Zusammenfassung: Wer den Untergang gesehen hat, braucht diesen Film nicht zu sehen. Wer den Untergang nicht gesehen hat, kann diesen Film ansehen, dann hat er im Prinzip auch den Untergang gesehen, aber eigentlich braucht, wer den Untergang nicht gesehen hat, auch diesen Film nicht zu sehen. Wer den Untergang nicht gesehen hat und den Baader-Meinhof-Komplex nicht gesehen hat, der wird schon bald zu einer kleinen, hochqualifizierten Minderheit gehören, die Auskunft geben kann, wie das eigentlich war, 1945 oder 1977.
Der Baader-Meinhof-Komplex – eine flotte Nummernrevue. Internationaler Titel: "Girls with Guns." Um was geht's? Vorhang auf!
Der Anfang: alle nackig am Strand. FKK, holy shit! Dann werden die Schlaghosen erfunden, und alle tragen Schlaghosen. Frauen unter Hochfrisuren. Gartenparties unter Käse-Igeln. – Eichinger blickt mit uns auf eine schlimme Zeit zurück.
Dann sind alle wieder angezogen, und es geht los. Dauernd explodiert irgendwo irgendwas, und dauernd schießt irgendwer auf irgendwen, und Ulrike Meinhof sitzt hinter runtergelassenen Jalousien und klopft in die Schreibmaschine und hämmert und hackt, pling und noch eine Zeile, ratsch und noch eine Seite, und kommt mit dem Erklären gar nicht mehr hinterher. Das ist das Kreuz mit der Konzeptkunst, dass man sie dauernd erklären muss, dass man dauernd auslegen muss, wie dieses blutige Bodypainting denn nun zu verstehen sei, und was jene zerfetzte Limousinenskulptur uns eigentlich sagen will.
Währenddesen raucht Ulrike Meinhof Kette, überhaupt rauchen alle immer Kette, Zigarettenschwaden durchwehen die Bilder, und irgendwann ist überdeutlich: Alle Erklärungen und Pamphlete sind nur vorgeschoben, geschickte Ablenkung von der eigentlichen Strategie der RAF: die Widersprüche im Spätkapitalismus durch gnadenloses Rauchen zuzuspitzen. Dabei, und das ist die Tragik dieser rauchenden Helden, bemerken sie gar nicht mehr, wie sie ihren Feinden, Helmut Schmidt und all den anderen, immer ähnlicher werden. RAF: Raucher Auf der Flucht.
Der Film ist grandios besetzt, wahrscheinlich der am prominentesten besetzte deutsche Film seit dem Schuh des Manitou.
Als BKA-Chef Horst Herold: Bruno Ganz. Die Kulissen vom Untergang waren noch da, als Eichinger mit Drehen anfing, und beim Aufräumen im Führerbunker hat man in einem verkanteten Spind Bruno Ganz gefunden. Er war verdutzt, als man ihm gesagt hat, dass er weiterspielen soll, aber das Bärtchen muss ab und er soll jetzt mal bitte aufhören, mit der Hand so komisch zu zittern. Er war verdutzt, aber Profi genug.
Wir sehen Martina Gedeck als Ulrike Meinhof, Veronica Ferres als Hanns-Martin Schleyer und Heinz Rühmann als Vater von Gudrun Ensslin.
Um die zweite und dritte Generation der RAF darzustellen, wurden alle Jungschauspieler der Geburtsjahrgänge 1980 bis 85 von den Stadttheatern abgezogen. Ein zeitgeschichtliches Panorama der Extraklasse, und auch die Nebenrollen sind durchaus prominent besetzt: Johannes Heesters als Erster Weltkrieg. Iris Berben und Hannelore Elsner als Zweiter Weltkrieg (Ostfront und Westfront). Ben Becker als Bruno Ganz, Uwe Ochsenknecht als Heiner Lauterbach und Moritz Bleibtreu als Moritz Bleibtreu.
Absolut brilliant: das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde als Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Am Ende sind alle tot. Ganz überraschend noch einmal Mogadischu, das Flugfeld, wir brauchen Platz für das große Finale! Das Flugfeld übersät mit toten Terroristen, Polizisten und Bankdirektoren.
Discokugel, Stroboskope, alle laufen noch einmal auf. Wir erkennen Holger Meins, sein Mund ist senfverschmiert, launig winkt er mit einem Bratwurstbrötchen in die Kamera.
Hanns-Martin Schleyer hat sich ein letztes Mal in eine SS-Uniform gezwängt. Sein Leib ragt aus dem offenen Verdeck einer zersiebten Limousine. Der Wagen wird von einem Gespann tschechischer Juden gezogen. Sie kriechen auf allen vieren und schunkeln im Takt zu Janis Joplin: " Oh Lord,won't you buy me a Mercedes Benz?" Die toten Terroristen auf dem Flugfeld schnipsen mit den Fingern, Ulrike Meinhof tippt im Takt, und das heitere Pling der Schreibmaschine zaubert ein Lächeln auf die Gesichter der toten Polizisten.
Schleyer schwingt die Lederpeitsche, immer nieder auf die schunkelnden Juden, die andere Hand streckt er flach in den Himmel und grinst ironisch in die Kamera. Andreas Baader steckt ihm eine Zigarre zwischen die Lippen. Schleyer bläst einen dicken Rauchring in die Luft, Baader tut es ihm nach, und, zauberhaftes Schlussbild, die Ringe steigen in den Himmel und verschränken sich zärtlich.
Die Menge stimmt ein letztes Lied an, auftritt Xavier Naidoo als Peter Alexander, ein ergreifendes Medley schwillt an und treibt über das Flugfeld, ein Medley aus Deutschlandlied und Blowin in the Wind.
Abspann.
[update: zur aktuellen Version]
Nicht zu vergessen: Sir Clive Sinclair als Hotte Herolds Schleierfahndungscomputer!
(Tarantino macht dann mit 63 die Trash-Kunstfilm-Version davon. "Based on the script by famous German intellectual Stephan Ousted.")
oder radikal gegenbesetzen: die dicken alten männer spielen ensslin, mohnhaupt usw. und nadja uhl und wokalek spielen schleyer, herold usw.
Gibt' s irgendwie schon. "Die dritte Generation" von Fassbinder.
der wird schon bald zu einer kleinen, hochqualifizierten Minderheit gehören, die Auskunft geben kann, wie das eigentlich war, 1945 oder 1977.
Eine sehr gewagte These, ich kenne hier mindestens 340 Bewohner, auf die das zutrifft :)
Eintrittsgeld sparen mit dem Bov.
Einer für alle. Wirklich. (Klub der Medienmusketiere... gute Idee! Einer geht rein und spart den anderen Zeit.)
und wer spielt Loki? wenn's ums passionierte rauchen geht stehen helmut und loki ganz vorn. wurde der herr herold auch zu den sog. mittwochsgesprächen zu den schmidts eingeladen, um dort in der gegenwart angesehener geisteskapazitäten wichtige themen zu diskutieren und stark passiv zu rauchen? vielleicht sogar fkk rauchen? untergang, das leben der annern, girls with guns: jezz hamse die geschichte ja soweit eingeebnet, damit laesst sich ein hollywood staat gründen. als nächstes: mittelalter aufarbeiten.
Jetzt müssen die Sequels kommen. Episode 0: David Bennent, der immer noch klein ist, spielt den spätgeborenen Helmut Kohl.
P.S.: Zu Loki fällt mir ein, dass ein alter Nachbar von mir, der unfreiwillig aussieht wie Herbert Knebel und eigentlich kaum mit jemandem spricht, mich neulich in seine Wohnung gezogen hat, um über die Sozis herzuziehen: "Und dem Schmidt seine Frau sowieso, diese Loki, kennense? die Chinesin!"
man möchte diesen filmen ja antworten: we "were abus'd with diverse stolne, and surreptitious copies, maimed, and deformed by the frauds and stealthes of injurious impostors" [...]
Bei so einem Trailerfetzen habe ich mich letztens auch gefragt, ob da der Detlev Buck wieder einen Polizisten spielt.
Eichinger selbst spielt, glaube ich, alle Passanten, die durchs Bild gehen. Als Polizisten sind Horst Krause und Horst Tappert dabei, getarnt als Tip und Tap.
Die zahlreichen Anspielungen auf "Die Olsen-Bande trifft Giangiacomo Feltrinelli" sind auch kaum zu übersehen.
Die Hölle ist immer der Raucher von nebenan. Baader steckt sich nach erfolgreichem Kill ne Marlboro an. Regiefehler: es ist ein Paket von 2007 mit aufgedruckter Gesundheitswarnung. M. Matussek, zum Videostrafdienst abkommandiert, lacht alkoholisch.
Hammer gute Kritik. Das würde ich in der Zeitung lesen wollen.
ich bin nicht so von der schnellen truppe, deshalb erst jetzt: warum denn in der zeitung? (ernst gemeinte frage. es steht doch schon hier.)
Klasse.
Warum musst du immer nur so sehr recht haben. Da ich an sich so gut wie nie lache, ist dieser Text als Stimulus nicht zu überschätzen. Klasse.
danke, das hör ich viel zu selten, dass ich immer recht habe. internet ist toll.
sehr lustig ...
... aber trotzdem falsch. der film ist genau deshalb überraschend gut, weil er ganz offen wirr und oberflächlich ist, wie BM und die zeit selbst. form und inhalt. das trifft irgendeine archäologische teilwahrheit, die vergraben war. was mich allerdings wirklich irritiert, dass das sonst niemand zu merken scheint: liegt das daran, dass so ein dokufiction-ding nicht mehr funktioniert, weil alle schon-viel-zuviel-filme-gesehen-haben und einfach nicht mehr vom mit der muttermilch eingesogenen postmodernen schwurbel herunterkommen? und was man sich auch fragen kann: was für eine merkwürdige perspektive, welche subjekt-position entsteht da, wenn man lauter knallige szenen so dahinknattern lässt? niemand von den zeitgenossen konnte das je so wahrnehmen. (wobei das, noch einmal, etwas richtiges trifft.)
"Dokufiction" funktioniert nicht, wenn sie nur ein anderes Wort für "Kostümfilm" ist. Wo keine politische oder historische Analyse vorausgeht, illustriert sie nur und erliegt zwangsläufig ihrem Gegenstand. Die Filme werden gemacht, weil es um ein zeitgeschichtliches Thema geht, für das sich schon Zuschauer finden werden – das ist leider alles. (Zu schweigen von der Nähe dieses ganzen Zeitkolorits zum Kitsch. Zum Beispiel das Rauchen. Solche naturalistischen Details lenken bestenfalls vom eigentlichen Film ab, schlimmstenfalls sind sie sein Kern.)
Gegenstand des Filmes ist hier die Macht der ballernden feschen Weiber, beim Untergang war es der Popanz Hitler. Beim Untergang scheint Eichinger sogar selbst bemerkt zu haben, dass er seinem Gegenstand erlegen ist. Warum sonst nimmt er die letzte Einstellung, die die neunzg Minuten davor unzweideutig interpretieren soll, aus André Hellers Dokumentarfilm mit Traudl Junge? In meinen Augen ein künstlerischer Offenbarungseid.
Für ist der Baader-Meinhof-Komplex einfach Trash. Als solcher natürlich unterhaltsam anzugucken. Das Problem ist allenfalls, dass der Film vermutlich (wie der Untergang eh schon) im Unterricht verwendet wird.
ich verstehe die argumente, halte sie auch für legitim, aber stimme ihnen (in dem fall) nicht zu. aber es kann natürlich auch an meinen idiosynkrasien liegen, dass mir der film etwas sagt.
Langweilig, bis auf die alten BMWs. Ansonsten trifft auf den Film auch zu, was Rainald Goetz in "Loslabern" über den "Stern" geschrieben hat.
"Girls with Guns" ist ein Genre, dem ich eigentlich immer viel abgewinnen konnte. Notfalls sogar ohne Guns. Keine Ahnung, warum der Film so wahnsinnig gern so wahnsinnig viel mehr sein möchte als das. Können Filme Minderwertigkeitskomplexe haben?