutscher Nationalist und Entwickler von Chlorgas, Phosgen und derlei Kampfstoffen, die an der Front durch deutsche Gasangriffe wohl zehntausende Tote und schwer innerlich Verletzte hinterlassen hatten. Der Tod durch diese Art von Gasen, die letztlich die Atemwege bis tief in die Lunge verätzen, ist unvorstellbar schrecklich, jenseits alles Vorstellbaren. Und Haber war sogar persönlich an der Front, um einige der Giftgasangriffe zu überwachen. Zum Beispiel in der Zweiten Schlacht von Ypres am 22. April 1915. Seine Frau, Clara Immerwahr, die vehement gegen seine Arbeit an Kampfgasen war, nahm sich einige Wochen danach mit Habers Militärwaffe das Leben. Sie starb am nächsten Morgen, und er fuhr noch am selben Tag an die russische Front, um dort einen weiteren Giftgasangriff zu überwachen. (Es tut übrigens nichts zur Sache, dass auch die Franzosen mit Giftgas experimentiert haben und dass dann auch die Engländer Giftgas verwendeten. Mir ging’s nicht darum, wer angefangen hat, mir ging’s darum, wozu Wissenschaftler fähig sind.)

Haber ist sein Leben lang nicht von der absurden Behauptung abgewichen, seine Giftgase seien eine „humane Waffe“. Wie zur Bestätigung dieser Absurdität erhielt er 1918 auch noch den Nobelpreis für Chemie. Für mich ist dieser Mann ein Kriegsverbrecher und ein eklatantes Beispiel für ein „Versagen von Wissenschaftlern“. (Er wurde übrigens nach dem Ersten Weltkrieg von den Siegermächten auch eine Zeit lang als Kriegsverbrecher gesucht, aber nie verhaftet.)

Haber war Jude und musste 1933 – obwohl er davor bereits zum Christentum konvertiert war, um Verfolgungen abzuwenden – Deutschland verlassen, was ihn tief traf. Er soll in der Emigration, in der er 1934 auch starb, gesagt haben, das einzige, was ihn in dieser traurigen Situation tröste sei die Tatsache, dass Deutschland sich wieder erhebe.

Nun war Haber 1919 auch Leiter der „Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung“ (DEGESCH), ab 1920 war der Leiter der DEGESCH ein gewisser Walter Heerdt, ein früherer Mitarbeiter Habers. Und dieser Heerdt entwickelte Zyklon B, also jenes Gas, das später in den Nazi-Konzentrationslagern für den Massenmord verwendet wurde. Auch einige Verwandte Fritz Habers kamen im Holocaust um.

Und diese ganze Geschichte schien mir doch – eben mit dem Aufhänger „Versagen von Wissenschaftlern“ im weiteren Sinn zu dem erwähnten Artikel zu passen, und deshalb habe ich dazu etwas über Haber gepostet. Ich machte ursprünglich einen sachlichen Fehler, nämlich zu behaupten, Haber selbst habe Zyklon B entwickelt, was so eben nicht stimmt – ich habe das auch sofort, als ich es erkannte, in einem weiteren Posting korrigiert. Und ich erlaubte mir zu bemerken, dass es doch eine bittere, makabre Ironie der Geschichte sei, dass ausgerechnet die Arbeitsgruppe rund um Haber, der eben Jude war, das Zyklon B entwickelt hat.

Na, mehr hab’ ich nicht gebraucht. Zunächst einmal hat es Stunden gedauert, bis diese Postings erschienen sind. Nun, das ist man ja leider beim Standard gewöhnt. Aber kurz nachdem sie endlich erschienen waren, waren sie alle wieder weg. Das Spiel ist dann noch ein zweites Mal in der selben Nacht gelaufen. Worauf ich dann in einem weiteren Posting wissen wollte, wer sich denn wohl über meine Postings beschwert hätte und warum (denn einmal erschienene Postings werden ja wohl doch nur aufgrund von Beschwerden wieder entfernt). Daraufhin trat – am nächsten Vormittag – ein gewisser „Fritz Wunderlich“ auf den Plan und beschuldigte mich des Antisemitismus, des Rechtsextremismus und des Revisionismus. Es sei eine absichtliche, verhetzende Lüge, dass Haber das Zyklon B entwickelt habe, die gern von Neonazis verbreitet werde. Wie ich bereits ausgeführt habe, war es von meiner Seite lediglich ein Irrtum, und da es ja schließlich Habers unmittelbares Umfeld war, in dem dieses Giftgas entstanden ist, finde ich auch, dass ich von der Wahrheit nicht so weit entfernt war. (Außerdem wusste ich nichts davon, dass das eine Geschichte ist, die in fälschlicher Form von Neonazis verbreitet wird; ich habe unter anderem auch gepostet, dass ich mir – hätte ich das gewusst – vielleicht doch überlegt hätte, ob ich das überhaupt posten soll; aber auch das wurde, wie alle meine Postings zu dem Artikel, gelöscht oder gar nicht erst gebracht.)

Mir Antisemitismus, Rechtsextremismus oder gar den Versuch zu unterstellen, den Holocaust in irgendeiner Weise verharmlosen oder gar leugnen zu wollen, ist völlig absurd, und ich weise derartige Behauptungen auf das Schärfste zurück. Ebenso absurd ist es, mir zu unterstellen, ich hätte absichtlich behauptet, Haber selbst sei der Erfinder von Zyklon B, weil ich damit sagen wollte, „die Juden seien selber schuld am Holocaust“. Das ist so eine irrsinnige Infamie und so grundfalsch, dass in einigen weiteren Postings erklären wollte, was meine tatsächliche Intention war. Das habe ich dann auch versucht, inzwischen war es wieder Abend geworden. Kurz darauf waren plötzlich ALLE meine Postings wieder gelöscht, und nicht nur das: auch mein Postingname „jemenfous“ war plötzlich nicht mehr verfügbar. Und das mit der fadenscheinigen Ausrede, es würden jetzt die Postingnamen auf „eine neue Basis gestellt“ und meiner sei jetzt leider schon vergeben. Von wegen. Es handelt sich hier um einen glatten Fall von Meinungszensur, in dem mir ohne dass ich irgendetwas Böses getan hätte, schlicht und einfach der Mund verboten werden soll.

Ich bin mein Leben lang für Demokratie und gegen jede Form des Totalitarismus, von rechts oder von links, eingetreten. Ich hatte als Jugendlicher, vor allem zwischen 13 und 16, fast ausschließlich jüdische Freunde, ich habe mich immer schon mit der Geschichte des Judentums und mit dem Thema Zweiter Weltkrieg und Holocaust befasst. Ausgerechnet mir Antisemitismus und Rechtsextremismus zu unterstellen, ist ein geschmackloser Unsinn.

Dennoch wurde ich quasi aus „derstandard.at“ hinausgeworfen, jedenfalls in meiner Identität als „jemenfous“. Während „Fritz Wunderlich“ und „pipi pipifax“ [auch so einer, der auf mich losgegangen ist] sicher munter weiterposten dürfen. Und vielleicht auch noch glauben, Sie hätten’s einem „Nazi“ so richtig gezeigt.

Da es so was wie ein allgemeines Standard-Forum nicht gibt und mein ursprünglicher Nick nicht mehr geht, bleibt mir also nichts anderes übrig, als auf diesem Weg den Sachverhalt darzustellen. Vielleicht ist es ja möglich, den beiden genannten Postern diesen Brief zur Kenntnis zu bringen, mit schönen Grüßen von mir und dem guten Rat, das nächste Mal statt auf Zensur auf Argumente und vor allem auf Zuhören/Lesen zu setzen.

Und der Online-Redaktion kann ich nur zum wiederholten Mal raten, ihre Zensurpolitik, die ich für fragwürdig und gefährlich – und letztlich eines demokratischen Mediums in einer demokratischen Gesellschaft unwürdig – halte, zu überdenken. Hätte man die Postings nicht gelöscht, wäre die Sache längst klargestellt. So muss ich lange Briefe schreiben.


Mit freundlichen Grüßen


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So weit also mein Brief an die noblen Herrschaften vom Standard bzw. Online-Standard (man hat mich schon bei einer früheren Gelegenheit darüber belehrt, dass letzteres eine eigene Redaktion sei, was insofern perfid ist als es die Möglichkeiten, sich zu beschweren, einengt, denn einer schiebt dann alles auf den anderen.

Ich kann es mir auch nicht verkneifen, Gerlinde Hinterleitner, ihres Zeichens Chefin dieser Online-Redaktion zu zitieren, die mir auf eine frühere Beschwerde in Sachen Zensur doch glatt schrieb (wörtlich):


Nicht jede unserer Entscheidungen mag richtig sein, die redaktionelle Leistung beim Moderieren der Foren bei über 8.000 Postings täglich ist enorm und wird geleitet von dem Wunsch sinnvolle, interessante und sachliche Diskussionen zu ermöglichen. Es geht der Redaktion in keinster Weise darum Zensur auszuüben. Wie Sie auch an Ihren eigenen Zahlen ablesen können: Bisher sind 261 Postings von Ihnen veröffentlicht worden und 25 nicht."


Mit anderen Worten: Die Frau Hinterleitner versucht mir Ihre Behauptung, dass es ihrer Redaktion keineswegs darum gehe, Zensur auszuüben, dadurch plausibel zu machen, dass sie mich darauf hinweist, dass ja bei mir (übrigens war das damals ein anderer Postingname) diese Zensur "nur" in 25 Fällen ausgeübt wurde, in 261 anderen aber nicht. Rechenexempel: wie viel Prozent von der Gesamtzahl (261+25=286) wurden also zensuriert? 25/286x100=8,74%. No? Und das ist keine Zensur?


Das klingt ja fast so als müsste man dankbar dafür sein, dass der Standard seine Postings überhaupt bringt. Als ob das ein Privileg und das Zensurieren was ganz Normales wäre. Und man mag es mir glauben oder nicht: Ich schreibe keine rassistischen, verhetzenden, antisemitischen oder sonstwie verpönten Postings. Ich lasse mir nur selbständiges Denken nicht verbieten. Und insofern sind fast 9% zensurierte Postings um 9% zu viel.

Umgekehrt habe ich mir jetzt die Postings der beiden Herren (nehme ich an), „Fritz Wunderlich“ und „pipi pipifax“, soweit das über Google möglich war, genauer angeschaut. Bitte, die strotzen nur so von schnöselhafter Arroganz. Da werden permanent andere Leute herabgewürdigt, beleidigt, belehrt, als Idioten hingestellt. Vom wunderlichen Fritz weiß ich übrigens, dass er Jude ist. Warum ich das hier erwähne? Weil ich aus diesen Vorgängen, wenn ich tatsächlich ein Antisemit wäre, schon längst eine Verschwörungstheorie gebastelt hätte. Aber ich bin eben kein Antisemit, war nie einer und werde nie einer sein.

Und so sehr ich das Wort „Antisemitismuskeule“, das gerne von Rechten und Nazis verwendet wird, ablehne, so sehr muss ich doch andererseits sagen, dass es wirklich Versuche gibt, kritisch denkende Menschen (womit ich natürlich nicht Rechte und Rechtsradikale meine; das müsste schon durch die Verwendung des Verbs „denken“ klar werden) mit dem Vorwurf des Antisemitismus zum Schweigen zu bringen. Das gilt, in einer anderen Dimension auch für Kritik am Vorgehen Israels, insbesondere den Palästinensern gegenüber. Aber das ist ein anderes Wespennest, in das ich heute, an meinem Geburtstag, der nun schon über eine Stunde alt ist, nicht stechen will. Das hebe ich mir für ein andermal auf.

Sollten die beiden erwähnten Schnösel jemals diese Zeilen lesen, so sei es ihnen unbenommen, ihre Kommentare dazu zu hinterlassen. Ich werde sie dann löschen, wenn’s mir denn passt: nach meinen Forenregeln. Gute Nacht allerseits.




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