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Wissenschaft Fragen & Antworten

Handelt es sich in Japan um einen Super-GAU?

Chefkorrespondent Wissenschaft
Wie gefährlich ist eine Kernschmelze? Wogegen helfen Jodtabletten? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Reaktorunglück in Japan.

Was ist im Kernkraftwerk Fukushima 1 passiert?

Bei dem schweren Erdbeben am Freitag wurden die Kernkraftwerke Fukushima 1 (6 Reaktorblöcke) und das zwölf Kilometer entfernte Fukushima 2 (4 Reaktorblöcke) automatisch abgeschaltet. Der Tsunami zerstörte die Generatoren von Fukushima 1, die unter anderem das Kühlsystem mit Energie versorgen sollen. Die Kühlung der Brennstäbe war dann nur noch mit einem batteriebetriebenen Notkühlsystem möglich. In der Nacht zum Samstag fiel dann auch in drei Reaktoren von Fukushima 2 das Kühlsystem aus. In der Umgebung der Kraftwerke wurde die Strahlung von radioaktivem Cäsium nachgewiesen. Dies war das erste Indiz dafür, dass es zu einer Beschädigung von Brennelementen gekommen sein musste.

Wie kann die Radioaktivität ins Freie gelangen?

Im Reaktor ist es zu einem Druckanstieg gekommen, was für eine Überhitzung spricht, bei der Brennstäbe beschädigt werden können. Wird die Temperatur hoch genug, kann Wasserdampf in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten werden. Die ist ein hochexplosives Gemisch. Da die erhöhten Werte der Radioaktivität bereits vor der Explosion des Reaktorgebäudes gemessen wurden, ist davon auszugehen, dass gezielt Dampf und Gas aus dem Reaktor in die Umwelt abgelassen wurden, um eine Wasserstoffexplosion zu verhindern. Offenbar ist es dann in Fukushima 1 dennoch zu einer solchen Explosion gekommen, bei der Dach und Wände des Reaktorgebäudes weggesprengt wurden. Bereits vor der Explosion wurden aus dem Kontrollraum des Kraftwerks Fukushima 1 Strahlungswerte gemeldet, die tausendfach über dem Normalwert liegen.

Ist es zu einer Kernschmelze gekommen?

Darüber gab es zunächst widersprüchliche Angaben. Tatsächlich ist der Nachweis von außen nicht leicht, ob die Brennelemente bereits geschmolzen oder nur beschädigt sind. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch sehr groß, dass die Temperaturen im Reaktorkern aufgrund der ausgefallenen Kühlung so hohe Werte erreicht haben, dass es zum Beginn einer Kernschmelze gekommen ist. Die Spaltung von Wasserdampf in Wasserstoff und Sauerstoff beginnt jedenfalls bereits ab rund 800 Grad Celsius.

Wie gefährlich ist eine Kernschmelze?

Auch in einem abgeschalteten Kernreaktor produzieren die Brennstäbe noch eine Nachwärme (rund sieben Prozent der normalen Reaktorleistung) und müssen deshalb gekühlt werden. Anderenfalls würden sich die Brennstäbe so stark erhitzen, dass sie schmelzen, nach unten fließen und sich durch das Reaktordruckgefäß in den Boden und das Erdreich unter dem Reaktor fressen. Eine Kernschmelze ist ein sehr gefährlicher Unfall, weil das hochradioaktive Material aus den Brennstäben (unter anderem Uran, Plutonium und diverse andere Spaltprodukte) in das Grundwasser gelangen könnte. Wenn bei einer Explosion das Reaktordruckgefäß beschädigt oder zerstört wird, können die radioakativen Substanzen auch in die Atmosphäre gelangen – so wie dies nach dem Unglück von Tschernobyl der Fall gewesen ist. Eine Beschädigung des Reaktordruckgefäßes durch die Explosion in Fukushima 1 wurde zunächst dementiert.

Welche Systeme sollen vor einer Kernschmelze schützen?

Die Kühlsysteme sind mehrfach ausgelegt. Außerdem gibt es batteriebetriebene Notkühlpumpen. Durch das Erdbeben sind aber offenbar die Generatoren zur Versorgung der Kühlmittelpumpen ausgefallen. Die Batterien des Notkühlsystems konnten nur für einige Stunden die Kühlung aufrechterhalten. Geplant war zwischenzeitlich das Herbeischaffen frischer Akkus. Doch offensichtlich ist dies in Japan nicht rechtzeitig gelungen.

Wie lassen sich nach einem Unglück die Folgen einer Kernschmelze minimieren?

Bei modernen Reaktortypen der 3. Generation werden sogenannte Corecatcher eingebaut, die im Ernstfall eine heruntertropfende Kernschmelze auffangen sollen, damit diese nicht in die Umwelt gelangen kann. Von Wissenschaftlern werden auch intrinsisch sichere Reaktortypen vorgeschlagen, bei denen Kernschmelzen grundsätzlich nicht möglich sind.

Welche Folgen kann es haben, wenn sich eine Kernschmelze in den Boden unter den Atomreaktor frisst?

Die hochradioaktiven Substanzen, unter anderem auch Plutonium, könnten auf diese Weise in das Grundwasser und damit in die Biosphäre gelangen. Dies könnte langfristig weitreichende Konsequenzen haben. Dabei spielen die konkreten geologischen Formationen und Grundwasserströmungen eine große Rolle.

Kann durch die Kernschmelze auch eine radioaktive Wolke entstehen, die sich durch die Luft ausbreitet?

Ja, das ist nicht ausgeschlossen. Wenn das Reaktordruckgefäß und das Containment aus Beton zerstört werden, können die im Reaktorkern enthaltenen radioaktiven Substanzen freigesetzt werden. Dass beim Unglück von Tschernobyl auf diese Weise sehr große Mengen an radioaktiven Stoffen ins Freie gelangen konnten, war nur deshalb möglich, weil das in diesem Reaktortyp befindliche Grafit tagelang gebrannt hat und durch den Kamineffekt der aufsteigenden Luft die radioaktiven Stoffe aufsteigen konnten. Ein solcher Brand ist bei den in Japan verwendeten Reaktoren nicht möglich, weil dort kein Grafit verwendet wird. Allerdings wäre denkbar, dass in Japan ein Teil des radioaktiven Inventars durch eine Explosion freigesetzt werden könnte.

Welche radioaktiven Stoffe würden dann freigesetzt?

Im Wesentlichen sind dies radioaktive Isotope der Elemente Cäsium, Strontium, Plutonium und Jod. Kurzfristig am gefährlichsten wäre das gasförmige Jod, das sich gut durch die Luft ausbreiten und eingeatmet werden kann. Es sammelt sich in der Schilddrüse an und kann Krebs auslösen.

Was ist Radioaktivität?

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Radioaktive Substanzen besitzen einen instabilen Atomkern, der zerfallen kann. Jedes radioaktive Isotop hat dabei eine charakteristische Halbwertszeit, nach der jeweils die Hälfe der zuvor vorhandenen Atome zerfallen ist. Manche Isotope zerfallen recht schnell, innerhalb von Sekunden, Tagen oder Wochen. Andere wiederum strahlen Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar Jahrtausende.

Beim Zerfall der radioaktiven Atomkerne können drei Arten von Strahlung freigesetzt werden: Alpha-, Beta- und Gamma-Strahlung. Die Gamma-Strahlung ist durchdringende elektromagnetische Strahlung, vergleichbar mit Röntgenstrahlung, nur noch energiereicher. Sie lässt sich leicht mit Detektoren nachweisen. Bei der Alpha-Strahlung handelt es sich um Helium-Atomkerne und bei der Beta-Strahlung um schlichte Elektronen – also Teilchenstrahlung. Die lassen sich sehr viel besser abschirmen als Gammastrahlung. Ein paar Millimeter Materie reichen da schon. Allerdings sind Alpha- und Beta-Strahler besonders gefährlich, wenn man sie in den Körper aufnimmt. Dort können sie ihre zerstörerische Partikelstrahlung direkt ins Gewebe abgeben.

Die japanische Regierung hat Jodtabletten an die Bevölkerung ausgeben. Warum?

Die Schilddrüse ist das Organ, das im menschlichen Körper Jod benötigt, um richtig zu funktionieren. Das Jod muss über die Nahrung aufgenommen werden und wird dann in das Organ eingebaut. Damit die Schilddrüse im Fall, dass radioaktives Jod in der Luft vorhanden ist, nicht dieses in ihre Zellen einbaut, sollte sie vorher mit (nicht-radioaktivem) Jod "überschwemmt“ werden. Nimmt man nach vorheriger Einnahme von Jodtabletten radioaktives Jod auf, so wird dieses nicht oder nur noch in geringem Umfang in Schilddrüse eingebaut. Der Rest wird mit dem Urin ausgeschieden.

Warum sind radioaktive Stoffe für den Menschen gefährlich?

Die Strahlung von radioaktiven Substanzen hat kurzfristige und mittelfristige Folgen: Menschen, die direkt mit hohen Dosen an Radioaktivität bestrahlt werden, sterben innerhalb weniger Stunden oder Tage. Sie erkranken an der so genannten Strahlenkrankheit. Ihre Zellen werden durch die Strahlung so stark angegriffen, dass es für sie keine Überlebenschance gibt. Ist die Dosis, die ein Mensch abbekommen hat, nicht ganz so stark, kann er beispielsweise mit Bluttransfusionen behandelt werden. Dadurch sollen geschädigte Blutzellen aus dem Körper "ausgeschwemmt“ werden. Ist die Strahlendosis geringer, treten die biologischen Schäden nicht direkt auf. Mittelfristig kann dann die Wahrscheinlichkeit erhöht sein, an Krebs zu erkranken. Ein typischer "Strahlenkrebs“ ist der Blutkrebs. Die gesundheitlichen Folgen einer Strahlenexposition hängt stark davon ab, wie lange ein Mensch hohen oder niedrigen Strahlendosen ausgesetzt ist. Die Strahlung kann nicht nur zu Krebs führen, sondern auch Missbildungen bei Neugeborenen verursachen und zu einer Schwächung des Immunsystems führen. Auch die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Diabetes wird als mittel- oder langfristige Folge einer Strahlenexposition von Forschern diskutiert.

Die WHO hat in einem Bericht zu den gesundheitlichen Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl auch darauf hingewiesen, dass ein Strahlenunglück für die Betroffenen oft auch eine nicht zu unterschätzende psychische Belastung bedeutet. Gegen radioaktive Strahlung, die von außen auf den Körper trifft, kann man sich nur durch größtmöglichen Abstand sowie stark absorbierende Materialien schützen – zum Beispiel Blei. Noch gefährlicher für die Gesundheit sind radioaktive Stoffe, die man inkorporiert, also einatmet oder mit der Nahrung aufnimmt. Werden diese Substanzen in den Organismus eingebaut, so strahlen sie direkt vor Ort und treffen möglicherweise sensibles Gewebe und schädigen dieses.

Was passiert, nachdem eine radioaktive Wolke aus einem havarierten Kernkraftwerk ausgetreten ist?

Das hängt sehr stark von der jeweiligen Wetterlage ab. Ist es windstill und regnet es, so gelangen die radioaktiven Partikel in der Nähe des Kernkraftwerks auf die Erde. Ist es sehr windig und trocken, kann sich die Radioaktivität sehr weit verbreiten. Sogar in Europa und in Deutschland werden dann wegen der extremen Empfindlichkeit der Messgeräte in einigen Tagen oder Wochen erhöhte Werte an Radioaktivität gemessen werden können. Die Erhöhung der Strahlungswerte würde hierzulande aber in jedem Fall so gering ausfallen, dass sich daraus keine negativen Folgen für die Gesundheit der Menschen ergeben. Selbst die radioaktive Wolke aus Tschernobyl, die zum Teil über Deutschland abgeregnet ist, hat zu keinem statistisch nachweisbaren Anstieg von Krebserkrankungen geführt.

Gibt es Prognosen, wohin eine möglicherweise in Fukushima 1 entweichende radioaktive Wolke ziehen würde?

Ja. Die radioaktive Wolke dürfte bei den vorherrschenden und für die nächsten Tage erwarteten Winden nach Osten auf das offene Meer hinaus getrieben werden. Für Sonntag erwartet der Deutsche Wetterdienst ein sonniges und trockenes Wetter in Japan mit Temperaturen zwischen 13 bis 18 Grad Celsius. Ab Montag soll es dort aber regnen oder sogar schneien. Selbst am Tage werden die Temperaturen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen. Der Abkühlungsprozess wird für stärkeren Wind aus nordwestlicher Richtung sorgen. Das treibt also eine mögliche radioaktive Wolke hinaus auf den Pazifik.

Wird die Kernschmelze in Japan möglicherweise schlimmere Folgen haben als die Katastrophe von Tschernobyl?

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Diese Frage kann derzeit noch niemand mit Gewissheit beantworten. Die Reaktortypen von Tschernobyl und Fukushima sind völlig verschieden und der Ablauf der Ereignisse ebenso. Auch wenn es in Japan nicht zu einem Brand von Grafit kommen kann, so ist es doch nach dem Verlust des Kühlwassers möglich, dass in Fukushima der Brennstoff selbst zu brennen beginnt. Das gilt auch für etwaige alte Brennstäbe in Abklingbecken des Kernkraftwerks. Das radioaktive Inventar im Atomkraftwerk ist jedenfalls insgesamt groß genug, um schwere Belastungen der Umwelt zu verursachen.

Ist die Lage auch in den anderen Kernreaktoren in Japan kritisch?

Nach dem Erdbeben wurden elf Reaktoren abgeschaltet. Bislang gibt es noch keine Informationen darüber, ob bei ihnen ebenfalls eine Kernschmelze droht. In Japan gibt es insgesamt 54 Atomkraftwerke. In den vergangenen 15 Jahren kam es immer wieder zu schweren Zwischenfällen. Im September 1999 ereignete sich in der Wiederaufbereitungsanlage von Tokaimura der schwerste atomare Unfall seit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Arbeiter füllten mit Stahleimern eine zu große Menge Uran in einen Verarbeitungstank und lösten damit eine unkontrollierte atomare Kettenreaktion aus. Zwei Menschen starben, 600 wurden radioaktiv verstrahlt. Erst zwei Monate vorher waren in Tsuruga 80 Tonnen radioaktiv verseuchtes Kühlwasser aus dem Primärkreislauf der Anlage ausgetreten. Bereits 1997 waren bei einem Brand in Tokaimura 37 Menschen radioaktiv verstrahlt worden. 2003 musste der größte private KKW-Betreiber Tokyo Electric Power (Tepco), der auch die Werke Fukushima 1 und Fukushima 2 betreibt, alle 17 Reaktoren für Sicherheitskontrollen abschalten.

Ist das, was in Fukushima 1 passierte, ein GAU?

Unter dem Begriff GAU – größter anzunehmender Unfall – versteht man den schwersten Störfall in einem Atomkraftwerk, für den die Sicherheitssysteme aber noch ausgelegt sind. Die Umwelt wird dabei nicht über die Grenzwerte hinaus mit Strahlung belastet. Ein Super-GAU ist dagegen ein Störfall, der nicht mehr beherrschbar ist, wenn es also zu einer Kernschmelze – dem Schmelzen des Reaktorkerns – oder einem Bersten des Reaktordruckbehälters kommt. Auch Sabotage, Erdbeben, oder Flugzeugabstürze können einen Super-GAU verursachen. Im sowjetischen Atomkraftwerk Tschernobyl, wo es im April 1986 zu einer Kernschmelze kam, ereignete sich also ein Super-GAU. Ob sich Fukushima 1 nur zu einem GAU oder gar zu einem Super-GAU entwickelt, ist bislang nicht klar. Die japanische Regierung teilte zunächst einmal mit, dass beim Einsturz von Mauern und Dachteilen des Reaktorgebäudes das Reaktorgefäß selbst nicht beschädigt wurde.

Kann bei einem Super-GAU, wenn also eine radioaktive Wolke austritt, auch Tokio davon betroffen sein?

Hier spielt das dann herrschende aktuelle Wetter die entscheidende Rolle. Wenn gerade Südwind herrscht, wäre die nur 250 Kilometer entfernte Hauptstadt auf jeden Fall betroffen. Am günstigsten wäre es, wenn die radioaktiven Partikel direkt auf das Meer hinausgeweht würden. Dort könnten sie sich weiträumig verteilen. Es kommt auch darauf an, wie hoch die strahlenden Stoffe in die Höhe steigen.

Also wäre eine Explosion das denkbar schlimmste Szenario?

Ja. Eine Explosion könnte die Partikel in größere Höhen schleudern, von wo aus sie viele Hundert Kilometer weit getragen werden könnten. Je höher die Stoffe steigen, desto größer sei aber auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich verteilen und verdünnt werden. Die Stärke der Strahlung würde also abnehmen. Falls Stoffe kontinuierlich entwichen, etwa durch ein gezieltes Ablassen von Druck aus dem Reaktor, dann würde sich nicht so schnell eine hohe Konzentration an radioaktivem Material im Freien ergeben.

Wovon hängt es ab, wie schwer die Folgen für Menschen und Umwelt sind?

Falls es zu Kernschmelze und Reaktorbrand kommen sollte, hängt alles vom Wetter ab – vor allem von der Stärke und Richtung des Windes und davon, ob es Niederschläge gibt. Regnet es oder schneit es, kommen mehr radioaktive Partikel auf die Erde. Gibt es keinen Niederschlag, so zirkulieren sie über längere Zeit in der Atmosphäre und verdünnen sich.

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