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Weltfinanzretter Europas neue Superhelden

Britanniens "Flash Gordon" und Frankreichs "Super Sarko" streiten um die Ehre, die Welt aus dem Finanzchaos geführt zu haben. Auch EU-Kommissionspräsident Barroso erhebt Anspruch auf die Heldenrolle. Alle drei wollen nicht wahrhaben, dass in Wahrheit Supergirl Merkel die Fäden zog.

Brüssel - Nicolas Sarkozy konnte den schroffen Gordon Brown eigentlich nie so richtig leiden. Nur aus Staatsräson umarmt Frankreichs Präsident den Briten-Premier, wann immer das nötig ist. Er scherzt und plaudert mit ihm, aber gewissermaßen nur von Amts wegen, heißt es in Paris. So schwer wie diese Woche ist ihm das wohl selten gefallen. Denn ungeniert stellte der dreiste Brite sich auf die für Sarkozy vorbereitete Bühne und ließ sich als Retter der Finanzwelt feiern. Sarkozy, erzählen Mitarbeiter, habe getobt.

Dagegen strahlte der bislang meist mürrische Brown in die Kameras, parlierte frohgemut in Pressekonferenzen, wo er sich früher eher maulfaul gezeigt hatte. Sein Plan, so verbreiten es die Medien in aller Welt, brachte vergangene Woche – ausgerechnet in Paris! – die Euroland-Regenten auf Trab. So wie Brown es vorschlug, schnürten auf einmal Deutsche und Franzosen, Österreicher und Italiener milliardenschwere Hilfspakete für die taumelnden Banken, entwarfen anschließend, auf dem EU-Gipfel Mittwoch und Donnerstag in Brüssel, radikale Gesetzesänderungen und verhinderten so den drohenden Zusammenbruch der kapitalistischen Welt.

Ob man ihn nun als Helden feiern und "Flash Gordon" nennen müsse, fragte ihn eine Journalistin - ausgerechnet eine Französin, vom Renommee-Blatt "Le Monde" - habe er doch, wie einst jener Comic- Held, die Menschheit vor dem Schlimmsten bewahrt. "Nein, nein", sagte der stolze Brite ganz bescheiden, "Gordon, nennen Sie mich nur Gordon. Ein Held wäre ich, wenn ich die Finanzweltturbulenzen schon vor einem Jahr erkannt hätte".

Ausgerechnet dieser Brown!

Vor ein paar Wochen schien Brown am Ende, ein gescheiterter Premier, der sich in Schockstarre schon auf seine Abwahl einstellte. Nun bejubelte ihn sogar der frisch gekürte Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman als Architekt "des weltweiten Rettungsplans".

Ausgerechnet "dieser Brown", raunten Politiker und Diplomaten auf dem Brüsseler Gipfel mit zornroten Flecken im Gesicht. Jetzt fordere dieser lautstark "mehr Transparenz", ein besseres "Risikomanagement" und "grenzüberschreitende Aufsichtsbehörden". Dabei habe Brown all das so lange verhindert, bis die Welt am Abgrund stand. Das angelsächsische Wirtschaftsmodell sei gescheitert und man feiere einen Angelsachsen, pfui!

Unglaublich, wütete auch Frankreichs Präsident Sarkozy im Elysée- Palast vor Getreuen, der jetzt umjubelte sogenannte "englische Plan" sei doch genau der, "den wir vorbereitet haben". Hat nicht auch Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank und kein ausgewiesener Sarkozy-Freund, ihn dafür gelobt? Warum schreibt darüber keiner? Und überhaupt, der neue Stolz auf Europa, der sich in diesen Tagen breit macht, woher kommt der denn? Erst hat "Super Sarko", wie ihn französische Zeitungen tauften, den Weltfrieden gerettet. Als Russen und Amerikaner in Sprachlosigkeit erstarrten, fuhr er nach Moskau und Tiflis und handelte einen Friedensplan aus.

Ruhm-Gerangel der europäischer BigMacs

Und jetzt, in der größten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, ist es wieder "Old Europe", der in Washington und in London gleichermaßen verspottete Kontinent, der ran muss. Und weil Sarkozy derzeit als EU-Ratspräsident amtiert, muss natürlich er die Kärrnerarbeit leisten.

Alles schon richtig, bringt sich der Portugiese José Manuel Barroso ein, wann immer sich die Gelegenheit bietet, aber eigentlich habe er ja den Anstoß gegeben. Schon am 1. Oktober habe er zu einer koordinierten Aktion der Europäer aufgerufen, sagt der Chef der EU- Kommission, und die sei nun in Gang gekommen. Und auch inhaltlich sei in Wahrheit alles von ihm und seinen Leuten vorbereitet worden. Es gebe ein internes Papier, das dies belege. Wer es gerne hätte...

Über solches Ruhm-Gerangel drei europäischer BigMacs kann Angela Merkel nur maliziös lächeln. Sie finde es "gut", offenbarte die deutsche Kanzlerin in vertrautem Kreise, wenn Gordon Brown jetzt plötzlich das vorschlüge, was sie schon immer gefordert habe. Und natürlich, erklären Merkel-Mitarbeiter den Medien gerne die wahren Zusammenhänge, wäre das Ganze ohne eine enge deutsch-französische Koproduktion nicht denkbar gewesen. Da hätte es gelegentlich auch lauter Töne von "Angie" bedurft, um den sprunghaften Franzosen auf Linie zu halten. Aber dann habe der das "sehr, sehr gut gemacht".

Polnische Gipfel-Posse

Alle haben es irgendwie sehr gut gemacht, besonders sie selbst, finden die Akteure, und feiern sich. Gibt es noch Probleme? Nein danke. Salopp wurden auf dem EU-Gipfel alle derzeit unlösbaren Fragen, vom Klimaschutz bis zur irischen Blockade des Lissabon- Vertrages, auf das nächste Treffen im Dezember vertagt. Jetzt wollte keiner den üblichen kleinkarierten Streit, jetzt war nur Visionäres gefragt.

So profilierte sich Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi mit dem, von ihm durchaus ernst gemeinten Vorschlag, Russland "in den kommenden Jahren" in die EU aufzunehmen. Er habe, verriet der in Rom regierende Medienmogul, diese Idee schon "seit Jahren". Niemand lachte.

Auch andere ließen sich von den Frühlingsgefühlen im herbstlichen Brüssel anstecken, etwa Polens Regierungschef Donald Tusk und sein Staatspräsident Kaczynski. Beide sind einander in herzlicher Abneigung verbunden. Weil Tusk Kaczynski vom EU-Gipfel fernhalten wollte, ließ er ihn nicht in seiner Regierungsmaschine mitfliegen. Der habe in Brüssel nichts zu suchen, befand er.

Kaczynski sah das anders, nahm auf Staatskosten einen Privatflieger und drängelte sich ungebeten in die Konferenz. Doch als dann Tusk eine flammende Rede hielt, war der Präsident begeistert. Und als der seinerseits flammend nachlegte, war auch Tusk begeistert – und beide schüttelten sich herzlich die Hände.

So retteten die neuen Helden der EU in dieser Woche nicht nur die Weltwirtschaft, sondern sorgten auch noch für eine wundersame "innenpolitische Versöhnung", witzelte ein Teilnehmer der Runde.