Maradona-Film in Cannes: „Dieser Kerl war von Gott modelliert“

(c) Juan Jose Traverso
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Emir Kusturicas Huldigung an Maradona läuft in Cannes. Im Interview verspricht der Regisseur sein Comeback auf dem Rasen, geißelt kulturellen Minimalismus und erklärt, warum seine Saft-Revolution stockt.

Die Presse: In Ihrem Werk stand meist der Balkan im Zentrum. Nun präsentieren Sie in Cannes eine Dokumentation über Maradona. Wie kam es zu dem Flankenwechsel?

Emir Kusturica: Ich habe früher viel Fußball gespielt. In meiner Jugend selbst für den Erstligisten FK Sarajewo – und durchaus erfolgreich. Maradona war einfach einer der unglaublichsten Magier, die auf diesem Planeten jemals existierten. Das Tor, das er gegen England schoss, nachdem er sieben Gegenspieler umdribbelt hatte: Das war der Höhe- und Endpunkt der Individualität im Fußball. Er war eine Persönlichkeit, der das Ende einer bestimmten Art von Fußball markierte. Danach war alles anders.

Was denken Sie von seinen Epigonen wie Messi oder Ronaldino?

Kusturica: Ja, das sind gute Spieler, aber das ist nicht das gleiche. Dieser Kerl war einfach von Gott modelliert. Die Schwerkraft, die er hatte, unterschied sich völlig von jedem anderen Spieler. Seine Geschwindigkeit, der Rhythmus, die Art, wie er schoss und den Ball behandelte – alles war total anders.

Wie waren Sie selbst als Fußball-Spieler ?

Kusturica: Ich zog im Mittelfeld die Fäden. Ich schrie, war sehr aktiv, kein angenehmer Spieler. Ich war der schlimmste Kerl, den Sie sich auf dem Platz vorstellen können.

Und wie sind Sie auf dem Filmset?

Kusturica: Sehr passioniert, leidenschaftlich. Aber selbst wenn ich glaube, dass ich diktatorisch sein muss, sehen die anderen, wie sehr ich dabei leide. Sie bekommen dann ein schlechtes Gewissen – und beginnen mir zu folgen (lacht).

Und hier in Ihrem Reich, Ihrem selbstgeschaffenen Küstendorf?

Kusturica: Ich entwickle das Dorf nicht, um zum Bürgermeister gewählt zu werden! Es ist das gegenteilige Konzept von Demokratie: Ich wähle meine Bürger aus. Ich will nicht, dass jeder hierher kommt. Das würde meiner Vision von Diktatur widersprechen (lacht).

Warum errichtet man in den Bergen ein Küstendorf?

Kusturica: Auf dem gegenüberliegenden Hang drehte ich 2004 den Film „Das Leben ist ein Wunder“. Ich schaute herab und sah diese Komposition von Hügeln zwischen den Bergen, wie eine Insel. Erst baute ich ein Haus – nun sind es 35. Das Küstendorf entstand spontan, wie alles in meinem Leben. Ich wollte einen Platz schaffen, wo sich die guten Dinge Serbiens, des Balkans und Europas entwickeln können. Einen Platz für Sommer-Filmschulen, Workshops, Ausstellungen, Festivals. Ein wenig so wie in den Künstlerkolonien in Russland zu Beginn des 20.Jahrhunderts. Wir könnten hier beginnen, einen parallelen Staat, eine parallele Welt zu zu simulieren. Wer weiß, was mit der echten passiert (lacht).

Und dann haben Sie in Serbien die Bio-Revolution mit Ihren Revolutionärs-Säften ausgerufen. Wie kam es dazu?

Kusturica: Meine Idee war eigentlich, in einer Region, in der sich Menschen im Namen der Revolution regelmäßig umbrachten, den Revolutionsbegriff mit Bio-Revolution-Produkten zu ändern. Zudem gefiel mir die Idee, Revolutionäre trinken zu können.

Auf den Etiketten sind aber nur mehr die Köpfe von Ihnen und Che Guevara zu sehen.

Kusturica: Wir bekamen Probleme mit einigen Nachfahren. Sowohl der Enkel des Partisanen Tito als auch der des Tschetniks Drasa Mihajlovic wollen mich vor Gericht zerren, sollte ich Ihre Großväter versaften.

Ist es ein beruhigendes Gefühl, dass das Küstendorf nahe Ihrer alten Heimat Bosnien liegt?

Kusturica: Nein, das Gefühl verspüre ich eigentlich nicht. Ich fahre zwar regelmäßig nach Bosnien, besuche alte Freunde und die Orte, wo meine Vorfahren lebten. Dorthin zu fahren, ist wie eine Reise durch die Katharsis der letzten 15 Jahre. Doch außer zu den Leuten, die ich dort kenne, verspüre ich eigentlich keine Bindung mehr mit Bosnien. Ich gehe nicht nach Sarajewo, weil es dort eine Menge Missverständnisse über mich gibt. Ich habe keine Lust, in irgendwelche Handgemenge zu geraten – auch wenn ich mich nicht fürchte, zu kämpfen. Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich außerhalb Bosniens gelebt. Ich glaube einfach, dass ich dort nicht mehr hin gehöre.

Regisseur, Bassist, Dorf-Diktator und Saft-Revolutionär. Bringen Sie Ihre vielen Jobs manchmal nicht durcheinander ?

Kusturica: Nein, überhaupt nicht. Arbeit ist für mich die beste Anti-Stress-Medizin. Das Kino wird aber ein immer materialistischeres Geschäft. Mir sagt ein eher multifunktionales Kulturverständnis zu. Ich glaube, dass sich der minimalistische Trend in Europas Kultur dem Ende zuneigt. Mit mir ist es wie bei den Malereien von Hieronymus Bosch: die karnevalistische Herangehensweise an das Leben ist konstant anwesend.

Aber eine Sache, die sie mochten, haben Sie aufgegeben: Sie spielen nicht mehr Fußball.

Kusturica: Sie haben recht. Ich werde wieder damit anfangen.

VORSCHAU: Filme in Cannes

Der Wettbewerb ist vielversprechend programmiert. Mit Spannung erwartet werden z.B. Steven Soderberghs aus zwei abendfüllenden Teilen bestehende Revolutionärsbiografie „Che“, Clint Eastwoods Historiendrama „Changeling“ und „Synecdoche, New York“, das Regiedebüt von Drehbuchwunderkind Charlie Kaufman.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2008)

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